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Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) beklagt auch gezielte Desinformation in den sozialen Medien.

© dpa/Sebastian Kahnert

Update

„Die Gefahr besteht auch bei uns“: Deutsche Politiker warnen vor gesellschaftlicher Spaltung wie in den USA 

Nach Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zeigt sich auch Sachsens Ministerpräsident besorgt. Eine der Hauptursachen sieht Michael Kretschmer im Populismus der AfD.

| Update:

Die Streitkultur in Deutschland bereitet Spitzenpolitiker zunehmend Sorgen. Nach der Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Grüne), warnte nun auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vor einer gesellschaftlichen Spaltung in Deutschland wie in den USA. „Die Gefahr besteht auch bei uns. Da müssen wir wachsam sein“, sagte Kretschmer der „Welt“. Besonders der radikale Populismus der AfD zerstöre sehr viel an Vertrauen und Gemeinsinn.

Zuvor hatte sich Göring-Eckardt besorgt über die Entwicklung gezeigt und vor allem den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und den Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, scharf kritisiert. Sie würde sich wünschen, dass alle demokratischen Parteien „einen Weg aus der Spirale der Aufheizung fänden“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wozu das führen kann, sehen wir gerade in den USA. Deutschland sollte ein Land des Miteinanders und nicht des Gegeneinanders sein.“ 

Kretschmer sagte: „Die gemeinsame Wissensbasis erodiert. Viele Bürger weichen in soziale Medien aus, wo die Desinformation beängstigend ist. Immer weniger Menschen lesen Zeitung“, warnte er. Auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk komme es deshalb mehr denn je an. „Aber manche Sender verschrecken mit einem belehrenden Ton oder Gender-Sprache viele Menschen.“

Der selbstherrliche Politikstil, mit dem gerade Energie- oder Wirtschaftspolitik betrieben wird, hat großen Schaden angerichtet.

Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen (CDU)

Zur AfD sagte der Ministerpräsident: „Diesen Demagogen darf das Spiel aber auch nicht ohne Not leicht gemacht werden.“ Und weiter: „Der selbstherrliche Politikstil, mit dem gerade Energie- oder Wirtschaftspolitik betrieben wird, hat großen Schaden angerichtet.“

Es sei nicht nur die Aufgabe der Union, die AfD politisch einzuhegen und zu bekämpfen, so Kretschmer. Die Umfragewerte der AfD seien auch deshalb so hoch, „weil die Leute das Gefühl haben, es wird nicht über ihre Themen gesprochen. Und die Lösungen, die im Raum stehen, haben nichts mit dem zu tun, was sie bewegt. Dieser ganze Murks beim Heizungsgesetz frustriert die Leute.“

Im Hinblick auf die Landtagswahlen im nächsten Jahr schloss Kretschmer eine Zusammenarbeit, Koalition oder Tolerierung kategorisch aus. „Das habe ich vor der letzten Wahl gesagt und das gilt auch vor der nächsten Wahl“, sagte Kretschmer. 

Göring-Eckardt griff vor allem die Union an, der es nicht um die besten Lösungen zur Bewältigung der Krise gehe, sondern „leider nur um populistische Spaltung“. Mit den weitreichenden Kompromissvorschlägen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zum Gebäudeenergiegesetz wolle sich die Union offenbar nicht einmal beschäftigen. 

Dobrindt hatte zuletzt Habecks Angebot zur Nachbesserung des umstrittenen Gesetzentwurfs mit den Worten quittiert: „Die wievielte Nachbesserung ist das denn inzwischen? Dazu kann er ein Kinderbuch schreiben: Habeck und die 100 Nachbesserungen. Zu Habecks Politik passt das Prädikat ,besser’ genauso wenig wie ,gut’. Das Gesetz ist von vorne bis hinten vermurkst, verkorkst, bekloppt und gehört deswegen in die Tonne.“

Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Angela Merkel, selbst Edmund Stoiber waren verlässlicher im politischen Miteinander.

Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsvizepräsidentin (Grüne)

Göring-Eckardt rief Dobrindt und Markus Söder dazu auf, „dringend aus der Spaltungsschleife“ herauszukommen. „CDU und CSU wollten immer staatstragende Parteien sein“, sagte die Grünen-Politikerin. „Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Angela Merkel, selbst Edmund Stoiber waren verlässlicher im politischen Miteinander.“

Auch Bundespräsident Steinmeier hatte sich schon besorgt geäußert

Gerade in Krisenzeiten brauche es eine verantwortungsvolle Opposition, die auch ihren Teil der Staatsverantwortung trage, forderte Göring-Eckardt. „Dass das geht, hat sich in der Pandemie gezeigt und auch in den Reaktionen auf Putins Krieg.“

Mitte Mai hatte sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besorgt gezeigt über einen „Populismus, der die Institutionen verachtet und den vermeintlich wahren Volkswillen allein für sich reklamiert“, sagte er in seiner Festrede zum 175-jährigen Jubiläum der Nationalversammlung, die 1848 erstmals in der Frankfurter Paulskirche zusammengetreten war, um eine freiheitliche Verfassung für ganz Deutschland zu erarbeiten.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) betonte bei der Veranstaltung die Bedeutung von Kontroverse, aber auch von Kompromissbereitschaft und Dialog im Parlamentarismus. „Was unsere Demokratie definitiv nicht braucht, ist, wenn mit Lügen und Hass die Grundwerte unseres Zusammenleben untergraben werden“, sagte Bas. 

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte Anfang Mai eine neue Streitkultur in Deutschland angemahnt. „Wir brauchen wieder mehr Freude am Diskurs, am Miteinander“, sagte die SPD-Politikerin bei einer Podiumsdiskussion. Zum Streiten gehöre aber auch immer die Toleranz, andere Meinungen gelten zu lassen, erklärte Faeser in einem Podiumsgespräch.

Mit großer Sorge sehe sie, dass Menschen immer weniger Zeitung läsen und sich weniger in Rundfunk und Fernsehen informierten. „Was machen wir mit all jenen, die in Internetforen gefangen sind?“, fragte Faeser. Die Demokratie brauche gut informierte Bürgerinnen und Bürger.

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