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Der Museumsbau des Berliner Architekten Justus Pysall.

© dpa

Deutschland-Polen: Streit um eine Luftfahrt-Sammlung

Sie war legendär: die Luftfahrt-Sammlung in Berlin, das größte Flugzeug-Museum der Welt. Heute stehen große Teile davon in Krakau und werden in einem eben eröffneten Neubau stolz präsentiert. Die Berliner aber hätten sie gerne zurück.

Wenn es um Flugzeuge geht, werden Männer zu Kindern. Zum Beispiel Krzysztof Radwan: Wie ein Schuljunge strahlt er über den Bubenstreich, den er vollbracht hat. Ihm ist es gelungen, eine schwedische Saab Viggen quer durch die ganze Stadt Krakau zu transportieren. Weil das Manöver zu lange dauerte, musste man das tonnenschwere Teil nachts auf einem Parkplatz abstellen. Am nächsten Tag waren 5000 Zuschauer da. Und das Museum für Luftfahrt, dessen Direktor Radwan ist, war in ganz Polen bekannt.

Auch Justus Pysall, den Berliner Architekten, hat das Flugzeug-Virus gepackt. Als er das erste Mal in Krakau war, mit einer großen Gruppe, lauter ernsthafte Architekten und Planer, die sich um den Auftrag für einen Museumsneubau bewarben, kam das Angebot der polnischen Monteure: Wollt ihr mal in ein Flugzeug steigen? – Ach nein, warum denn, wir sind doch nicht zum Spaß hier, kam die verlegene Abwehr. Bis einer bekannte: Eigentlich würde ich ja doch ganz gern... Stundenlang sind sie dann in die Maschinen gestiegen, haben alles ausprobiert. In diesem Hangar in Krakau stehen immerhin fast 60 historische Flugzeuge. Seitdem schwärmt auch Justus Pysall für Flugzeuge.

Es ist wie eine Zeitreise, die Fahrt hinaus nach Krakau-Rakowice, eine Zeitreise in die Frühzeit der Fliegerei. Dutzende von Flugzeugen drängen sich um das Rollfeld wie etwa die russische Grigorowitsch M 15, ein DoppeldeckerFlugboot aus dem Jahr 1917, oder die Halberstadt CI.II von 1916 aus dem Ersten Weltkrieg, deren Camouflage-Bemalung impressionistische Maler von der Münchner Kunstakademie entwickelten. Aber auch russische Militärmaschinen sind hier zu sehen, ehemalige NVA-MIGs, die Polen nach dem Nato-Beitritt für einen Euro erwarb, und auch eine Tupolew, wie sie Präsident Lech Kaczynski ins Verderben riss.

Hier, im Osten der Stadt war Krakaus erster Flughafen, schon vor dem Ersten Weltkrieg. Hangars, Blechhütten, Teile der alten Landebahn künden noch von der großen Zeit. Als in den 60er Jahren ein neuer Flughafen gebaut wurde, war das Gelände überflüssig geworden und wurde zum Ort des ersten polnischen Luftfahrtmuseums, das nun am Wochenende sein neues Eingangsgebäude eröffnet hat. Mit mehr als 200 Flugzeugen ist es eines der zehn größten Europas, mit einer Sammlung, die gerade im Bereich der ganz frühen Luftfahrt einzigartig ist.

Ein umstrittener Ruhm. Denn den Grundstock des Museums bildet die deutsche Luftfahrt-Sammlung aus Berlin. Sie war einst die größte ihrer Art auf der Welt. 20 Flugzeuge sind eindeutig den deutschen Beständen zuzuordnen, 20 von ehemals über 100, die 1943 mit drei Sonderzügen nach Pommern gebracht wurden. Der Rest ist verschollen, von den Russen 1945 zerstört oder nicht mehr zu orten. Jahrzehntelang hat ein deutsch-polnisches Team nach Fotos und Beschreibungen versucht, die Sammlung zu rekonstruieren. Man vermutet noch Teile in russischen Depots. Doch außer in Krakau ist nie mehr etwas aufgetaucht.

Vor einem der Hangars in Krakau steht Piotr Lopalewski, er trägt die grüne Arbeitskluft des Monteurs. Stundenlang führt er über das Gelände, erläutert jedes einzelne Flugzeug. Er ist der Kurator für die Sammlung und ein wandelndes Lexikon. Fachmann und Fanatiker gleichzeitig, er weiß, was er hat: unersetzliche Stücke, die letzten auf der Welt.

In einer Halle hinter dem großen Hangar steht Lopalewski schließlich vor den Resten der Berliner Sammlung, die noch nicht restauriert wurden. Und er erzählt die dramatische Geschichte, wie die noch rauchenden Trümmer in Berlin von den Museumsmitarbeiter aus der Haupthalle geschafft wurden, nachdem diese von Bombern getroffen worden war, und in Nacht und Nebel auf Eisenbahnwaggons verladen und abtransportiert wurden. Eine schöne Geschichte, allerdings ist sie nicht ganz wahr: Das Deutsche Luftfahrtmuseum wurde im Sommer 1943 evakuiert, und zwar fast vollständig. Das Museum aber wurde erst im November 1943 von Fliegerbomben getroffen.

Es ist gleichwohl ein eindrucksvoller Flugzeug-Friedhof, der in der Krakauer Halle zu besichtigen ist. Angesichts der rußgeschwärzten Rumpfteile, der zerrissenen Flügel, der noch deutlich erkennbaren deutschen Beschriftung kann man sich die Erregung gut vorstellen, die deutsche Museumsleute packte, als sie in den 80er Jahren erstmals in Krakau die Überreste der legendären Sammlung sahen. Holger Steinle, heute Vize-Direktor des Berliner Museums für Verkehr und Technik, war mit seinem polnischen Wissenschaftskollegen Marian Krzyzan schon früh am Ort. Die Kontakte zu den Museumsleuten waren gut, und doch waren die deutschen Bestände bei aller Diplomatie für die Besucher nicht zugänglich. Aber irgendwann gelang eben doch der Blick in den Schuppen, in dem die weltberühmten Stücke lagerten.

Heute ist hier der hölzerne Rumpf einer Levavasseur Antoinette zu sehen, die Luftpionier Hubert Latham 1909 von Paris nach Berlin flog. Eine Geest Möwe 5 von 1913, deren zerrissene Flügel tatsächlich einer Möwe ähneln. Die rußgeschwärzte Motorgondel eines ZeppelinDoppeldeckers aus Staaken. Oder eine Friedrich Taube, ein Nachbau der ab 1909 entwickelten Etrich Taube – auch sie mit zerrissenen Flügeln. Und es gibt den Rumpf einer Messerschmitt Me 209 V-I, dem Propeller-Flugzeug, mit dem Fritz Wendel 1939 der Weltrekord von 755 Stundenkilometern gelang. Motor, Tragflächen und Fahrgestell sind verschollen.

Nach und nach werden die Flugzeuge in Krakau restauriert, sorgfältig und liebevoll. Viele Stücke sind inzwischen in die allgemeine Sammlung integriert. Darunter Objekte, die für beide Seiten hohen emotionalen Wert haben: die Curtiss Hawk des Fliegers Ernst Udet zum Beispiel, die nach seinem Tod in die Berliner Sammlung gelangte. Das Stück wird etwas am Rande präsentiert, nicht ohne Grund: Der flügellose Rumpf trägt auf einer Seite der Heckflosse das Hakenkreuz, auf der anderen Seite das Schwarz-Weiß-Rot der Weimarer Republik. Mit diesem Flugzeug flog Udet 1936 seine Kunststücke anlässlich der Olympischen Spiele in Berlin. Die Amerikaner würden Millionen für das Modell zahlen. Wichtiger aber ist den Polen eine PZL P.11 c, ebenfalls aus der Berliner Sammlung. Das Flugzeug gehörte 1939 zu der in Krakau stationierten 121. Jagdstaffel und wurde bei Kriegsausbruch von Deutschen erbeutet und nach Berlin gebracht. Nun ist sie wieder in Krakau zu sehen.

Fliegergeschichte. Nationalgeschichte. Kein Wunder, dass die Sammlung bis heute ein Zankapfel zwischen Polen und Deutschen ist, ähnlich wie die ebenfalls in Krakau lagernden Berlinka, die Bestände der Preußischen Staatsbibliothek aus Berlin mit Originalhandschriften von Luther und Goethe, Bach und Beethoven, Mozart und den Gebrüdern Grimm. Fragen nach Eigentum und Rechtsgrundlagen stellt man hier in Krakau besser nicht. Und doch haben die Polen, in ihrem ersten europaweit ausgeschriebenen Wettbewerb nach dem EU-Beitritt, mit Justus Pysall ausgerechnet einen Berliner Architekten ausgewählt, um das neue Hauptgebäude des Luftfahrt-Museums zu bauen. Noch dazu einen, der sein Büro in Kreuzberg mit Blick auf das Museum für Verkehr und Technik am Gleisdreieck hat. Eben jenes Museum, in dem die deutsche Luftfahrt-Sammlung rechtmäßig ihren Platz hätte.

Er habe sich oft wie ein kleiner Botschafter Deutschlands in Polen gefühlt, der jeden Fehltritt von Erika Steinbach kommentieren musste, erzählt Justus Pysall in Krakau auf der Hotelterrasse. Der Blick von hier geht auf den Wawel, die Königsburg, wo der im April 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Lech Kaczynski nach einigem Streit seine letzte Ruhe gefunden hat. Am Katyn-Denkmal am Fuße des Wawel sind noch immer Blumen und Kerzen zu sehen. Flugzeug-Geschichten sind oft Absturzgeschichten.

Pysall und sein deutsch-polnisches Architektenteam haben in Krakau ein beeindruckendes Gebäude geschaffen, für 13 Millionen Euro, die größtenteils aus EU-Fördertöpfen stammen. Ein kühner, moderner Bau, in einer Stadt, in der moderne Architektur nicht gerade angesagt ist. Er orientiert sich an den Grundrissen der historischen Hangars, 60 mal 60 Meter, zwölf Meter hoch. Sichtbeton, Aluminium, Glas, das sind die einzigen Materialien, ein kühler, zurückhaltender Rahmen für die Attraktionen, die er beherbergt. Licht, Luft, Ausblick waren für Pysall zentral, bloß keine Säulen, Schnüre, Einbauten, die den Raum verstellen. Im Sommer lassen die Glaswände sich beiseiteschieben, es wirkt, als könnten die in der Halle gezeigten Fluggeräte jederzeit wieder zum Rollfeld fahren, um abzuheben.

Präsentiert wird hier ein Querschnitt durch 100 Jahre Fliegergeschichte, von Otto Lilienthal (im Nachbau) bis zum selbst gebauten „Kuckuck“ aus den 70er Jahren, den sein Schöpfer Eugeniusz Pieniazek nutzte, um von Krosno über Jugoslawien nach Schweden zu fliehen. Dazu gibt es ein Bordkino, ausgestattet mit Ledersesseln von der Lufthansa, Café und Bibliothek sowie ein Experimentierfeld, in dem Kinder und Erwachsene Physik und Technik des Fliegens erfahren sollen, mit Flugsimulator und Heißluftballon. Am Sonnabend ist das Gebäude eröffnet worden, unter Beteiligung großer polnischer Polit-Prominenz. Von deutscher Seite war niemand dabei, auch nicht Holger Steinle, der die Sammlung so gern wieder im Berliner Technikmuseum sähe.

Steinle, ein mindestens so begeisterter Flugzeugjäger wie Piotr Lopalewski, sitzt derweil in seinem Büro im Berliner Technikmuseum und erzählt von den Anfängen seiner Flugzeug-Recherche. Wie er ein Buch über den Hamburger Bahnhof in Berlin schrieb und dabei auf das Gelände westlich des Lehrter Bahnhofs stieß. Noch in den 80ern kündeten Freitreppe und Löwenskulpturen davon, dass hier einst ein Ausstellungsgelände war. 1882 war zunächst eine Hygiene-Ausstellung geplant, doch das Hauptgebäude brannte vier Tage vor Eröffnung ab. Ein Jahr später eröffnete die HygieneAusstellung dann, es gab ein DioramenHaus in Form eines Ägyptischen Tempels, ein Panorama in Form einer Tempelanlage, und ein Künstlerhaus in Form einer italienischen Gaststätte diente der Verlustierung auf dem Gelände. Der Zentralbau mit seiner gigantischen Eisenkuppel diente jahrzehntelang für Kunstausstellungen, bis es ab 1936 zur Präsentation der deutschen Luftfahrt-Sammlung genutzt wurde.

Heute kündet nur noch das Restaurant Paris-Moskau, das sich im ehemaligen Parkwärterhäuschen befindet, vom Ausstellungsgelände, auf dem gerade das Innenministerium entsteht. Das Hauptgebäude des Museums wurde im Krieg fast völlig zerstört. Im Berliner Technikmuseum steht heute nur noch das Modell der Luftfahrt-Ausstellung, dazu sind Eintrittskarten, Plakate, Programme zu sehen – und Fotos von Besuchern, die mit ihren Kindern vor den Maschinen posieren.

Natürlich hätte Holger Steinle gern seine Sammlung zurück. Mitte der 80er Jahre hatte er mit den polnischen Kollegen auch schon ein Restaurierungs- und Austauschabkommen geschlossen. Doch die Wende und die politischen Umwälzungen kamen dazwischen. Heute berichtet man in Krakau bitter, dass Steinle eine Jeannin Stahltaube von 1914, die als eines von zwei Flugzeugen in Berlin gemeinsam von deutschen und polnischen Kollegen restauriert wurde, keineswegs wie verabredet nach fünf Jahren wieder zurückgegeben hat. Das Flugzeug steht, als einziger Zeuge der ehemaligen Sammlung, auch 20 Jahre später noch in Berlin, ohne Hinweis darauf, dass es eine polnische „Leihgabe“ im Rahmen eines Austauschabkommens ist. Für weitere Verhandlungen ist das nicht förderlich, für weitere Leihgaben geradezu fatal. Auch wenn Holger Steinle versucht hat, gemeinsam mit den polnischen Kollegen einen Kompromiss auszuarbeiten, bei dem jeder die für sein Land wichtigsten Modelle bekommen sollte und alles auf Austausch und gegenseitiger Hilfe beruht. Die offiziellen Gespräche zu dieser Frage ruhen seit 2006.

Andererseits findet sich auch in Krakau kaum ein Hinweis darauf, woher die so stolz präsentierten Stücke stammen, die Sammlung firmiert intern als „GöringSammlung“. Die Geschichte, die noch jeder deutsche Schriftzug auf den Flugzeug-Tragflächen erzählt, wird in der Museumsdidaktik totgeschwiegen. Und Krzysztof Radwan, der das Museum seit 21 Jahren leitet, führt auf Fragen nach Eigentum und Kompromissmöglichkeiten nur die offiziellen Standpunkte an: Polen habe selbst so viel Kulturgut durch die Deutschen verloren – so existieren von den über 100 Zwischenkriegszeit-Modellen der polnischen Luftfahrt gerade noch sechs. Außerdem hätten die Deutschen die Flugzeuge ja selbst in Pommern zurückgelassen, sie seien damit an Polen gefallen.

Verhärtete Fronten, bei aller gemeinsamen Begeisterung für die Luftfahrt. Zur Eröffnung des Museums möchte man den polnischen Kollegen ein Geschenk machen, kündigte Steinle in Berlin an. Eine Bronzemedaille von 1929, die der rumänische Aeroclub zum Europa-Rundflug herausgegeben hatte. Gewonnen hatten damals zwei Deutsche und zwei Polen. Das war, als dieser Unterschied noch nicht so wichtig war. Fliegen war einst eine internationale Angelegenheit.

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