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Präsident Wladimir Putin stellt den Machterhalt über Corona-Maßnahmen.

© Sergey Pyatakov/AFP

Russischer Militäraufmarsch trotz Corona: Eine Parade, um Putins überraschende Schwäche zu verdecken

Schwer lastet die Pandemie auf Russland und Putin gelingt es nicht, die Krise zu managen. Nun soll eine gigantische Militärparade die Wende bringen - doch das wird nicht gelingen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Oliver Bilger

Geplant war es folgendermaßen: Russland stimmt bei einem Referendum Ende April für die geänderte Verfassung, die es Präsident Wladimir Putin erlaubt, bei der Wahl 2024 wieder anzutreten. Anfang Mai wird dann gefeiert – der Sieg im Zweiten Weltkrieg zuvorderst, aber auch Putins Triumph in der Verfassungsfrage.

Doch dann kam Corona, die Zahl der Infektionen in Russland stieg. Die Parade und die Abstimmung mussten ausfallen. Die Zustimmung für Putin sank.

Jetzt der zweite Anlauf – in umgekehrter Reihenfolge: Erst der Militäraufmarsch auf dem Roten Platz, dann das Referendum. Das Datum markiert das Jubiläum des ersten großen Siegesmarsches im Herzen der Hauptstadt.

Der Sieg ist seit jeher Quelle kollektiver Identität. Das strahlt auch auf den Präsidenten ab: Putin kann sich als Anführer eines starken, patriotischen Russlands präsentieren.

Parade-Formationen stehen auf dem Roten Platz.
Parade-Formationen stehen auf dem Roten Platz.

© Pavel Golovkin/dpa

Entscheidung über Verfassung ist längst gefallen

Die Abfolge wirkt jedoch wie Brot und Spiele. Den Moskauern, die fast zehn Wochen lang unter strengem Lockdown zu Hause saßen, wird etwas geboten, damit die Stimmung verbessert wird – und die Leute an der Abstimmung teilnehmen, die gleich im Anschluss des Militäraufmarschs beginnt und bis zum 1. Juli geht.

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Die Abstimmung dient vor allem dem schönen Schein. Die Verfassungsänderung ist schon durchs Parlament und vom Präsidenten unterschrieben. Sie steht sogar bereits gedruckt in den Regalen der Buchhandlungen. Es geht um symbolische Legitimation – nach innen und nach außen. Putin nimmt die Wähler mit in die Verantwortung: Nicht er allein hat über die Verlängerung seiner Herrschaft verfügt, das Volk hat entschieden.

Die Unzufriedenheit wächst

Der Kreml hat es nun eilig: Jede weitere Verschiebung könnte zu einer Zunahme der Unzufriedenheit führen. Zu schwer lastet die Coronakrise auf dem Land. Zwar hat der Präsident weiter großen Rückhalt, die Zahl von Befürwortern und Gegnern der Neufassung der Verfassung hat sich in den vergangenen Wochen zu Putins Ungunsten verschoben.

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Dessen Zustimmung litt ebenfalls. Nur noch 59 Prozent bejahten Ende April Putins Politik – der niedrigste Wert in 20 Jahren. In einer anderen Umfrage sprach nur noch ein Viertel der Russen dem Präsidenten das Vertrauen aus. Auch das ein Tiefstwert: Vor zweieinhalb Jahren waren es mehr als doppelt so viele. Derweil wächst die Protestbereitschaft – ein weiterer Beleg für eine sich verschlechternde Stimmung.

Ein Mann in Schutzkleidung desinfiziert Zuschauerränge auf dem Roten Platz vor Beginn der Militärparade.
Ein Mann in Schutzkleidung desinfiziert Zuschauerränge auf dem Roten Platz vor Beginn der Militärparade.

© Pavel Golovkin/dpa

Angst vor dem ewigen Putin

Ein wichtiger Grund: Nach zwei Jahrzehnten Putin reicht es vielen. Mit der neuen Verfassung kann er bis ins Jahr 2036 regieren, wäre dann 83 Jahre alt. Das ist jenen Russen, die sich nach Wandel sehnen, nach der dringend notwendigen Modernisierung im Land, insbesondere der Wirtschaft, zu lang. Sie wollen keinen ewigen Putin.

Der wird in der Krise gleich doppelt zum Problem. Das am drittstärksten von der Pandemie getroffene Land der Welt könnte einen starken Anführer gut gebrauchen – gerade jetzt. Putin aber ist seit Corona-Ausbruch überraschend schwach. Lieber macht er die Regierung und regionale Gouverneure zu Krisenmanagern. Das ist ungewöhnlich im zentralisierten Russland. Putin überließ damit unpopuläre Entscheidungen den anderen.

Politik steht über der Pandemie

Er selbst sorgte für Geschenke, erklärte den April für arbeitsfrei bei Lohnfortzahlung oder verfügte das plötzliche Ende des Moskauer Lockdowns, um nicht weiter an Popularität zu verlieren. Derweil wächst die Angst vor einer zweiten Welle.

Die eigene Zukunft steht für Putin über der Pandemie, selbst wenn die in die größte Krise seit Zusammenbruch der Sowjetunion führt. Machterhalt hat für den Präsidenten Priorität. Erst danach geht es darum, die Krise zu überwinden, wirtschaftliche und soziale Herausforderungen anzupacken.

Um sie zu lösen braucht es mehr Investitionen, weniger Abhängigkeit von Rohstoffen und starken Konsum. Stattdessen steigen Arbeitslosigkeit und Armut. Viele Folgen der Pandemie dürften erst in nächster Zukunft offenbart werden. Das Leben für die Mehrheit wird noch schwieriger als es ohne Corona schon war. Die Menschen brauchen Lösungen. Putin hat diese nicht zu bieten. Aber Russland hat keine andere Wahl.

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