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EU-Chefverhandler Michel Barnier.

© Emmanuel Dunand/AFP

Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier: Der Mann fürs Heikle

Michel Barnier ist für die EU in die Brexit-Verhandlungen gegangen. Dem 66-jährigen Wirtschaftsexperten steht eine Mammutaufgabe bevor. Doch der Chef-Unterhändler dürfte wissen, was er tut – und tritt mit großer Ruhe auf.

Er ist der vermeintliche Gegner des britischen Brexit-Minister David Davis im Scheidungsprozess zwischen der EU und Großbritannien. Am Montag begann er die Brexit-Gespräche in der Brüsseler Zentrale der EU-Kommission: EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Barnier und David vereinbarten, sich alle vier Wochen zu treffen, um über die Trennung Großbritanniens von der EU zu verhandeln. Idealerweise soll die Scheidung in 18 Sitzungen bis Herbst 2018 über die Bühne gegangen sein, damit vor dem geplanten Brexit Ende März 2019 die gefundene Vereinbarung ratifiziert werden kann.

Man hört immer wieder, dass Barnier und Davis angeblich eine jahrzehntelange Abneigung verbinde. Barnier aber lässt sich das zumindest nicht anmerken. „Mein Ziel ist ein fairer Deal“, sagt er. Über den Zeitplan für die Gespräche soll der EU-Gipfel am Ende dieser Woche informiert werden. Manchem Beobachter dürfte es angesichts aller Unsicherheiten in den Verhandlungen beinahe zu gelassen erscheinen, wenn Barnier sagt: „Der Weg ist lang und steil, aber ich komme aus den Bergen und bin ein trittsicherer Wanderer“, sagt der Mann, der zwischen 2004 und 2005 auch französischer Außenminister war.

Tatsächlich ist anzunehmen, dass der bei manchen als „Eurokrat“ betitelte Barnier wissen dürfte, was er tut. Doch wer ist der 66-jährige Franzose, der das heikle Mandat erhalten hat, die Europäische Union durch einen ihrer wohl schwierigsten Verhandlungsprozesse zu führen? Welche Strategie verfolgt der frühere EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, der sich zu jener Zeit der großen Finanzkrise als Bankenregulierer hervortat und der nun die Bedingungen des EU-Austritts Großbritanniens schnellstmöglich klären soll?

„Ich möchte eine Einigung erreichen, bei der beide Seiten gewinnen“, hatte Barnier einmal seine Verhandlungslinie beim Brexit beschrieben. Von den zahllosen offenen Punkten will er zunächst drei angehen. So soll es in den ersten Verhandlungen um den zukünftigen Status der rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien sowie der mehr als eine Million Briten in den restlichen 27 EU-Ländern gehen. Zudem soll geklärt werden, wie hoch die Abschlussrechnung für die britische EU-Mitgliedschaft ausfallen wird. Laut „Handelsblatt“ hat die EU-Kommission eine Summe von 99,6 Milliarden Euro brutto ausgerechnet. Nachdem die Großbritannien noch zustehenden Rückflüsse abgezogen sind, müsste das Land demnach noch knapp 70 Milliarden Euro netto an der EU zahlen, zitierte die Zeitung EU-Diplomaten.

Hoffnung auf ein Umschwenken Londons

Auch die britische Verhandlungsstrategie scheint zumindest auf den ersten Blick klar: Die britische Premierministerin Theresa May will, dass Großbritannien den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlässt. Dass es keinen Weg zurück gebe, hatte Minister Davis am Wochenende gerade wieder bekräftigt. Nach Mays schlechtem Abschneiden bei den von ihr erzwungenen vorgezogenen Neuwahlen ist ihre Verhandlungsposition inzwischen deutlich schwächer. Das bestärkt europäische Verantwortliche nur noch mehr in ihrer Hoffnung auf ein Umschwenken Londons.

„Nach und nach spricht sich ja jetzt herum, dass die Briten einen hohen Preis bezahlen für den Austritt“, sagte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel den Zeitungen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Die große Mehrheit der jüngeren Briten sei proeuropäisch und wolle keinen Brexit, wie die Unterhauswahl gezeigt habe, sagte Gabriel. „Aus dieser Bewegung könnte irgendwann auch eine neue Mehrheit bei Wahlen und Abstimmungen werden.“

Ähnlich äußerte sich auch der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth. Er sagte im rbb-Inforadio, die Briten könnten sich jederzeit umentscheiden. „Die Türen der EU stehen Großbritannien nach wie vor offen.“

Chefunterhändler Barnier hat sich in all dem Wirrwarr unterdessen aber nicht nur auf die britischen Wünsche vorbereitet, sondern auch auf die Forderungen Irlands und Nordirlands – der dritte Punkt, über den er in der zunächst verhandeln will. Denn eine Frage im Zuge des Brexit wird auch sein, wie durchlässig die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland bleibt, wodurch also die Zollunion ersetzt wird, damit der Grenzverkehr zwischen beiden weiterhin funktioniert.

Barnier also fuhr nach Irland und sprach beispielsweise mit den Bauern, um besser die Folgen für sie zu verstehen, die produzierte Milch in Zukunft über eine EU-Außengrenze transportieren müssten, um sie weiterverarbeiten zu lassen.

Eine neue Erfahrung für den Franzosen

Barnier hat in seiner politischen Karriere schon viel zugehört und viel mitverhandelt – etwa beim EU-Vertrag von Amsterdam und beim EU-Vertrag von Nizza. Doch jetzt geht es nicht, wie bei diesen Verträgen, um eine europäische Annäherung. Es geht um die Trennung. Dass Großbritannien auch nach dieser Scheidung für seine Wirtschaft weiterhin Teil des europäischen Binnenmarkts bleiben will und gleichzeitig die Freizügigkeit von EU-Bürgern abschaffen möchte, ist in dieser Scheidungsdebatte ein besonders heikler Punkt. Ob Barnier auch hier für beide Seiten einen „fairen Deal“ aushandeln kann, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

Erschienen bei EurActiv.

Der Tagesspiegel und das europapolitische Onlinemagazin EurActiv kooperieren miteinander.

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