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Der Deutsche Bundestag steht unter dem Einfluss unzähliger Lobbyisten.

© dpa/Michael Kappeler

Maskendeals und Graichen-Affäre: Diese Lücken lässt die Ampel für Lobbyisten

Die Organisation Lobbycontrol erklärt in ihrem neuen Bericht, dass es zwar Fortschritte gebe, aber weiter „gravierende Missstände“ herrschten. Besonders in vier Feldern müsse man handeln.

Die Graichen-Affäre, Kubickis Kreuzfahrt oder ein Waldschutzgesetz, das von der Forstwirtschaft mitbestimmt wird – alles Anzeichen dafür, dass auch die Ampelkoalition noch jede Menge Arbeit vor sich hat, wenn sie für mehr Transparenz in der Politik sorgen will.

Zu diesem Ergebnis kommt auch der Verein Lobbycontrol, der an diesem Donnerstag eine knapp 80-seitige Zwischenbilanz über die Arbeit der Bundesregierung im Bereich der politischen Einflussnahme vorgelegt hat.

Das Fazit der gemeinnützigen Politkontrolleure: Nach gut zwei Jahren habe die Ampel viele Vorhaben im Bereich Transparenz und Lobbyregulierung aufgeholt, die jahrzehntelang versäumt wurden.

„Trotzdem bleiben gravierende Missstände, die behoben werden müssen, um das Vertrauen in unsere Demokratie zu stärken“, sagt Timo Lange von Lobbycontrol. In vier Punkten sieht der Verein besonderen Nachholbedarf.

1. Parteispenden und Wahlkampffinanzierung

Die Transparenz bei Parteispenden und Wahlkampffinanzierung bleibe unzureichend. In Deutschland gibt es, anders als in 19 von 27 europäischen Ländern, keine Obergrenze für Spenden. Das führt zu ungleichen Ausgangslagen im Wahlkampf, weil die Kassen der im Bundestag vertretenen Parteien unterschiedlich gut gefühlt sind.

Robert Habeck und sein ehemaliger Staatssekretär Patrick Graichen, der seine Arbeit wegen persönlicher Verflechtungen niederlegen musste.
Robert Habeck und sein ehemaliger Staatssekretär Patrick Graichen, der seine Arbeit wegen persönlicher Verflechtungen niederlegen musste.

© picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

Wer mehr Geld hat, kann auch mehr für Plakate und Werbefilme ausgeben. Im vergangenen Jahr strichen die Unionsparteien zusammen sechsmal so viel Spendengelder (1,8 Millionen Euro) ein, wie FDP (307.000 Euro), AfD (265.000 Euro), Grüne oder SPD (jeweils 250.000 Euro). Obwohl es Regeln für diesen Bereich gibt, würden diese häufig nicht durchgesetzt, bemängelt der Anti-Lobby-Verein.

Offiziell ist die Bundestagsverwaltung dafür zuständig, ihr fehlen jedoch sowohl die Ressourcen als auch die Befugnisse, gegen Verstöße vorzugehen. Ein Negativbeispiel ist der Vorfall um die Parteispende von Christoph Gröner an die Berliner CDU.

2. Interessenskonflikte in Bundesministerien

Schon in Firmen ab 50 Mitarbeitern gibt es sogenannte Compliance-Vorschriften, die verhindern sollen, dass Mitarbeiter Berufliches mit Privatem vermischen oder offen für Bestechung sind.

Die Fälle Patrick Graichen, der ehemalige Staatssekretär von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), und die Wasserstoff-Affäre um Klaus Bonhoff im Verkehrsministerium zeigten jedoch, dass man in den Ministerien noch viel zu sehr auf das Selbsteinschätzungsvermögen von Beamten und Beschäftigten setzt. Verbindliche Anzeigepflichten im Falle von Interessenskonflikten in Bundesministerien gibt es kaum.

Die bestehenden Regeln werden nicht konsequent durchgesetzt und kontrolliert, und zwar in allen Feldern.

Timo Lange, Experte für Lobbyregulierung

Es brauche daher dringend modernisierte Regeln in den Bundesministerien, sagt Lange von Lobbycontrol. „Private finanzielle Interessen oder Unternehmensbeteiligungen müssen künftig anzeigen werden. Genauso wie potenzielle Interessenkonflikte wegen privater Beziehungen bei Besetzungs- und Bewilligungsverfahren“, sagt der Lobbyismus-Experte.

Es gibt zwar eine Empfehlung des Europarats zum Thema Korruption, aber die Bundesregierung hat diese noch nicht in nationales Recht umgesetzt.

3. Karenzzeit konsequent durchsetzen

Immer wieder schlagen Ex-Minister oder Staatssekretäre Kapital aus ihrer politischen Tätigkeit, indem sie die Seiten wechseln und lukrative Jobs als Vorstandsvorsitzende oder Geschäftsführer annehmen. Zuletzt zum Beispiel der Umweltstaatssekretär Florian Pronold (SPD), der heute als Geschäftsführer des Instituts Bauen und Umwelt arbeitet.

Es gibt zwar eine Karenzzeit von maximal 18 Monaten, „aber die bestehenden Regeln werden nicht konsequent durchgesetzt und kontrolliert“, sagt Timo Lange. So scheint es kaum Prüfungen zu geben, inwiefern neue Tätigkeiten überhaupt gemeldet werden. Zudem gebe es keine Sanktionen, wenn die Sperrfristen nicht eingehalten werden, heißt es im Bericht.

4. Lobbyregister verschärfen

Nachbesserungsbedarf gibt es laut dem Anti-Lobbyverein auch noch beim Lobbyregister: Zwar muss inzwischen angezeigt werden, welcher Politiker sich mit welchen Interessensvertretern trifft, aber inwiefern der Inhalt aus diesen Gesprächen dann in Gesetzentwürfe einfließt, sieht man nicht.

Zudem sind Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Kirchen und Religionsgemeinschaften von der Meldepflicht ausgenommen. Dabei verfolgt ein Kirchenvertreter sicherlich auch eine Agenda, wenn er mit Ministerialbeamten beispielsweise über einen Abtreibungsparagrafen spricht.

Was braucht es also nach Meinung von Lobbycontrol, einem Verein, der sich über Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert? „Eine starke, politisch unabhängige Aufsicht für Transparenz und Integrität nach dem Vorbild der Hohen Behörde für Transparenz in Frankreich“, schlägt Lange vor.

Eine solche Institution könnte vielen Bürgern das Vertrauen zurückgeben, dass nicht nur das Geld darüber entscheidet, welche Bedürfnisse von Personen und Wirtschaftszweigen, Einfluss auf politische Entscheidungen haben.

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