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Feldbetten in Turnhallen müssen die Kommunen bisher kaum aufstellen.

© dpa/Robert Michael

„Das ist ein flächendeckendes Phänomen“: Städte kämpfen mit der Unterbringung von Geflüchteten

Viele Kommunen bezeichnen den starken Zuzug von Geflüchteten als Herausforderung. Im Notfallmodus sieht sich aber nur eine Minderheit, zeigt eine aktuelle Erhebung zur Einschätzung der Lage.

Die Lage ist „herausfordernd“, viele sehen sich bereits „im Notfallmodus“, aber eins wollen die meisten Kommunen unbedingt vermeiden: dass in ihren Turnhallen wieder Geflüchtete auf Feldbetten schlafen. Bei einer Befragung der Universität Hildesheim und des Mediendienstes Integration geben nur sechs Prozent der Städte, Landkreise und Gemeinden an, dass sie Sporthallen zur Unterbringung von Geflüchteten nutzen.

Die Studie der Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim, die am Donnerstag vorgestellt wurde, soll klären, ob die Kommunen tatsächlich – wie vielfach berichtet – mit der Unterbringung von Geflüchteten überfordert sind. Denn bisher gibt es dazu vor allem Fallbeispiele – und kaum belastbare Zahlen.

Doch die Hilferufe werden immer lauter. Am Mittwoch forderte die Berliner Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) die Bundesregierung auf, eine „Flüchtlingsnotlage“ auszurufen, um dann die Schuldenbremse auszusetzen. So sollen die Kommunen mehr Geld für die Versorgung der Geflüchteten erhalten.

Erfolgreich bei der Unterbringung von Geflüchteten sind Kommunen, die bereits funktionierende Netzwerke haben – zu Wohnungsbaugesellschaften, zu Ehrenamtlichen und Kirchen.

Studienautor Boris Kühn, Universität Hildesheim

Die Warnungen hätten eine Grundlage in der Realität, sagt Studienautor Boris Kühn dem Tagesspiegel. „Das ist ein flächendeckendes Phänomen – auch wenn sich eine Mehrheit der Kommunen noch nicht im Notfallmodus sieht.“ Knapp 60 Prozent der Kommunalverwaltungen bezeichnen demnach die Versorgung von Geflüchteten als „herausfordernd, aber (noch) machbar“, 40 Prozent sprechen von einer „Überlastung“. Die Studie ist allerdings nicht repräsentativ.

Verwaltungschefs sind besonders pessimistisch

„Unsere Befragung soll eine grobe Einschätzung der Lage ermöglichen“, betont Kühn. „Mit über 600 Antworten von Kommunen aller Größen ist das möglich.“ Auffällig ist die geografische Verteilung. Etwa die Hälfte der Antworten kommt aus Baden-Württemberg, ostdeutsche Kommunen reagierten hingegen kaum. Insgesamt gibt es in Deutschland etwas mehr als 10.000 Kommunen.

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Bei den Antworten zeigt sich ein kleines Stadt-Land-Gefälle. In Großstädten bezeichnen sich 30 Prozent der Verwaltungen als überfordert, in Klein- und Mittelstädten sind es 37 Prozent und in den Landkreisen und kleineren Städten rund 44 Prozent. Verwaltungschefs sind zudem pessimistischer als ihrer Mitarbeiter. 53 Prozent der Bürgermeister und Landräte sprechen von einer Überlastung, bei den Mitarbeitern der Fachabteilungen sind es nur 37,5 Prozent.

Knappe Mehrheit verzichtet auf Notunterkünfte

Konkret wird es bei den Notunterkünften. Etwa 45 Prozent der Kommunen müssen darauf bereits zurückgreifen. Vor allem Großstädte und die Landkreise richten sie ein. Insgesamt gelingt den Kommunen derzeit noch eine vergleichsweise gute Unterbringung von Geflüchteten. Angemietete private oder kommunale Wohnungen nutzen 86,4 respektive 77,8 Prozent. Bei den Sammelunterkünften dominieren Container – auf sie mussten 34,9 Prozent der Kommunen zurückgreifen.

„Erfolgreich bei der Unterbringung von Geflüchteten“, erläutert Kühn, „sind Kommunen, die bereits funktionierende Netzwerke haben – zu Wohnungsbaugesellschaften, zu Ehrenamtlichen und Kirchen“. Sie könnten nun schnell Wohnungen akquirieren. Viele Verwaltungen profitierten dabei von den Erfahrungen der Flüchtlingskrise 2015 und 2016.

Dass die Kommunen nun vor einer ähnlichen Herausforderung stehen, hängt für die Forscher maßgeblich mit dem Ukrainekrieg zusammen. Zwar sind etwa zwei Drittel bis drei Viertel der Ukrainerinnen und Ukrainer privat untergekommen, doch damit müssten die Kommunen noch immer rund 300.000 Personen mit Wohnraum versorgen. Der Zuzug aus der Ukraine ist darüber hinaus vor allem für Kitas und Schulen eine große Herausforderung, erläutert Kühn. „Denn dorthin gehen auch Kinder, die privat untergekommen sind.“

Die Kommunen werden den starken Zuzug von Geflüchteten bewältigen. Die Frage ist, mit welchen Nebenwirkungen die Situation bewältigbar ist und bleibt.

Studienautor Boris Kühn, Universität Hildesheim

Für eine Entspannung der Situation fordern rund ein Drittel der Kommunen eine Begrenzung der Zuwanderung. Ein weiteres Drittel fordert, dass sich Bund und Länder bei der Schaffung von Wohnraum engagieren – mit eigenen Unterkünften oder indem sie Grundstücke zur Verfügung stellen oder Vorschriften vereinfachen. Für das letzte Drittel steht eine bessere Finanzierung im Fokus.

Die fordert auch Boris Kühn. Die Kommunen müssten sich um die Geflüchteten kümmern, „brauchen dabei aber die Sicherheit, dass sie dafür Erstattungen bekommen“, sagt der Migrationsforscher. Die Ausländerbehörden will er zudem durch eine Entschlackung von Vorschriften entlasten. Denn auch dort fühlen sich viele Mitarbeiter überfordert, zeigte vor wenigen Tagen eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, die ebenfalls von der Universität Hildesheim durchgeführt wurde.

Insgesamt wirbt Kühn allerdings für eine realistische Einschätzung der Situation. „Die Kommunen werden den starken Zuzug von Geflüchteten bewältigen“, sagt er. „Die Frage ist, mit welchen Nebenwirkungen die Situation bewältigbar ist und bleibt – sowohl für die Geflüchteten als auch für die Bürger.“

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