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Wird 2023 ein haushaltspolitisch unangenehmes Jahr für die Ampel-Spitzen? Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz (erste Reihe, von links) auf der Regierungsbank im Bundestag

© Imago/Future Image/Frederic Kern

Regelwidrige Schuldenpolitik? : Warum es für die Ampel 2023 sehr ungemütlich werden kann

Mit drei Sondervermögen hat die Bundesregierung sich 2022 etwa 400 Milliarden Euro auf Jahre hinaus reserviert. Das schaut sich das Bundesverfassungsgericht genauer an.

Das Haushaltsjahr 2022 neigt sich dem Ende zu. Es war turbulent. Drei Bundeshaushalte hat die Ampel-Koalition durch den Bundestrag bugsiert: den Nachtragsetat 2021, den regulären Haushalt für 2022 sowie den für 2023. Und sie hat drei Sondervermögen auf den Weg gebracht, also drei Nebenhaushalte. Angesichts der doppelten Krise – Pandemiefolgen und Ukraine-Krieg samt Energienotstand – ist das Ausmaß dieser Haushaltsgesetzgebung nicht überraschend.

Auch die immense Nettokreditaufnahme (also neue Schulden, tatsächlich und geplant) in Höhe von etwa 500 Milliarden Euro binnen eines Jahrs, eine Rekordsumme, ist der Krisensituation geschuldet. Deswegen ist auch für 2022 noch einmal die Notlagenklausel der Schuldenbremse genutzt worden.

Das Haushaltsjahr 2023 kann noch turbulenter werden. Das wird auch wieder mit den Folgen von Putins Krieg zu tun haben. Aber auch mit dem Bundesverfassungsgericht. Das wird sich im kommenden Jahr nämlich die Politik der Ampel anschauen – mit Blick auf die Etats, die Sondervermögen und die Schuldenbremse.

400
Milliarden Euro liegen in Ampel-Nebenetats

Seit der Zweite Senat des Gerichts vor einigen Tagen zwar einen einstweiligen Antrag der Unionsfraktion zum Zustandekommen des Nachtragsetats 2021 abgelehnt hat, aber in der Entscheidung schon recht detailliert Fragen für das Hauptverfahren skizziert hat, muss sich die Ampel-Koalition auf eine möglicherweise nicht ganz angenehme Entscheidung aus Karlsruhe vorbereiten.

Und das Urteil dürfte 2023 kommen – Berichterstatterin (also das hauptsächlich mit dem Verfahren beschäftigte Senatsmitglied) ist die 2011 von der Union vorgeschlagene Richterin Sibylle Kessal-Wulf. Deren Amtszeit läuft Ende des nächsten Jahres aus. Üblicherweise bemüht sich das Gericht, Verfahren vor dem Ausscheiden von Berichterstattern zu beenden.

Im Kern des Verfahrens steht die Frage, wie und in welchem Umfang die Notfallklausel der Schuldenbremse genutzt werden kann und welche Rolle dabei Sondervermögen spielen, über die üblicherweise längerfristige Maßnahmen finanziert werden. Der Bundesrechnungshof sieht das Nutzen von Nebenhaushalten generell kritisch, weil einige Haushaltsgrundsätze umgangen werden können.

Im Verfahren in Karlsruhe geht es vor allem um zwei dieser Grundsätze. Zum einen um das Prinzip der „Jährlichkeit“ eines Etats, zum anderen um das der „Jährigkeit“. Das erste Prinzip bedeutet, dass ein Etat sich grundsätzlich immer nur auf ein Jahr beziehen soll. Das zweite läuft darauf hinaus, dass die Verwendung von Mitteln aus einem Etat grundsätzlich nur für das jeweilige Haushaltsjahr gelten darf, also nicht ohne Weiteres verschoben werden kann.

Mit drei im Jahr 2022 eingerichteten Sondervermögen hat die Ampel nun aber Ausgaben in Höhe von insgesamt 400 Milliarden Euro quasi in die Zukunft verlängert. Die Union spricht daher auch von Verschuldung auf Vorrat.

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Drei riesige Sondertöpfe

Der erste dieser Nebenhaushalte ist der Energie- und Klimafonds (EKF), in den zu den schon vorhandenen Mitteln auch 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen eingestellt wurden, die 2021 von der großen Koalition für die Pandemiebekämpfung reserviert worden waren.

Die Ampel will das Geld nun (unter dem neuen Namen Klima- und Transformationsfonds) über mehrere Jahre hinweg für Öko- und Digitalisierungsmaßnahmen ausgeben – mit der Begründung, dass damit die in der Pandemie eingebrochene Wirtschaft angekurbelt wird. Dieses Vorgehen hält die Union für verfassungswidrig und ist deshalb nach Karlsruhe gegangen.

Im zweiten Sondervermögen sind, ebenfalls über Kreditermächtigungen, 100 Milliarden Euro für Rüstungsmaßnahmen der Bundeswehr eingestellt worden. Diesen Nebenetat hat die Koalition im Grundgesetz verankert, sozusagen als Ausnahmetatbestand neben der Schuldenbremse. Das hat die Union mitgetragen.

Der Tarnkappenjet F35 wird aus dem Sondervermögen Bundeswehr finanziert.

© dpa/Britta Pedersen

Das dritte Sondervermögen ist der wiederbelebte Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) aus dem ersten Corona-Jahr. In den haben die Koalitionäre nun 200 Milliarden Euro gelegt, zur Finanzierung der Energiepreisbremsen und einiger Wirtschaftshilfen. Etwa 35 Milliarden Euro werden schon 2022 genutzt.

Der Rest wird in einem bislang einzigartigen Verfahren finanziert, dem anzumerken ist, dass das Vorgehen beim Nachtragsetat 2021 möglicherweise auch aus Ampel-Sicht nicht die beste Idee war.

Riesenanleihe als Platzhalterin

In den WSF wird zwischen Weihnachten und Neujahr eine Riesenanleihe gelegt im Umfang von etwa 165 Milliarden Euro. Das ist erheblich mehr, als eine normale Anleihe des Bundes an Volumen hat. Sie bekommt eine eigene Wertpapierkennnummer, aber sie soll gar nicht am Kapitalmarkt platziert werden. Sie wird zunächst im Eigenbestand der Finanzagentur des Bundes, der regierungseigenen Schuldenbehörde, geschaffen, um dann sofort an den WSF übertragen zu werden.

Nach Lesart der Ampel ist das nicht mehr nur eine Kreditermächtigung, sondern eine Kreditaufnahme in diesem Jahr. Damit kann Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den Schein wahren, dass 2023 wieder die Schuldenbremse eingehalten wird. Tatsächlich werden die 165 Milliarden Euro aber je nach Bedarf im kommenden Jahr und im Jahr 2024 über eine Vielzahl von Anleihen aufgenommen, die erst dann am Kapitalmarkt platziert werden.

„Volles Risiko der Verfassungswidrigkeit“

Der Heidelberger Verfassungsrechtler Hanno Kube hat das auf Twitter so kommentiert: Anders als beim EKF „werden die Kreditermächtigungen hier nicht als solche vorgehalten, sondern es werden in gewisser Weise Nägel mit Köpfen gemacht“. Er fügt allerdings hinzu, dass das „von der Frage nach der Jährlichkeit und auch Fälligkeit nicht wirklich entbindet“.

Um die aber wird es in Karlsruhe gehen, weshalb ein Urteil im kommenden Jahr dann auch für den WSF gelten könnte. Zur kürzlichen Entscheidung des Gerichts schrieb Kube, der auch schon für die FDP als Gutachter wirkte, dass die Richter der Bundesregierung „das volle Risiko der Verfassungswidrigkeit“ bei der Mittelübertragung überbürdet hätten.

Möglicherweise kollidiert das Vorgehen der Ampel auch mit Vorgaben der Europäischen Union. Der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats, eine Expertenrunde, die dem Kontrollgremium von Bund und Ländern zur Überwachung ihrer Haushaltsführung beigeordnet ist, schreibt in seiner jüngsten Stellungnahme vom Freitag: „Während die europäischen Fiskalregeln auf das jährliche gesamtstaatliche Defizit unter Berücksichtigung aller Schattenhaushalte abstellen, gelten die Regelungen für die Schuldenbremse des Bundes wegen der geänderten Buchungspraxis für Sondervermögen nur noch eingeschränkt.“

Die Buchungspraxis wurde mit dem Nachtragsetat für 2021 geändert, der nun in Karlsruhe Prozessgegenstand ist. Je nachdem, wie das Verfassungsgericht entscheidet, wäre diese Änderung dann ebenfalls hinfällig. Die Ampel stünde 2023 dann vor dem möglicherweise nicht geringen Problem, ihre gesamte Schuldenpolitik neu ausrichten zu müssen – inklusive einer nochmaligen Nutzung der Notfallklausel der Schuldenbremse.

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