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Nach dem Anschlag in Kabul fliehen Verletzte vom Tatort - und in Deutschland wurde ein Abschiebeflug ausgesetzt.

© REUTERS/Omar Sobhani

Nach dem Anschlag in Kabul: Die Abschiebepraxis nach Afghanistan ist zynisch

Während in Afghanistan eine Bombe nach der anderen hochgeht, wird in Deutschland nach Rechtfertigungen für Abschiebungen von Asylbewerbern gesucht. Das muss aufhören. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Manchmal ist Politik ja doch empörend. Wenn man nämlich denkt, dass dazu doch auch ein bisschen Moralität gehört. Was zu diesem aktuellen Thema hinführt: Afghanistan und die Abschiebungen dorthin in diesen Zeiten. Jetzt, nach dem monströsen Anschlag, ist ein Flug nach Kabul gestoppt worden. Im Grundsatz soll es aber weitergehen.

Dabei weiß jeder, der sich mit der Sache befasst, was dort los ist. Dass aus Europa kommende Rückkehrer besonders gefährdet sind. Eigentlich sollte es nicht solcher Organisationen wie Pro Asyl bedürfen, um zu wissen, dass der, der nur schon westlich gekleidet auftaucht, als Kollaborateur des Westens gilt und um Leib und Leben fürchten muss.

Überhaupt sind diese Abschiebungen der reine Hohn. In Kabul kommt es doch andauernd zu Anschlägen mit vielen Toten. Dass in den Bescheiden Asylsuchende immer wieder auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, ist zynisch. Deshalb: Weder ist Kabul so sicher, das dorthin monatlich Menschen abgeschoben werden dürften, noch ist es so einfach, sich stattdessen in Gebieten anzusiedeln, die das Bundesinnenministerium für befriedet hält. Denn selbst wenn sie es wären – wovon sollen die Menschen leben, ohne ein soziales Netzwerk, ohne soziale Struktur, ohne Job? Fremde ohne lokale Bindungen finden keinen Anschluss.

Die Bundesregierung müsste es besser wissen. Das Auswärtige Amt hat seine Reisewarnungen für Afghanistan wegen der anhaltenden Gefahren weiter verschärft.

Die Sicherheitslage ist völlig unberechenbar

Tatsächlich hat sich der Kampf wieder ausgeweitet; es findet gerade eine Frühjahrsoffensive der Taliban statt. Was heißt, dass es überall Opfer von Gefechten, Anschlägen und Verfolgung geben kann.

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist derart unberechenbar, dass das UN-Flüchtlingshilfswerk es ablehnt, zwischen „sicheren“ und „unsicheren“ Gebieten zu unterscheiden. Mehr noch, die Zahl der im Land Vertriebenen hat sich innerhalb der vergangenen drei Jahre fast verdoppelt, auf inzwischen 1,4 Millionen. Und die Nato? Die kann kaum sich selbst schützen, geschweige denn abgeschobene Flüchtlinge.

Nötig ist daher jetzt, sofort, ein neuer Lagebericht zu Afghanistan – damit ist die Frage nach einer Abschiebung im Einzelfall besser, aktueller, angemessener zu beantworten. Afghanische Asylsuchende haben einen Anspruch darauf. Und Anspruch der Deutschen muss sein, faire und sorgfältige Asylverfahren zu gewährleisten. Immerhin dem trägt das Innenministerium jetzt Rechnung und lässt Asylbescheide der vergangenen zwei Jahre überprüfen.

Amnesty und andere haben ja schon länger darauf aufmerksam gemacht: Die Anerkennungsquote ist seit 2015 „in freiem Fall“. Von rund 60.000 inhaltlich entschiedenen Anträgen wurden seit Jahresbeginn rund 32.000 abgelehnt. Dazu wird die Ausreisepflicht verschärft gehandhabt. Allerdings hat Deutschland die völkerrechtliche Verpflichtung, nicht in Länder abzuschieben, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Ach, eines noch: Machiavelli, genau der, war für eine strenge Trennung von Moral und Politik. Soll der jetzt das Vorbild sein?

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