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Bundeskanzler Olaf Scholz ist Fan der Currywurst.

© picture alliance/dpa

Steht die tägliche Currywurst vor dem Aus? : Im Bundestag gibt es Streit über die Zukunft der Kantine

Der Bundestag sucht einen neuen Kantinenbetreiber. Daraus ist längst ein Politikum geworden, denn bei der Currywurst endet der Spaß.

An der Currywurst kommt man in der Bundestagskantine im Jakob-Kaiser-Haus nicht vorbei. Den Kraftriegel, wie Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Wurst einmal bezeichnet hat, gibt es täglich in vier verschiedenen Varianten: Mit oder ohne Darm, als Chili-Version oder für 50 Cent Aufpreis auch vegetarisch.

Auch sonst dominieren auf dem Speiseplan herzhafte Gerichte, in dieser Woche zum Beispiel Grillhähnchen mit Rotkraut und Pommes, geschmorter Rinderschaufelbraten, Fish und Chips oder Soljanka. Nur ein vegetarisches Gericht schafft es jeden Tag auf die Speisekarte der größten Kantine im Bundestag, vegane Angebote gibt es gar nicht.

Essen ist immer auch politisch, im Bundestag aktuell aber sogar ein Politikum. Denn hinter den Kulissen gibt es Ärger im Hohen Haus. Der Caterer hat zum Jahreswechsel gekündigt, ein neuer Betreiber ist noch nicht gefunden, inzwischen beschäftigt sich sogar der Ältestenrat mit der Causa. Es geht um die Vorbildrolle des Bundestages, politische Interessen und die Wurst. Denn was in Zukunft auf die Teller im Parlament kommt, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Der Bundestag ist nicht nur der Ort für Reden und Gesetze, sondern auch ein großer Arbeitgeber. Rund 6000 Menschen arbeiten für die Fraktionen und die Verwaltung – und essen eben auch im Bundestag. Dafür gibt es diverse Angebote. Mehrere Bistros, die große Kantine, den sogenannten Lampenladen und ein Restaurant auf der Plenarsaal-Ebene.

Die meisten Angebote, auch belegte Brote und Kuchen für Besprechungen, liefert Dussmann Catering. Doch wie ein Sprecher des Bundestags bestätigt, hat das Unternehmen den Vertrag zum 31. Dezember gekündigt.

Wie genau es zu der Kündigung kam, ist unklar. Auf eine Tagesspiegel-Anfrage will Dussmann keine Stellungnahme abgeben. Doch aus mehreren Quellen aus dem Bundestag heißt es, der Personalrat habe eine Preiserhöhung der Kantine blockiert, woraufhin Dussmann die Zusammenarbeit aufgekündigt habe.

Die Lage für die Branche ist angespannt. In vielen Kantinen fehlt Publikum, weil Mitarbeiter seit der Corona-Pandemie vermehrt im Home Office bleiben. Gleichzeitig erhöhen die gestiegenen Lebensmittelpreise den Druck auf die Betreiber.

Ausgerechnet jetzt muss sich der Bundestag nach einem neuen Caterer umschauen. Grünen-Politikerin Renate Künast sieht darin eine große Chance. „Wir müssen ein Vorbild werden. Der Bundestag kann nicht die Ernährungswende fordern und sie selbst ignorieren“, sagt Künast dem Tagesspiegel.

Tatsächlich hinkt der Bundestag den Ansprüchen der Ampel-Regierung hinterher. Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, für Gemeinschaftsverpflegung die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu etablieren. Dort werden für Kantinen viel Vollkorn, Gemüse und Obst empfohlen – Fleisch maximal zwei Mal pro Woche.

Man muss sich vom täglichen Stück Fleisch verabschieden.

Renate Künast, Ex-Landwirtschaftsministerin der Grünen

„Man muss sich vom täglichen Stück Fleisch verabschieden“, sagt Künast. Einen Veggie-Day, ein altes Wahlkampftrauma der Grünen, will sie aber nicht. Für gesunde Ernährung setzt sich die frühere Landwirtschaftsministerin seit Jahrzehnten ein. Im Bundestag gleicht das jedoch einer Sisyphos-Arbeit. Die Prozesse sind behäbig, die Erfolge klein. Im Bistro hat sie die Betreiber überzeugen können, eine überzuckerte Eissorte mit falschen Aromen aus dem Sortiment zu nehmen.

Renate Künast beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit gesunder Ernährung.

© Kai-Uwe Heinrich

Auch bei der Zukunft der Bundestagskantine mischt Künast mit. Bereits im Mai hat sie sich in einem Brief an die Bundestagspräsidentin gewandt. Gesünder, leckerer und nachhaltiger solle die Kantine werden, mehr Wert auf Saisonalität und Regionalität legen.

Wir brauchen keine weiteren grünen Verbote oder Umerziehungsmethoden durch die Hintertür.

Albert Stegemann, ernährungspolitischer Sprecher der Union

Spreewaldgurke statt Currywurst? Das kommt nicht überall gut an. „Wir brauchen keine weiteren grünen Verbote oder Umerziehungsmethoden durch die Hintertür“, sagt der ernährungspolitische Sprecher der Union, Albert Stegemann. Zu einer gesunden Ernährung würden auch Fleisch und Milch gehören. „Wichtiger als importierte vegane Sojaprodukte sind daher heimische Produkte.“

Lösen soll den Konflikt ein Gremium des Ältestenrats, das nun an einer Ausschreibung arbeitet.

Dafür haben unter anderem Experten des Berliner Beratungsprojekts „Kantine Zukunft“ vorgesprochen. „Es geht uns auch darum, in den Kantinen wieder mehr Kochhandwerk zu etablieren“, sagt Dinah Hoffmann, Vize-Projektleiterin. Viele Kantinen hätten ein zu großes Angebot und würden so hohe Kosten und viele Abfälle produzieren.

Zudem sei der Gedanke von drei Komponenten-Tellern und schwerer Kost sehr verankert. Hoffmann wirbt für einfache, moderne und pflanzenbasierte Gerichte und nennt eine cremige Polenta mit Pilz-Kräuter-Topping als Beispiel. „Wichtig ist, dass die Menschen mit leckerem, gutem Essen statt werden.“

Überall werden aktuell die erhöhten Preise an die Endverbraucher:innen durchgereicht, warum sollte dann die Bundestag Kantine eine Ausnahme darstellen?

Tagesspiegel-Community: Zweites_Ich

Fleisch sei kein Tabu. „Wir wollen aber zu einem nachhaltigen Umgang mit Fleisch kommen“, sagt Hoffmann, die auch Kitas oder Seniorenheime berät. Die Preise könnten gehalten werden, sagt Hoffmann. Ein Wandel in der Bundestagskantine sei überfällig. „Wenn Deutschland eine Ernährungs- und Agrarwende will, sollte der Bundestag auch als Vorreiter vorangehen.“

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