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Der Brexit rückt immer näher.

© Jens Kalaene/dpa

London und der Brexit: Ihr viel zu kleines Pfund

Die britische Regierung schachert bei den Brexit-Verhandlungen, als habe sie die Lage gar nicht begriffen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Nissan hat dieser Tage angekündigt, die Kapazitäten seines Vorzeigewerks im britischen Sunderland auszubauen. Der japanische Hersteller, bei dem der französische Renault-Konzern das Sagen hat, setzt also auf die Insel als Standort, auch nach dem Brexit. 600.000 Autos sollen dort bald jährlich vom Band rollen, zwanzig Prozent mehr als heute. Zudem will Nissan erreichen, dass 80 Prozent der Zulieferteile künftig aus britischer Produktion kommen – bisher sind es 40 Prozent. Die Brexit-Befürworter jubelten und sahen die Nachricht als Beweis, dass alle Befürchtungen, der EU-Austritt werde wirtschaftlich nachteilige Folgen haben, unbegründet seien.

Doch warum steigert Nissan die Produktion so massiv, und warum will der Konzern mehr Zulieferung aus Großbritannien? Ganz einfach: Um absehbare Nachteile des Brexit auszugleichen, soll in Sunderland geklotzt werden. Offenkundig geht man beim japanischen Autobauer (und mutmaßlich noch mehr in der Pariser Oberzentrale mit ihren guten Regierungskontakten) von zweierlei aus: dass es zu keiner Lösung mit der EU kommt, die einen reibungslosen Handel wie bisher im Binnenmarkt garantiert, und dass der Pfund-Kurs auf Jahre hinaus zum Euro niedrig bleibt (was für das importabhängige Großbritannien keine wirklich gute Entwicklung wäre). Eine schwache britische Währung begünstigt zwar den Export auf den Kontinent, gleichzeitig werden eingeführte Wagen teurer (auch Renaults), weshalb Briten eher auf etwas billigere einheimische Angebote umsteigen werden. Daher die Kapazitätssteigerung bei Nissan. Dass aber die Zulieferung massiv auf britische Produktion konzentriert wird, hängt mit den strengen Handelsregeln der EU zusammen: Mehr als 50 Prozent der Teile eines Autos, das im Binnenmarkt verkauft wird, müssen aus EU-Produktion sein. Im Fall Nissan müssen es dann also mehr als 50 Prozent aus britischer Produktion sein, um zollfrei in die EU zu gelangen, und mit 80 Prozent ist man für alle Fälle gerüstet. Derzeit kommen nur 40 Prozent der Teile aus dem Königreich selbst. Die Verdopplung wird die Nissans aus Sunderland freilich nicht billiger machen, jedenfalls nicht für britische Käufer.

Wer hält das Heft in der Hand?

Hinter der gut klingenden Firmennachricht steckt also die Erwartung eines nicht ganz so guten Ergebnisses bei den Brexit-Verhandlungen mit der EU. Die Regierung von Premierministerin Theresa May wird die Ankündigung Nissans in seiner gesamten Wirkung hoffentlich verstanden haben. Es wird vielleicht nichts werden mit dem erhofften sanften Übergang in das Leben nach der EU-Mitgliedschaft. Dennoch trat Austrittsminister David Davis zuletzt in Brüssel auf, als ob Großbritannien das Heft in der Hand habe. Noch immer macht man sich in London große Illusionen und setzt darauf, dass die eigene Marktmacht die Partner auf dem Kontinent beeindruckt. Aber Importabhängigkeit ist keine Stärke. Zu den Illusionen, die zuletzt wieder stärker gepflegt werden, gehört auch die Absicht, die EU-Mitgliedstaaten von der Kommission in Brüssel zu trennen - als ob Jean Claude Juncker und Michel Barnier mehr wären als Ausführende des Willens der im Europäischen Rat versammelten Regierungschefs. Und die werden sich von den Briten nicht auseinanderdividieren lassen.

Signale der Vernunft

Zwar hat es zuletzt einige Signale aus London gegeben, die darauf hindeuten, dass man die Gespräche vernünftig voranbringen möchte - nachdem es seit dem Austrittsantrag im März praktisch keine Bewegung gegeben hat, die Zeit regelrecht verplempert wurde. Bei den Konservativen scheinen sich der moderate Schatzkanzler Philip Hammond und Davis zu einer Art Achse der Vernunft zusammengetan zu haben, die Brexit-Hardliner auf dem rechten Flügel der Partei waren zuletzt etwas weniger bissig als sonst, selbst von Außenminister Boris Johnson kann man Sätze zitieren, die auf den Wunsch nach einem Verhandlungserfolg schließen lassen. Doch will man sich wohl zumindest bis zum Parteitag der Konservativen Anfang Oktober widerspenstig geben, als tapfere Davids im Kampf gegen den EU-Goliath, als wackere Helden gegen die Übermacht des Brüsseler Monsters. Danach sollten sie aber herunterkommen von ihrer etwas peinlichen Nummer, hinter der Angst vor der eigenen Basis und der eigenen europafeindlichen Wählerschaft steckt, der man (noch) nicht verklickern will, was Brexit wirklich heißt. Wenn die britische Regierung tatsächlich eine sanfte Übergangsphase innerhalb von Binnenmarkt und Zollunion will (und danach sieht es aus), und wenn sie dauerhaft eine möglichst enge Bindung an die EU sucht (was sie vorgibt), dann sollte sie aufhören, die Gespräche zu führen wie Tarifverhandlungen, in denen es um eine Zahl hinter dem Komma geht. Ein klarer Hinweis, dass man es auf britischer Seite mit ernsthaften Partnern zu tun hat und nicht mit Leuten, die in Wirklichkeit das Scheitern anstreben, um es der EU anhängen zu können, wäre zu begrüßen.

Geld ist kein Verhandlungshebel

So könnte London den Streit um die finanziellen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Brexit durch ein konkretes, beziffertes und großzügiges Entgegenkommen beilegen. Die harte Haltung von EU-Verhandler Michel Barnier bei diesem Thema ist keine Erpressung, wie es in britischen Zeitungen nun heißt, sondern ein Test auf die Ernsthaftigkeit Londons. Die in Rede stehenden Summen (irgendwo zwischen 30 und 60 Milliarden Euro) sind gar nicht groß genug, um die EU wirklich zu beeindrucken – das steckt die Union weg, da war die Finanzkrise eine andere Herausforderung. Das Geld ist kein Verhandlungshebel für London, im Gegenteil: Je länger die Briten sich hier zickig zeigen und sich in juristische Detaildebatten verirren, umso lächerlicher machen sie sich in der ganzen Welt. Mit einem Angebot, das die EU-Kommission nicht wegdebattieren kann, könnte London den geforderten Durchbruch zu den wichtigen Themen selbst schaffen. Schnell wäre dann wohl die EU-Forderung vom Tisch, dass der Europäische Gerichtshof nach dem Brexit oberste Instanz für EU-Bürger auf der Insel bleiben soll, falls sie ihre Rechte aus dem Austrittsvertrag einklagen müssten. Denn das ist schon eine Zumutung für ein Land mit gewachsener Rechtstradition und einem international anerkannten Gerichtswesen. Auch wenn die Regierung schlampt oder Unrecht geschehen lässt (wie zuletzt bei den hundert Ausweisungsbriefen an unbescholtene EU-Bürger, die ihr Recht auf Niederlassungsfreiheit wahrnahmen) - in die britischen Richter sollte ganz Europa vertrauen können.

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