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Von Al Baghdadi war diesmal nur die Stimme zu hören. Wenn er es denn tatsächlich war.

© REUTERS

"Islamischer Staat": Nachricht von einem Totgesagten

Seit einem Jahr war von IS-Chef al Baghdadi nichts mehr zu hören. Es hieß, er sei tot. Jetzt wandte er sich mit Durchhalteparolen an seine Anhänger.

Mit Durchhalteparolen und einem neuen Gewaltaufruf nach mehreren schweren militärischen Niederlagen will der Chef des Islamischen Staates (IS) seine demoralisierten Anhänger aufrütteln. Dem „Kalifat“ gehe es gut, sagte IS-Anführer Abu Bakr al Baghdadi in einer neuen Audiobotschaft an seine Anhänger, dem ersten Lebenszeichen des 47-jährigen Top-Terroristen seit fast einem Jahr. Baghdadi rief zu neuen Anschlägen in westlichen Staaten auf, dabei sollten Schusswaffen und Bomben, aber auch Autos und Messer eingesetzt werden.

In seiner Ansprache nannte Baghdadi unter anderem Kanada als Angriffsziel und hob hervor, IS-Gefolgsleute sollten Anschläge verüben, indem sie mit Autos durch Menschenmengen pflügen. Eine einzige solche Gewalttat im Westen sei so viel wert wie tausend Anschläge im Nahen Osten. Baghdadi drohte zudem den USA und Russland mit Gewalt, weil sich beide Länder an militärischen Angriffen auf den IS beteiligt hätten.

Stärke des Glaubens

Schon in seiner vorigen Audiobotschaft im September 2017 hatte Baghdadi seine Gefolgsleute aufgefordert, den Westen anzugreifen. Damals kämpfte der IS noch um seine „Hauptstadt“ Rakka in Syrien, musste sich wenig später aber von dort zurückziehen. Militärisch geht es für den IS seitdem weiter bergab.

In der neuen, fast einstündigen Ansprache, die während des derzeitigen islamischen Opferfestes über IS-Medien verbreitet wurde, spielte Baghdadi die Gebietsverluste als unbedeutend herunter. Siege würden nicht in der Zahl der beherrschten Städte und Dörfer bemessen, sondern in der Stärke des Glaubens der Kämpfer, sagte er. Baghdadi nannte seine Rede in Anlehnung an ein Koran-Zitat eine „Freudenbotschaft an die Geduldigen“. Seine Anhänger müssten mit „Furcht und Hunger“ zurechtkommen, doch das Kriegsglück könne sich auch wieder ändern, sagte er. Indirekt räumte Baghdadi damit ein, dass die Rückschläge der vergangenen Monate die Moral von IS-Gefolgsleuten erschüttert hat.

Noch immer gefährlich

Nach einem Siegeszug vor vier Jahren beherrschte die extremistische Miliz große Teile von Syrien und des Irak und zog zehntausende Kämpfer aus muslimischen Staaten und Europa an. Seitdem hat die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition die Dschihadisten mit Luftangriffen und Bodenoffensiven verbündeter kurdischer Kämpfer aus vielen Gebieten Syriens vertrieben. Im Irak wurde der IS ebenfalls zurückgedrängt. Gefährlich bleiben die Extremisten dennoch. Im Juli töteten IS-Mitglieder im südsyrischen Sweida fast 250 Menschen bei einer Serie von Selbstmordanschlägen und Überfällen.

Derzeit kontrolliert Baghdadis Miliz noch ein Wüstenareal von rund tausend Quadratkilometern im syrisch-irakischen Grenzgebiet; dort wird auch Baghdadi selbst vermutet. In seinem verbliebenen Herrschaftsgebiet verfügt der IS über rund 30000 Kämpfer, darunter viele Ausländer, wie die Uno schätzt. Neue Kämpfer aus dem Ausland gelangen demnach kaum noch zum IS in Syrien und Irak. Allerdings sammeln sich immer mehr IS-Kämpfer in Afghanistan.

In Konkurrenz mit Al Qaida

In der Ansprache rief Baghdadi zum Sturz der Regierungen in Jordanien und Saudi-Arabien auf und appellierte an Mitglieder sunnitischer Milizen in Syrien, sich dem IS anzuschließen. Dabei wurde auch die Konkurrenz zwischen dem IS und dem Terrornetzwerk Al Qaida deutlich. Rita Katz, Direktorin der auf Extremismus-Beobachtung spezialisierten US-Firma Site, betonte auf Twitter, dass Baghdadi in seiner Rede unter anderem an Al-Qaida-Mitglieder appelliere, zum IS überzutreten.

Baghdadi, der sich 2014 zum „Kalifen“ und damit zum Anführer aller Muslime weltweit ausrief, soll im vergangenen Jahr bei einem Luftangriff schwer verletzt worden sein; zeitweise hieß es, Baghdadi sei tot. Shiraz Maher von der Londoner Denkfabrik ICSR kommentierte, der IS wolle angesichts der Spekulationen über den Gesundheitszustand des Milizenchefs mit der neuen Audiobotschaft klarstellen, dass Baghdadi fest im Sattel sitze.

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