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Afrikanische Flüchtlinge in der St. Pauli Kirche in Hamburg im Oktober 2013.

© dpa/Axel Heimken

40 Jahre Kirchenasyl : Schutzangebote in der Grauzone

Der Todessprung des Türken Cemal Altun war 1983 Auslöser für den Start der Kirchenasylbewegung. Deren Vorsitzende ist entsetzt über die aktuelle „Abwehrrhetorik“ gegenüber Geflüchteten.

Es war der 30. August 1983 im damaligen Berlin (West). Der türkische Asylbewerber Cemal Altun hatte einen Termin vor dem Oberverwaltungsgericht. Es sollte geklärt werden, ob er in Deutschland bleiben darf oder nach einem Auslieferungsantrag in die damals von einer Militärdiktatur reagierte Türkei abgeschoben wird.

In einer Verhandlungspause läuft Altun auf ein Fenster zu, springt hinaus und stürzt sechs Stockwerke in die Tiefe. Er ist sofort tot.

Altuns Suizid wurde zu einer Initialzündung für die Kirchenasylbewegung. Schon wenige Wochen nach seinem Tod nahm die Berliner Heilig-Kreuz-Kirchengemeinde die ersten von Abschiebung bedrohten Flüchtlinge auf. „Eine Reihe von Gemeinden hat damals beschlossen, Geflüchteten in ihrer Furcht vor Verfolgung und Lebensgefahr im Fall einer Abschiebung mehr beizustehen, damit sich solche Verzweiflungstaten möglichst nicht wiederholten“, sagt Pfarrerin Dietlind Jochims.

Die Theologin ist Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche – und zugleich Bundesvorsitzende der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“, die zusammen mit der Evangelischen Akademie Berlin und der Organisation „Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg“ in dieser Woche mit einer Tagung in der Heilig-Kreuz-Kirche an das 40-jährige Bestehen der Kirchenasylbewegung erinnern will.

Kirchenasyl ist gesetzlich nicht klar geregelt

Denn das Thema Kirchenasyl ist noch immer aktuell: Mitte August waren der Arbeitsgemeinschaft bundesweit 431 Kirchenasyle bekannt, in denen 655 Personen Zuflucht gefunden hatten. Darunter befanden sich 136 Kinder. Aus Berlin sind 81 Kirchenasyle mit 108 Personen und aus Brandenburg 22 Fälle mit insgesamt 35 dort untergekommenen Personen bekannt.

Pastorin Dietlind Jochims.
Pastorin Dietlind Jochims.

© Nordkirche/Jonas Nahnsen

„Bei über 90 Prozent der Kirchenasyle handelt es sich um sogenannte Dublin-Fälle, also um die Verhinderung einer Rücküberstellung in das europäische Ersteinreiseland“, sagt Jochims. Das Ziel dieser Kirchenasyle: Der Asylbewerber soll sein Verfahren in Deutschland absolvieren können, statt die oft prekären Bedingungen, die in den Mittelmeerländern für Asylverfahren herrschen, durchleiden zu müssen. Das wird oft erreicht – denn nach sechs Monaten endet die Frist, in der ein Asylbewerber in ein anderes Dublin-Land überstellt werden kann. Dann wird Deutschland automatisch zuständig.

Doch ebenso wie am ersten Tag gibt es bis heute keine klare, gesetzliche Regelung des Kirchenasyls. Die Kirchen bewegen sich hier in einer Grauzone: Es gibt Absprachen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), wonach Kirchenasyle respektiert und zu einer erneuten Einzelfallprüfung genutzt werden sollen, wenn die Gemeinden ausführliche Dossiers über den betreffenden Flüchtling beim Bundesamt einreichen.

Wir erleben derzeit nicht nur das Erstarken der AfD, sondern ein insgesamt sich erschreckend veränderndes Narrativ gegenüber Geflüchteten.

Pfarrerin Dietlind Jochims, Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche und Bundesvorsitzende der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“

Doch nicht immer werden diese Absprachen von den Behörden respektiert. Zuletzt musste sich die Äbtissin eines fränkischen Benediktinerklosters, Mechthild Thürmer, vor Gericht verantworten, weil sie einer Nigerianerin Aufenthalt in ihrem Kloster gewährt hatte. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem das Bayerische Oberlandesgericht in einem anderen Fall entschieden hatte, dass der Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt nicht erfüllt sei, sofern sich die Gewährung von Kirchenasyl auf Unterkunft und Verpflegung beschränke.

Und erst vor einigen Wochen sorgte die Festnahme eines kurdischen Ehepaars, das sich in einem Kirchenasyl im nordrhein-westfälischen Kreis Viersen befand, für bundesweite Kritik. Die Abschiebung wurde schließlich abgesagt.

„Wir erleben derzeit nicht nur das Erstarken der AfD, sondern ein insgesamt sich erschreckend veränderndes Narrativ gegenüber Geflüchteten“, sagt Jochims. In der Gesellschaft erstarke eine „Abschreckungs- und Abwehrrhetorik“, die sich bis „in manche Aussagen der Bundesregierung hinein“ ziehe. „Geflüchtete werden verantwortlich gemacht für lange existierende Probleme etwa beim Wohnungsbau und beim Lehrermangel, während das Potenzial von Zuwanderung noch nicht genügend betont wird.“

Die Theologin sieht die eigene Bewegung deswegen weiterhin vor großen Herausforderungen: „Unser Wunsch ist, dass das europäische Asylsystem einen humanitären Raum der Sicherheit für Schutzsuchende gewährleistet – und das Kirchenasyl damit möglichst überflüssig wird.“ Doch angesichts der anstehenden Veränderungen des europäischen Asylrechts sei gerade das im vierzigsten Jahr der Kirchenasylbewegung wohl am wenigsten zu erwarten.

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