zum Hauptinhalt
Herausragende Gestalt. Eingerahmt von Bundeskanzlerin Angela Merkel und seiner Frau Maike Kohl-Richter nahm Altkanzler Kohl an dem Festakt im Deutschen Historischen Museum in Berlin teil.

© dapd

Festakt für Helmut Kohl: Der Europäer wird Geschichte

Altkanzler Helmut Kohl wird im Deutschen Historischen Museum in Berlin geehrt. Dabei heben die Redner seinen Beitrag zur Einheit, zu Europa und zum Euro hervor. Doch auch kleinere Gesten der Anerkennung bleiben nicht unbemerkt.

Von Robert Birnbaum

Es ist ja nicht ganz einfach, Angela Merkel in Verlegenheit zu bringen, aber die Sache mit der Briefmarke überfordert sie erkennbar. „Sie müssen mir jetzt sagen, was ich machen muss“, sagt Merkel zu dem Mann mit der Mappe. Der Mann soll aber nur die Mappe auf die Bühne bringen und sonst nichts. Schließlich drückt die Kanzlerin dem Jubilar die Mappe in die Hände und schiebt seinen Rollstuhl näher an die Stellwand heran. Da sieht man ihn noch einmal als Porträt, ein jüngerer, ein gesunder Helmut Kohl, mit diesem halb misstrauischen, halb spöttischen Blick zur Seite. Eine Briefmarke für den „Kanzler der Einheit, Ehrenbürger Europas“ – ein Geste des Dankes, sagt Merkel, und ein Abbild, bei dem es dem Künstler gelungen sei, „die Persönlichkeit Helmut Kohls auf kleinstem Format zur Geltung zu bringen.“

Ansonsten dominiert aber großes Format im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums. Am Montag jährt sich der Tag zum 30. Mal, an dem Kohl erstmals zum Bundeskanzler gewählt wurde. Die Adenauer-Stiftung hat eingeladen, der Lichthof ist bis in die letzten Reihen gefüllt; viele sind gekommen, auch viele aus alten Tagen.

Video: Festakt für Altkanzler Kohl

Einer verspätet sich um ein paar Minuten. Wolfgang Schäuble rollt sich in der ersten Reihe rechts außen auf den freien Platz zwischen Thomas de Maiziere und Anette Schavan. Zwölf Plätze trennen ihn von dem Mann, dessen wichtigster Vertrauter er einmal war. Als der Präsident der Stiftung, Hans-Gert Pöttering, den Finanzminister später namentlich begrüßt, brandet ein starker, langer, warmer Beifall auf. Darin klingt Anerkennung durch und zugleich Solidarität. Kohl hat die Einladung zu Schäubles 70. Geburtstag diese Woche abgesagt. Schäuble ist heute hier, trotzdem und trotz allem. Das ist eine Geste. Kohl klatscht mit, soweit der Gelähmte es eben kann. Auch eine Geste.

Das waren noch Zeiten. Helmut Kohl, CDU-Vorsitzender, spricht 1982 im Bonner Bundestag kurz vor der Abstimmung über das konstruktive Misstrauensvotum gegen den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD).

© dpa

Andere haben es nicht geschafft. Jacques Delors ist krank. Für ihn springt ein anderer früherer EU-Kommissionspräsident ein, der Italiener Romano Prodi. Der Mainzer Altbischof Karl Lehmann musste ins Krankenhaus – nichts Schlimmes, berichtet Karl Jüsten, nur ein Eingriff am Knie, aber immerhin. So muss der Chefdiplomat der Kirche in Berlin Lehmanns Text vorlesen – eine gelehrte und mit vielen Daten gespickte Abhandlung, die, wenn man sie ungebührlich verkürzt, darauf hinausläuft, dass Kohl 1982 die „geistig-moralische Wende“ nicht nur als Wahlkampftrick, sondern ernst gemeint habe. Jedenfalls hat er als Kanzler mit den Bischöfen über Fragen diskutiert, die man damals als moralisch drängende empfand, also etwa „die Verbreitung von Videokassetten“.

Andere alte Weggefährten des 82jährigen hat die Adenauer-Stiftung gleich mit Kamera und Mikrofon daheim aufgesucht. George W. Bush grüßt herzlich von der Leinwand und erinnert an die Nachrüstungsdebatte, John Major daran, wie 1992 bei einem EU-Gipfel in Birmingham sogar die Briten laut skandierten „Kohl forever!“, Schimon Peres grüßt sowie der greise Tadeusz Mazowiecki und Jean-Claude Juncker. Ohne Helmut Kohl, sagt der Luxemburger, gäbe es den Euro nicht, und ohne den Euro hätten wir einen Kontinent der Währungskriege. „So leben wir in relativer Eintracht“, sagt Juncker. „Pass auf dich auf, mach’ es gut!“

Bilder: 16 Jahre Bundeskanzler Kohl

Zuletzt betritt Merkel die Bühne. „Eine Verbeugung vor dem Lebenswerk“ nennt sie den Abend, an dem Helmut Kohl endgültig Geschichte wird: „Uns eint, die wir hier sind, die Hochachtung vor seiner Leistung.“ Alle Redner haben die Einheit hervorgehoben, Europa, den Euro. Merkel würdigt das ebenso. Aber sie fügt den Innenpolitiker dazu, der in 16 Kanzlerjahren auch die Pflegeversicherung eingeführt hat, eine neue Familienpolitik und das Umweltministerium.

Fast zwei Stunden sind vergangen, da pocht Helmut Kohl auf der Bühne gegen das Mikrofon. Das Mikrofon ist laut und deutlich. Seine Stimme ist es nicht mehr. Einzelne Sätze sind klar, das meiste verschwimmt. Man versteht trotzdem sehr gut, was er sagen will: Dank an alle, sogar an die , „die mich provoziert und herausgefordert haben“ - der alte Spott in ihm ist nicht versiegt. Die ernste Mahnung an alle, dass Europa nie mehr im Krieg versinken dürfe. Und die Bilanz eines Lebens, wie es nicht viele erleben durften: „Es war eine phantastische Zeit!“

Der Saal erhebt sich zum Applaus. Auch Wolfgang Schäuble klatscht. Doch noch bevor der Beifall endet, gibt er seinem Rollstuhl einen energischen Schwung und schießt davon in Richtung Hinterausgang. Eine Geste ist genug.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false