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Bombenexplosion: Schrecken im Herzen Ankaras

Am Vormittag zerstört eine gewaltige Explosion in der türkischen Hauptstadt Ankara ein halbes Dutzend geparkte Autos. Drei Menschen sterben. Vieles deutet darauf hin, dass der Konflikt mit den Kurden erneut eskaliert.

„Es gab einen großen Knall, alle warfen sich auf den Boden“, sagt ein Grundschüler, dem der Schrecken ins Gesicht geschrieben steht und der mit den Tränen kämpft. „Manchen Leuten wurden die Beine abgerissen, anderen die Arme“, berichtet der geschockte Stadtteil-Bürgermeister. „Es war ganz schlimm, überall brennende Autos, und die Explosionen gingen immer weiter“, sagt ein weiterer Augenzeuge. Die baumbestandene Straße Kumrular Caddesi im Herzen der türkischen Ankara ist an diesem sonnigen Spätsommervormittag von einem Moment auf den anderen zur Hölle geworden.

Gegen 11 Uhr Ortszeit (10 Uhr MESZ) zerstört eine gewaltige Explosion ein halbes Dutzend geparkte Autos und lässt in der ganzen Umgebung die Fensterscheiben zerspringen. Die Detonation ist im ganzen Stadtgebiet zu hören, eine schwarze Rauchsäule steigt über dem Explosionsort in der Nähe des Regierungsviertels auf.

Insgesamt werden drei Menschen getötet, weitere zehn werden verletzt. Die Regierung sagt, es war ein Bombe, ein Anschlag, der die Türkei treffen soll, während Präsident Abdullah Gül in Deutschland ist und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bei der UN-Vollversammlung in New York. Der für die Terrorbekämpfung zuständige Vizepremier Besir Atalay eilt zum Explosionsort, in dessen Nähe das Ministerpräsidentenamt, das Justizministerium und der Generalstab liegen.

Der erste Verdacht richtet sich gegen die Kurdenguerrilla der PKK oder ihren Ableger, die „Freiheitsfalken Kurdistans“, die seit einigen Jahren die schmutzige Arbeit der Terroranschläge in den türkischen Metropolen übernommen hat. Man gehe von einem Terroranschlag aus, sagt Innenminister Idris Naim Sahin vor der Presse. Auf die Frage von Reportern, wer das Ziel des Anschlags war, antwortet Sahin: „Alle sind das Ziel.“

Laut türkischen Medienberichten geht die Polizei davon aus, dass der oder die Täter eine Splitterbombe in einem geparkten Auto versteckten und von außen zündeten. Kurz nach der Explosion verbreitet sich das Gerücht, in der Gegend warte ein weiterer Sprengsatz auf die Zündung. Die Polizei sucht das Viertel ab und lässt vorsorglich das Handy-Netz in der Gegend außer Gefecht setzen, um eine Zündung der vermuteten zweiten Bombe per Mobiltelefon zu verhindern. Doch die Beamten finden nichts. Fast gleichzeitig lässt die türkische Bahn einen Schnellzug nach Istanbul anhalten, in dem ebenfalls eine Bombe vermutet wurde.

In der Kumrular Caddesi nimmt die Polizei eine Frau fest, die nach der Explosion „Parolen einer verbotenen Organisation“ gerufen haben soll. Weniger später fassen die Beamten am Busbahnhof von Ankara einen zweiten Tatverdächtigen, einen Mann, der nach Tunceli im Kurdengebiet reisen wollte. Der Verdächtige sei frisch rasiert gewesen und habe ganz frische Kleider getragen, die er vermutlich erst kurz vor seiner Festnahme angezogen habe, meldeten Internetmedien.

Von der PKK lag zunächst keine Stellungnahme vor. Sollten die Kurdenrebellen hinter der Explosion stecken, dann wäre dies eine neue Eskalation eines Konflikts, der sich seit einigen Wochen ohnehin bereits verschärft. Nach einige schweren PKK-Anschlägen auf türkische Militäreinheiten in Südostanatolien hatte die türkische Regierung mit Luftangriffen auf Stellungen der Rebellen im Norden Iraks geantwortet. Zudem zog Ankara Bodentruppe an der irakischen Grenze zusammen; Innenminister Sahin sagte vor einigen Tagen, eine Bodenoffensive in den Irak hinein könne jederzeit beginnen.

In Berlin hatte Staatspräsident Abdullah Gül die Anhänger der PKK auch für die Bombendrohung verantwortlich gemacht, die am Montagabend eine Verschiebung seiner Rede an der Humboldt-Universität erzwang. Nach türkischen Medienberichten legten die deutschen Behörden dem türkischen Staatsgast nahe, er solle ganz auf seine Ansprache verzichten, doch Gül habe geantwortet, er werde sofort die Heimreise in die Türkei antreten, falls er seine Rede nicht halten könne. Man dürfe vor dem Terror nicht zurückweichen.

Mehrere Versuche zur Entschärfung des seit 1984 andauernden Kurdenkonfliktes waren in den vergangenen Jahren gescheitert. Vergangene Woche war bekannt geworden, dass der türkische Geheimdienst mit Gesandten der PKK über ein Ende der Gewalt verhandelt hatte. Wer die politisch äußerst sensiblen Geheimgespräche publik machte, ist nicht bekannt. In Frage kommen Kräfte im Staatsapparat oder in der PKK, die Bemühungen um ein Ende des Kurdenkonflikts sabotieren wollen, um ihre eigene Existenz und Macht zu rechtfertigen. Der fast 30-jährige Krieg im Kurdengebietes hat bei Rebellen und im Sicherheitsapparat Strukturen geschaffen, die ohne bewaffneten Konflikt überflüssig wären. Nicht alle sind begeistert von der Aussicht auf Frieden.

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