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Politik: Die Wahl der Qual

Die SPD in Wiesbaden hadert mit ihrem Schicksal – und will die OB-Kandidatur vor Gericht erstreiten

Es bleibt dabei: Die SPD hat keinen Kandidaten für die Wahl des Wiesbadener Oberbürgermeisters. Mit den Stimmen von CDU, FDP und Grünen lehnte die Stadtverordnetenversammlung den Antrag der SPD ab, die Wahlen auf Ende April zu verschieben. Damit wäre dem früheren Stadtdekan Ernst-Ewald Roth doch noch eine fristgerechte Bewerbung zur Wahl möglich gewesen. Auch der Wahlausschuss ließ die Kandidatur von Roth nicht zu. Seine Bewerbungsunterlagen waren erst am 5. Januar eingegangen, am Tag nach Ablauf der Bewerbungsfrist. „Hochnotpeinlich“ fanden das auch SPD-Anhänger, die dennoch unter dem Motto „Demokratie heißt eine Wahl haben“ Unterschriften sammelten, um doch noch eine Kandidatur von Roth zu ermöglichen. Ob die Verantwortung für das Debakel alleine die SPD trifft, ist in Wiesbaden heiß umstritten. „Warum hat der Wahlleiter der SPD nichts gesagt?“, fragen sich selbst politische Gegner von Roth. Ob Wahlleiter Peter Grella dazu verpflichtet gewesen wäre, war der Hauptstreitpunkt in der Sitzung des Wahlausschusses.

Dass Grella hätte aktiv werden müssen, meinte vor dem Wahlausschuss der von der SPD beauftragte Verwaltungsrechtler Jens Kolter. Denn der Wahlleiter sei gesetzlich verpflichtet, eine ordnungsgemäße Wahl zu ermöglichen. Stattdessen hätte er sehenden Auges die Katastrophe einfach auf sich zukommen lassen. Der ehemalige hessische Staatssekretär Paul Leo Giani pflichtete dem bei: Grella hätte nicht schweigen dürfen, er hätte alles tun müssen, um den Mangel der fehlenden Bewerbung zu beseitigen und den Wiesbadener Bürgern damit eine demokratische Wahl zu ermöglichen. CDU-Mann Grella ließen die Angriffe kalt, geradezu desinteressiert ließ er sie über sich ergehen. Ohne ein Wort des Bedauerns teilte er knapp mit: „Das ist kein Mangel, das ist ein nicht eingereichter Wahlvorschlag.“

Fast zwei Stunden wurde im voll besetzten Saal darüber gestritten, welche Pflichten ein Wahlleiter hat und was eigentlich eine demokratische Wahl ist. „Was wäre denn gewesen, wenn irgendeine parteilose Bürgerin ihre Kandidatur öffentlich angekündigt hätte, ohne die Formalitäten zu beachten?“, fragte ein Ausschussmitglied. „Hätten Sie als Wahlleiter da nicht dafür sorgen müssen, dass die Bürgerin kandidieren kann?“ Zu dieser Frage schwieg Grella, er sagte nur, dass er als Wahlleiter nicht einzugreifen habe, das gebiete seine Neutralität.

Was ein Wahlleiter tun müsse, will die SPD nun vor Gericht klären lassen. Doch es bleibt auch die Frage, was ein Wahlleiter tun darf. Die stellen sich viele in Wiesbaden: Nur wenige Stunden vor Fristablauf war ein Stadtverordneter der SPD zufällig im Wahlamt, plauderte dort mit dem Amtsleiter über die Wahlchancen von Ernst-Ewald Roth. Der rechnete dem SPD-Kandidaten sogar gute Chancen aus. Der SPD-Mann findet es menschlich enttäuschend, dass ihm nicht einmal der kleinste Hinweis auf die fehlende Bewerbung gegeben wurde. Auch für den Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter ist die Vorgehensweise von Grella „eine Frage des politischen Anstands“. Es hätte für den Wahlleiter eine Reihe von Möglichkeiten gegeben, das zu verhindern, erklärte Falter.

Auf der anderen Rheinseite schüttelt man derweil den Kopf über die ohnehin nicht beliebten Wiesbadener. In Mainz, meint ein Busfahrer, wäre so etwas nicht passiert. Da gehe man anders miteinander um, hätte sich das schon irgendwie gesteckt. Aber wundern tut’s ihn nicht, es wisse ja jeder: Das Beste an Wiesbaden seien die Busse, die nach Mainz fahren. Für die Wiesbadener kaum ein Trost: Aber sie dürfen sich auf die Büttenreden der Mainzer Fastnacht freuen.

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