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Zu streng? „Fördern und fordern“, lautet das Prinzip der Hartz-Reformen. Ob die Jobcenter dabei zu weit gehen, darüber beraten seit Dienstag die obersten Richter.

© imago/photothek

Bundesverfassungsgericht: Hartz-IV-Sanktionen vor Gericht

Bundesarbeitsminister Heil verteidigt die Sanktionen für Hartz-Empfänger vor dem Bundesverfassungsgericht – aber nur halbherzig.

Es sind Schicksale wie das von Christy Schwundeck, die dem Streit um die Hartz IV genannte Grundsicherung seine Schärfe geben. Die Frau starb in einem Jobcenter in Frankfurt am Main nach einem Konflikt um ihr Geld durch einen Schuss der Polizei. Notwehr, ergaben die Ermittlungen, Schwundeck habe ein Messer gezogen. Am Mittwoch erinnern von Aktivisten aufgestellte Kreuze vor den Türen des Bundesverfassungsgerichts an Schwundeck und andere vermeintliche Opfer, die das aus ihrer Sicht allzu rigide Sozialsystem gefordert habe.

Suizide, Abrutschen in Obdachlosigkeit, Gewalt in Jobcentern – solche Vorfälle gibt es immer wieder, aber sind sie auch Indizien dafür, dass etwas schiefläuft im Wohlfahrtsstaat Bundesrepublik? Drinnen im Gericht eröffnet der neue Vorsitzende des Ersten Senats und frühere langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth die Verhandlung zu den sozialrechtlichen Hartz-IV-Sanktionen mit Worten, die Einfühlung zeigen sollen: „Wir wissen, dass die heute hier zu verhandelnde Thematik für viele Menschen in schwierigen Lebenslagen sehr wichtig ist. Sie betrifft ihre grundlegenden Bedürfnisse. Das nehmen wir ernst.“

Eine solche Lebenslage war es auch, die das Sozialgericht Gotha veranlasst hat, den Fall eines Hartz-Empfängers in Karlsruhe vorzulegen. Der Mann hatte ein Jobangebot als Lagerarbeiter, das er aber ablehnte, weil er im Verkauf arbeiten wollte. Zur Strafe schrumpfte der Regelsatz von 391 auf 270 Euro. Als er dann auch noch einen „Aktivierungsgutschein“ für eine praktische Erprobung verfallen ließ, sank der Satz auf 150 Euro.

Das sind die abgestuften Härten, mit denen der Gesetzgeber seine Maxime vom „Fördern und Fordern“ im Jahr 2005 eingelöst hat. Die grundlose Verweigerung zumutbarer Arbeit gilt als Pflichtverletzung und wird mit 30 Prozent Abschlag vom Regelsatz sanktioniert. Bei einem vergleichbaren Verstoß binnen eines Jahres sind es 60 Prozent, beim dritten gibt es gar kein Geld mehr, auch nicht für Wohnen und Heizen. Das Gros der Sanktionen betrifft jedoch eine andere Kategorie, die sogenannten Meldeversäumnisse, wenn die Jobcenter zum Termin laden und der Kunde nicht kommt. Dann wird in Zehn-Prozent-Schritten gekürzt. Für Empfänger unter 25 Jahren gibt es bei den Sanktionen besonders wenig Toleranz.

Die Maßnahmen sind auf drei Monate beschränkt. Wer sein Verhalten korrigiert, kann nur bei totaler Streichung auf Gnade hoffen. Statt Geld kann es Sachleistungen geben, Gutscheine für Lebensmittel oder Hygieneprodukte. Das Regelsatz-Niveau wird damit nicht erreicht. Miete und Heizkosten werden dann direkt mit dem Jobcenter abgerechnet.

Mehr Milde empfohlen

Dem Bundesarbeitsminister ist anzumerken, dass er das Konzept nur halbherzig verteidigt. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte mehr Milde empfohlen, das sei politisch nicht durchsetzbar gewesen. „Bedauerlich“ findet das Hubertus Heil (SPD), doch an der damaligen Leitentscheidung „für eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik“ will er nicht rütteln. „Die Erfolge können sich sehen lassen“, sagt Heil mit Blick auf die unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) vollzogenen Reformen. Der Sozialstaat müsse Mittel haben, um die zumutbare Mitwirkung einzufordern. Das gelinge auch, Heil verweist dazu auf die aus seiner Sicht niedrige Quote von Empfängern mit einer laufenden Sanktion von rund drei Prozent. Dass solche Zahlen die ganze Wahrheit abbilden, bezweifelt dagegen die Kläger-Anwältin im Thüringer Ausgangsverfahren, Susanne Böhme. Betroffene, die auf Widerspruch verzichten, fänden darin keinen Eingang. Viele Sachbearbeiter begegneten den Hilfebedürftigen zudem mit Vorurteilen und klärten die Fälle nur unzureichend auf. Psychische Probleme als Gründe der Teilnahmslosigkeit würden oft übersehen.

Die Karlsruher Richter beschäftigen sich zum wiederholten Mal mit der Grundsicherung, die amtlich als Arbeitslosengeld zwei firmiert. Bisher beschränkten sich die Fälle auf Regelsatzhöhe und Probleme von Bedarfsgemeinschaften. Nun könnte es grundsätzlicher werden, denn der Gothaer Richter Jens Petermann, der einmal selbst für die Linke im Bundestag saß, stellt mit seiner Vorlage die bisher unbeantwortete Frage, ob mit dem ausgetüftelten Sanktionssystem das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ausgehebelt wird – oder ob es, wie andere Juristen meinen, nicht oder nur eingeschränkt greifen kann, wenn ein Betroffener seine Misere mitverschuldet hat. Das in einigen Monaten erwartete Urteil dürfte sich hier um einen Ausgleich bemühen. Eine Abschaffung der Sanktionen wäre überraschend. Bereits bei der früheren Sozialhilfe konnte es Abstriche geben.

Der Senatsvorsitzende Harbarth stellte klar, dass es nicht darum gehe, ob die gewählten Instrumente „politisch sinnvoll“ seien. Dies zu entscheiden, ist Sache des Gesetzgebers – zu dem Harbarth selbst unlängst noch gehört hat. Wohl deshalb gibt sich der Ex-Politiker zurückhaltend. Ein Urteil könnte die Diskussion darum befördern, ob das Vertrauen in das für die Politik bedeutsamste Gericht leidet, wenn Politiker dort ihre Karrieren bruchlos fortsetzen können.

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