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ARCHIV - 07.07.2018, Niedersachsen, Glandorf: SYMBOLBILD - Pilger der 166. Telgter Wallfahrt gehen im Gegenlicht auf einer Straße und halten ein Kreuz. Im Hintergrund ist der Kirchturm der römisch-katholischen Kirche von St. Johannis zu sehen. Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Zahl der Kirchenaustritte lag bei 522 821, wie die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Mittwoch in Bonn mitteilte. Im bisherigen Rekordjahr 2021 waren es 359 338. (ACHTUNG - Bild darf nicht aufgehellt werden) Foto: Friso Gentsch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Friso Gentsch

Update

Mehr als halbe Million Mitglieder verloren: Zahl der Austritte aus katholischer Kirche erreicht Rekordwert

Für die katholische Kirche in Deutschland verlief das vergangene Jahr desaströs. So viele Mitglieder wie nie zuvor kehrten ihr den Rücken. Ein Kirchenrechtler warnt: „Das wird Deutschland substanziell verändern.“

| Update:

Die katholische Kirche in Deutschland hat im vergangenen Jahr mehr als 700.000 Mitglieder verloren. Grund dafür ist die Rekord-Zahl an Kirchenaustritten in Höhe von 522.821 Menschen, wie die katholische Deutsche Bischofskonferenz am Mittwoch in Bonn bekannt gab.

Das sind so viele Kirchenaustritte wie noch nie und deutlich mehr als im bisherigen Rekordjahr 2021. Damals waren es 359.338. In Deutschland machten die restlichen 20.937.590 Katholiken nach den Zahlen von 2022 noch 24,8 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

„Die katholische Kirche stirbt einen quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit“, sagte der Kirchenrechtler Thomas Schüller der Deutschen Presse-Agentur.

In Berlin fast 11.000 weniger Mitglieder, in Brandenburg über hundert mehr

Im Erzbistum Berlin hat die katholische Kirche im vergangenen Jahr fast 12.000 Mitglieder verloren. Ihre Zahl sank von 384.324 Personen im Jahre 2021 auf noch 372.537 in 2022. Zwar gab es nach den am Mittwoch vom Erzbistum Berlin vorgelegten Zahlen einen Anstieg bei den Taufen. Dieser konnte die Zahl von 13.007 Austritten allerdings nicht kompensieren. In Berlin waren am 31. Dezember 2022 noch 281.427 Frauen und Männer Mitglied der katholischen Kirche. Im Jahr zuvor waren es noch 293.086 Personen.

Die katholische Kirche stirbt einen quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit.

Thomas Schüller, Kirchenrechtler

In Brandenburg stieg die Zahl der Mitglieder dagegen leicht an, von 76.183 auf 76.308. Der größere Teil Brandenburgs gehört zum Erzbistum Berlin, Spreewald und Lausitz zählen allerdings zum Bistum Görlitz, weitere Teile des Kreises Elbe-Elster zum Bistum Magdeburg.

Im zum Erzbistum Berlin gehörenden Vorpommern gab es einen leichten Rückgang, von 14.909 auf 14.654 Mitglieder. Vorpommern gehört zum Erzbistum Berlin, Mecklenburg zum Erzbistum Hamburg.

In Berlin lag die Zahl der Austritte 2022 bei 10.814. Das waren deutlich mehr Männer und Frauen als noch 2021. Damals hatten in der Hauptstadt 9.029 Personen der katholischen Kirche den Rücken gekehrt.

In Brandenburg stieg die Zahl der Austritte im gleichen Zeitraum von 1.438 auf 1.844 an. In Vorpommern wurde ein Anstieg von 281 auf 349 Austritte registriert.

„Gesellschaft verliert Eckpfeiler des Bildungssystems“

„Der Tod der Kirche trifft sie nicht nur selbst, sondern Staat und Gesellschaft verlieren einen Eckpfeiler des Sozial- und Bildungssystems, den sie nicht ersetzen können“, sagte Schüller. „Das ist die wohl eigentlich dramatische Auswirkung dieser Austrittszahlen. Der Austrittstsunami ist daher nicht nur ein innerkirchliches Problem, er wird Deutschland auf lange Sicht substanziell verändern.“

„Schon sehr bald wird denen, die vielleicht mit innerer Freude die Erosion der katholischen Kirche hämisch betrachten, bewusst werden, dass viel lieb gewonnene kirchliche Aktivitäten verschwinden werden: Schulen, Kindertagesstätten, Akademien, soziale Einrichtungen“, sagt der Kirchenrechtler.

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Dass sich die für die katholische Kirche ohnehin dramatische Entwicklung noch einmal beschleunigen würde, hatte sich bereits zu Jahresbeginn 2022 abgezeichnet.

Vor allem nach der Vorstellung eines Gutachtens zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising im Januar und der Diskussion um eine Mitschuld des inzwischen gestorbenen Papstes Benedikt XVI. waren die Austrittszahlen förmlich explodiert.

In der ersten Januarhälfte, also vor dem Gutachten, waren pro Arbeitstag in München etwa 80 Menschen aus der Kirche ausgetreten; nach dem 20. Januar, dem Tag der Vorstellung des Gutachtens, waren es dann zeitweise bis zu 160 Kirchenaustritte pro Arbeitstag – also etwa doppelt so viele.

Schlagzeilen machten im vergangenen Jahr auch Lügen-Vorwürfe gegen den umstrittenen Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, bei dem es erst an diesem Dienstag eine Razzia gegeben hatte, und Rechtsstreitigkeiten um Schmerzensgeld für Missbrauchsopfer in Köln und im oberbayerischen Traunstein.

Der Austrittstsunami ist nicht nur ein innerkirchliches Problem, er wird Deutschland auf lange Sicht substanziell verändern.

Thomas Schüller, Kirchenrechtler

„Viele Ursachen spielen hierbei hinein, aber auch aktuelle Brandbeschleuniger wie die kardinale Tragödie in Köln, in deren Strudel alle Bistümer und selbst die evangelischen Landeskirchen mit hineingezogen werden“, sagte Schüller.

Auch die evangelische Kirche verliert Mitglieder

Die Austrittswelle rollt nicht nur in der katholischen Kirche immer schneller. Auch die evangelische Kirche hat mit 380.000 Mitgliedern 2022 mehr verloren als im Jahr davor.

Die Zahl der Kirchenmitglieder sank nach EKD-Angaben um 2,9 Prozent auf 19,15 Millionen Menschen. 2021 betrug der Rückgang demnach noch 2,6 Prozent. Vor allem die Kirchenaustritte seien deutlich gestiegen, hieß es. (epd, dpa)

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