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Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hält ein Schild mit der Aufschrift „Lützi bleibt“.

© REUTERS/CHRISTIAN MANG

Update

Polizei weist Vorwürfe zurück: Greta Thunberg kritisiert in Lützerath das Vorgehen der Beamten als „empörend“

Die Räumung des Dorfes Lützerath kommt laut Polizei gut voran. Aktivisten vor Ort sorgen sich um das Wohlergehen der Personen im Tunnel.

| Update:

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat am Freitag Lützerath besucht und das Vorgehen der Polizei bei der Räumung des Dorfes scharf kritisiert. „Es ist empörend, wie die Polizeigewalt ist“, sagte Thunberg.

Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach wies den Vorwurf zurück. „Es ist mir unverständlich, wie sie zu ihrer erstaunlichen Beurteilung kommt“, sagte er dem „Spiegel“. „Den größten Teil ihres Aufenthalts hat sie genutzt, um mit der Presse zu sprechen und Statements zu geben. Während fast neben ihr sehr behutsam daran gearbeitet wurde, Aktivisten zu befreien.“

In dem zu Erkelenz gehörenden Ort am Rande des rheinischen Braunkohlereviers zeichnete sich am Freitag schon das Ende der am Mittwoch begonnenen Räumung an. In den Häusern und auf den Dächern der Gebäude seien keine Aktivisten mehr, teilte die Polizei am Abend mit. Weiter geräumt werden müssen aber noch ein Tunnel mit zwei Aktivisten und mehrere Baumhäuser. Wenn das Dorf abgerissen ist, will der Energiekonzern RWE die darunter liegende Kohle abbaggern.

Ein Bagger reißt am dritten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath eine Wand an einem Bauernhof ein.

© dpa/Federico Gambarini

Während Aktivisten am Freitag aus dem letzten noch von ihnen besetzten Gebäude getragen wurden, begann daneben schon der Abbruch des früheren Hofes von Bauer Eckardt Heukamp. An der Wand des Hofes hatte weithin sichtbar ein gelbes Transparent mit der Aufschrift „1,5 °C heißt: Lützerath bleibt!“ gehangen – diese Wand wurde nun abgebrochen. Der Heukamp-Hof war seit Jahren im Hintergrund vieler Protestaktionen zu sehen gewesen und hatte dementsprechend hohen Symbolwert.

Thunberg besichtigte am Freitag das Dorf und den Krater des Braunkohletagebaus und hielt dabei ein Schild mit der Aufschrift „Keep it in the ground“ (Lasst es im Boden) hoch. „Es ist entsetzlich zu sehen, was hier passiert“, sagte Thunberg. „Kämpft für das Überleben“, sagte die Schwedin. „Lützi bleibt!“, skandierte sie mit Demonstranten.

Die Klimaaktivistin aus Schweden besuchte den Ort Lützerath nach Angaben der Polizei in Begleitung einer Bundestagsabgeordneten der Grünen. Das Bundestagsbüro von Kathrin Henneberger bestätigte am Abend, dass Thunberg die Abgeordnete begleitet habe, die demnach als Parlamentarische Beobachterin vor Ort ist.

Von den mehreren Hundert Klimaaktivisten, die Lützerath besetzt hatten, waren am Freitag noch höchstens einige Dutzend übrig. Die anderen waren freiwillig gegangen oder von der Polizei weggebracht worden. Das größte Kopfzerbrechen machten der Polizei zwei Aktivisten in einem Tunnel.

Kontakt zu Aktivisten im Tunnel offenbar abgebrochen

Freitagabend sei der Kontakt zu den Personen im Tunnel abgebrochen, hätten „Fridays For Future“-Aktivisten vor Ort dem Verein Campact berichtet. In ihrer letzten Nachricht sei demnach von Vibrationen des Bodens die Rede gewesen. „Die Situation besorgt uns sehr. Wir fordern die Polizei auf, sofort Journalist*innen am Einsatzort sowie vermittelnde Aktivist*innen zuzulassen“, sagte eine Sprecherin von Campact der Nachrichtenagentur dpa.

Zuvor stieg Polizeipräsident Weinspach selbst ein Stück weit in den Schacht hinein und sagte danach, die Bergung der beiden Personen müssten Spezialkräfte der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks (THW) übernehmen. „Ich finde es einfach schlimm, welche Gefahren diese Menschen auf sich nehmen, für sich“, kritisierte Weinspach.

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Die Konstruktion sei nicht sicher, die Sauerstoffversorgung sei auf Dauer nicht sichergestellt, sagte Weinspach. Er gehe allerdings davon aus, dass derzeit keine akute Gefahr für die beiden Personen bestehe. Ob sie festgekettet seien, wisse er nicht.

„Kontaktbeamte versuchen gerade, Kontakt aufzunehmen und mit den Betreffenden zu sprechen“, sagte er. Deren Kommunikation mit Telefon funktioniere nicht mehr, man versuche es jetzt mit Funkgeräten. Laut der Aktivisten vor Ort wollen die Personen im Tunnel nur mit anderen Aktivisten sprechen.

Die Besetzer des Ortes hatten am Donnerstag in den sozialen Netzwerken über einen Tunnel berichtet und die Polizei gewarnt, mit schwerem Gerät in den Bereich zu fahren. Die Bewegung „Lützi bleibt“ veröffentlichte zuvor ein YouTube-Video, in dem zwei Aktivisten in einem Tunnel zu sehen sind, der sich nach ihren Angaben unter dem Dorf befinden soll.

Ein Video zeigt zwei Klimaaktivisten in einem Tunnel.

© Screenshot Tagesspiegel.

„Wir sind hier im Lützerather Tunnel“, sagen sie. Sie hätten sich dort unten verschanzt, um die Räumung des Dorfes zu behindern. „Es ist schwieriger, einen Tunnel zu räumen als ein Baumhaus.“

Großdemo am Samstag kann mit Einschränkungen stattfinden

Zu einer geplanten Kundgebung am Samstag erwartet die Polizei etwa 8000 Teilnehmer – auch Thunberg hat ihre Teilnahme angekündigt Wenn Regierungen und Konzerne in dieser Weise zusammenarbeiteten, um die Umwelt zu zerstören und zahllose Menschen zu gefährden, müsse die Bevölkerung dagegen angehen und ihre Stimme erheben, sagte die Schwedin. „Wir wollen zeigen, wie People Power aussieht, wie Demokratie aussieht.“

Anders als zunächst angedeutet, kann die geplante Großdemo fast wie geplant stattfinden. Das hat das Aachener Verwaltungsgericht kassierte eine von der Polizei geforderte Verlegung der Demonstrationsroute. Diese habe die unmittelbare Gefahr „nicht hinreichend glaubhaft gemacht“. Ein befürchteter Rückstau der Anreisenden auf die Autobahn könne durch „verkehrslenkende polizeiliche Maßnahmen“ und durch Vorgaben an die Versammlungsleiter entgegengewirkt werden.

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Das Verbot der Polizei, das die Begleitung des Demozuges durch zehn Traktoren unterbinden sollte, ließ das Gericht hingegen bestehen. Gegen die Entscheidung kann noch Beschwerde eingelegt werden.

Reul ruft Greta Thunberg zur Deeskalation auf

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul rief die Schwedin zur Deeskalation auf. „In NRW darf jeder demonstrieren, auch die aus der Ferne anreisende Frau Thunberg“, sagte Reul der „Bild“-Zeitung laut Mitteilung vom Freitag. „Ich hoffe, sie sorgt dafür, dass ihre Mitstreiter friedlich bleiben und sich an die Regeln halten.“

Zudem lobte Reul den „positiven Einfluss“ der Grünen auf die Klimaschützer in Lützerath. Dass viele Demonstranten aus dem bürgerlichen Lager friedlich abgezogen seien, „hängt sicher auch mit der Regierungsbeteiligung der Grünen zusammen, die im Vorfeld gewalttätige Proteste verurteilt hatten“, sagte der CDU-Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

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Vor dem Hintergrund der teils gewalttätigen Proteste gegen die Polizei kam aus der CSU Kritik an der Anreise Thunbergs. Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, wies darauf hin, dass die Aktivistin nach Lützerath fahre, obwohl dort Polizisten mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen würden. „Mit ihrem Besuch macht sich Thunberg wissentlich mit diesen Straftätern gemein“, sagte er „Bild“.

Aktivisten ketten sich an RWE-Zentrale in Essen

Aus Protest gegen die Räumung des Dorfes Lützerath für den Braunkohle-Abbau hatten am Freitag etwa 25 bis 30 Klimaaktivisten die Einfahrt der Zentrale des Energiekonzerns RWE in Essen besetzt. Drei von ihnen ketteten sich nach Angaben eines Aktivistensprechers mit Fahrradschlössern an einem Rolltor fest. Sie trugen Schilder mit Aufschriften wie „Lützi bleibt“ und „Moratorium Lützerath“. Wie der WDR berichtet, habe die Polizei die Aktion am späten Mittag beendet.

Ein Sprecher der Polizei Essen sagte, die Aktion mache ein Passieren der Einfahrt derzeit unmöglich. Auch eine Hauswand sei besprüht worden. In diesem Zusammenhang gehe die Polizei dem Verdacht der Sachbeschädigung nach. Außerdem untersuche man, ob ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht vorliege, da die Demonstration nicht angemeldet worden sei.

Die Aktivisten vor der RWE-Zentrale in Essen wollten nicht gehen, bis die Räumung in Lützerath gestoppt wird.

© dpa

Eine weitere Aktion gab es am Freitagnachmittag am Autobahnkreuz Jackerath. Auf der Autobahn 44 – in der Nähe des Braunkohletagebaus – sind Klimaaktivisten an zwei Stellen auf Schilderbrücken geklettert. Einen entsprechenden Bericht eines dpa-Reporters bestätigte ein Aachener Polizeisprecher. Die Autobahn sei aus Sicherheitsgründen gesperrt worden, sagte der Polizeisprecher. Die Demonstranten würden von den Schilderbrücken heruntergeholt. Laut WDR gab es an der Stelle mehrere Kilometer Stau. Erst am Abend sei die Sperrung wieder aufgehoben worden.

200 Vermummte demolieren in Berlin Schaufenster 

In der Nacht zu Freitag sollen in Berlin-Mitte mehr als hundert vermummte Täter aus Protest gegen die Räumung randaliert und Schaufensterscheiben eingeworfen haben. Sie zündeten Mülltonnen an und beschossen eine Polizeiwache mit Pyrotechnik, wie die Polizei mitteilte. Die Rede war von mehr als 200 Randalierern, die durch die Straßen rund um den Hackeschen Markt zogen.

Laut Berliner Polizei begannen erste vermummte Personen gegen 1.15 Uhr Mülltonnen anzuzünden. Nachdem die Gruppe stark angewachsen war, zog sie weiter. Dabei beschädigten die mutmaßlich aus der linksextremen Szene stammenden Täter Schaufenster von mindestens 26 Geschäften mit Pflastersteinen und mit Farbe gefüllten Christbaumkugeln.

Zudem beschmierten sie Fassaden und Fenster mit Parolen im Zusammenhang mit Lützerath. Nach Angaben der Polizei wurden in der Nacht außerdem die Polizeiwache in der Brunnenstraße mit Pyrotechnik angegriffen und zwei Parteibüros der Grünen mit Parolen beschmiert. Die Polizei setzte einen Hubschrauber zur Suche nach den Tätern ein.

Scholz kritisiert Gewalt bei Lützerath-Protesten

Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte Teile der Proteste. „Auch ich habe früher häufiger demonstriert. Allerdings gibt es für mich eine Grenze, die genau da verläuft, wo Protest gewalttätig wird“, sagte der SPD-Politiker der „wochentaz“. Den Vorwurf, mit der Erschließung der Braunkohlevorkommen unter Lützerath seien die Klimaziele in Gefahr, ließ Scholz nicht gelten: „Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Es ist genau umgekehrt: Wir machen Politik, damit wir unsere Klimaziele erreichen.“

Auch Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) zeigte wenig Verständnis für die Proteste. „Es gibt viele gute Anlässe, für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, meinetwegen auch gegen die Grünen. Aber Lützerath ist schlicht das falsche Symbol“, sagte Habeck dem „Spiegel“.

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Das Dorf sei eben nicht das Symbol für ein Weiter-so beim Braunkohletagebau Garzweiler im Rheinland, sondern „es ist der Schlussstrich“, sagte Habeck. Man ziehe den Kohleausstieg im dortigen Kohlerevier um acht Jahre auf 2030 vor, was immer auch Ziel der Klimabewegung gewesen sei. „Wir retten fünf Ortschaften und Höfe mit rund 450 Bewohnern. Der Hambacher Forst ist gesichert worden. Die genehmigte Abbaumenge für Kohle im Tagebau wurde durch die Vereinbarung halbiert.“

Grünen-Mitglieder fordern Räumungs-Stopp

Doch unterdessen rumort es an der Parteibasis der Grünen: Einen offenen Brief gegen die Räumung unterzeichneten bis Freitagvormittag mehr als 2000 Grünen-Mitglieder. Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur werden in dem Brief aufgefordert, die Aktion sofort zu stoppen. Der „ausgehandelte Deal mit dem Energiekonzern RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen“, heißt es.

Der Co-Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, warnte vor einer Entfremdung der Grünen von der Klimabewegung. „Gerade jetzt bräuchten die Grünen die Unterstützung der Klimabewegung“, sagte er dem Nachrichtenportal „t-online“. „Der RWE-Deal hilft da überhaupt nicht.“

Nach einer Umfrage des ZDF-„Politbarometer“ ist eine Mehrheit der Deutschen gegen eine Ausweitung der Braunkohleabbaugebiete, wie sie derzeit nach der Räumung von Lützerath geplant ist. 59 Prozent der Befragten sprachen sich gegen eine solche Ausdehnung aus – 33 Prozent sind dafür. Vor allem eine deutliche Mehrheit (87 Prozent) der Grünen-Wähler ist gegen das Vorhaben. Hingegen wird von 60 Prozent aller Befragten eine stärkere Nutzung der Kohlekraftwerke zur Sicherung der Stromversorgung als richtig erachtet. 36 Prozent sprechen sich dagegen aus. (dpa/AFP/Reuters)

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