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Schon lange im Dienste der Propaganda vereint: Putin und die RT-Chefin Margarita Simonyan im Dezember 2015.

© imago/ZUMA Press / imago stock&people

„Sie spielen mit bewaffneten Menschen“: Putins Chefpropagandistin fürchtet Aufstand in der Armee

Die russische Teilmobilisierung verläuft teilweise chaotisch. Putins treueste Unterstützer warnen nun vor Wut in der Truppe.

Lange hatte Wladimir Putin eine Teilmobilmachung gescheut. Stattdessen schickte er lieber Straftäter an die Front, Militärs im Ruhestand lockte er zudem mit hohen Summen in den Krieg. Doch die Lücken in den eigenen Reihen durch die Angriffe der Ukraine sind inzwischen zu groß.

Nun trägt die Einberufung von 300.000 Reservisten den Krieg direkt in die Familien vieler Russen. Etwas, das Putin eigentlich unbedingt vermeiden wollte. Es passt nicht zu seiner Erzählung einer militärischen „Spezialoperation“. Zudem bricht die Mobilisierung seinen ungeschriebenen Vertrag mit den Russen, wie zahlreiche Experten erklären. Salopp formuliert: Ich behellige euch nicht und ihr lasst mich machen.

Putins Entscheidung birgt also jede Menge innenpolitischen Sprengstoff.

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Welche Formen der annehmen kann, wurde bereits in den Tagen nach der Bekanntgabe der Teilmobilmachung deutlich. Hunderttausende russische Männer verließen fluchtartig das Land oder protestieren auf den Straßen.

Sie sagten, dass es eine Teilmobilisierung geben würde, aber es stellt sich heraus, dass sie alle mitnehmen.

Marina Zinina

In der Region Irkutsk in Sibirien eröffnete ein Mann das Feuer und verletzte laut russischen Angaben einen dort arbeitenden Militärbeamten schwer. Bei dem Schützen soll es sich offenbar um den Mitte Zwanzig Jährigen Ruslan Zinin handeln.

Russland, eingezogene Reservisten in Kamtschatka erhalten Gewehre (Archivbild).

© imago/ITAR-TASS / Foto: IMAGO/Russian Defence Ministry

Unter Berufung auf lokale Nachrichten zitiert die „New York Times“ die Mutter Zinins, Marina Zinina. Ihr Sohn sei wütend geworden, nachdem ein enger Freund eine Einberufung erhalten habe, obwohl er nie in der russischen Armee gedient habe.

Der Verteidigungsminister habe letzte Woche zugesagt, dass nur Männer mit militärischer Erfahrung und einer Spezialisierung einberufen werden würden, erklärt sie. „Ruslan war darüber sehr verärgert. Sie sagten, dass es eine Teilmobilisierung geben würde, aber es stellt sich heraus, dass sie alle mitnehmen.“

Putins Propagandisten warnen vor Revolte im Militär

Für russische Verhältnisse sind die öffentliche Wut und Empörung also groß. So groß, dass selbst Putins treueste Propagandisten um eine mögliche Eskalation fürchten.

In einer staatlichen TV-Sendung des Senders RT kritisierten die Chefin des Senders Margarita Simonyan und der bekannte Moderator Wladimir Solowjow die Umsetzung der Teilmobilisierung und warnten indirekt vor Gewaltausbrüchen.

„Alle haben Telefone und sie werden nicht schweigen. Wenn man ihnen kaputte Ausrüstungen in die Hand drückt, wenn sie keine Helme oder Schutzwesten haben, werden sie das nicht für sich behalten. Ich sage es deutlich: Spielen Sie keine Spielchen mit den Leuten... Das ist kein liberales Gesindel, das sind unsere Leute, und ich weigere mich, dazu zu schweigen“, zitiert das US-Nachrichtenportal „Daily Beast“ Solovyov aus der Sendung.

Ich sage es deutlich: Spielen Sie keine Spielchen mit den Leuten...

TV-Moderator Wladimir Solowjow

„Ich möchte Sie daran erinnern, dass solche Kleinigkeiten 1905 zur ersten Meuterei einer ganzen Militäreinheit in der Geschichte unseres Landes geführt haben. Ist es das, was Sie wollen?“, schloss sich Sender-Chefin Simonyan an. Sie warnte eindringlich: „Sie spielen mit bewaffneten Menschen.“ Wer genau mit „Sie“ gemeint war, blieb offen.

Der Kreml gesteht Fehler ein

Direkte Kritik an Kreml-Chef Putin üben die beiden zwar nicht, doch die Äußerungen lassen durchaus aufhorchen und liefern einen Einblick, wie kritisch die Mobilmachung in Russland gesehen wird und zu welchen Problemen sie an der Front führen könnte, wo die Truppen teilweise ohnehin stark demoralisiert sind.

Dass in den ersten Tagen der Teilmobilisierung offenbar nicht alles nach Plan verlief, gestand mittlerweile der Kreml selbst ein. In der Tat gibt es Fälle, in denen gegen das Dekret (von Präsident Wladimir Putin) verstoßen wird“, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax.

„Wir hoffen, dass das Tempo der Beseitigung zunimmt und dass alle Fehler korrigiert werden“, hieß es weiter.

Der militärische Wert der Rekruten wird als gering eingeschätzt

Militärexperten gehen jedoch davon aus, dass es der russischen Führung in erster Linie darum geht, die Lücken an der Front so schnell wie möglich aufzufüllen. Dazu passen Berichte, wonach sich erste Rekruten der Teilmobilmachung bereits an der Front befinden sollen; ohne vorheriges Auffrischungstraining.

Den militärischen Wert der neuen Soldaten schätzen Experten ohnehin als gering ein. Es fehlt an Ausbildern und die Moral der Truppe werde sich durch die Zwangsmaßnahme weiter verschlechtern, sagte der Militärexperte Gustav Gressel im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Abgesehen von der Ausbildung gibt es zudem Zweifel, ob Russland seine neue Rekruten überhaupt ausrüsten kann. (Tsp)

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