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Osama al Taleb wollte eigentlich nie nach Deutschland. Nun sitzt er in Röbel.

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Update

Von Abu Dhabi nach Deutschland: Ein unfreiwilliger Flüchtling

2013 brach Osama al Taleb auf, um Medizin für seinen Sohn zu holen. Er landete unfreiwillig in Deutschland und kämpfte jahrelang darum, seine Familie nachzuholen. Jetzt landet sie in Berlin.

Als Osama al Taleb im März 2014 von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in die Türkei aufbrach, war das nicht mehr als ein verzweifelter Versuch seinen Sohn zu retten. Seit zwei Jahren litt dieser unter Epilepsie, verbrachte viel Zeit zu Hause, noch mehr im Krankenhaus. So erzählt es der 32-jährige Osama al Taleb. In der Türkei will der Syrer pflanzliche Medizin besorgen, um die Krankheit einzudämmen, die Anfälle des Kindes zu reduzieren. Aus der Reise wird eine Odyssee - mit einem glücklichen Ende. Nach langem Kampf mit der Bürokratie landet die Familie am Freitag in Berlin.

Ein Jahr und acht Monate nach seinem Aufbruch sitzt al Taleb „unfreiwillig“ in Deutschland, wie er sagt. Dazwischen liegt eine verworrene Geschichte mit vielen offenen Fragen und Zwischenstationen. Seine Familie hat er seitdem nicht wiedergesehen, sein Pass wurde eingezogen und sein Sohn hatte ab dem 1. Januar offiziell keine Medikamente mehr, sagt Osama al Taleb. Er hoffte ihn und die Familie nach Deutschland holen zu können. Doch es ist wie so vieles in der Geschichte des Osama al Taleb: kompliziert. Am Ende ist es eine Geschichte, die zeigt, wie schwierig es ist, solche Geschichten zu überprüfen - und das es sich lohnt, trotzdem für ihre Glaubwürdigkeit zu kämpfen.

Osama al Taleb wollte nie nach Deutschland fliehen

Sicher ist, dass der gebürtige Syrer vor gut einem Jahr in Röbel gelandet ist, einer Kleinstadt im Südwesten von Mecklenburg-Vorpommern. Wenn man dort durch die Ringgassen läuft, Richtung Norden, vorbei an den Fachwerkhäusern mit Ziegeldach, kann man den Blick schweifen lassen über die Müritz. Einen kleinen Hafen gibt es und einen Strand. Dinge, die für Osama al Taleb uninteressanter nicht sein könnten.
Anders als viele seiner Landsleute aus Syrien, wollte er nie nach Deutschland fliehen, sagt er. „Ich wollte nur meinen Sohn retten und bezahle jetzt für meinen Fehler, in die Türkei gegangen zu sein.“ Doch was passierte die zwei Jahre zwischen dem Aufbruch in der Türkei und der Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland?  

Um die Geschichte mit all ihren Wirrungen zu verstehen, muss man ins Jahr 2004 zurückschauen. Das Regime in Syrien will Osama al Taleb einziehen. Um nicht zum Militär zu müssen, sucht er sich Arbeit im Ausland. In Abu Dhabi, so sagt er, erhält er eine Arbeitserlaubnis, heiratet im Juli 2007 seine syrische Frau Jomana Al Hariri. Die Aufenthaltsgenehmigung wird Jahr um Jahr verlängert, 2009 kommt sein erster Sohn, zwei Jahre später seine Tochter zur Welt. Es lief gut für den Syrer und seine Familie. „Wir waren glücklich“, sagt er.

Der Sohn wird schwerkrank: Ist Giftgas die Ursache?

Das Chaos, es brach erst 2012 über ihn herein, sagt er. Die al Talebs reisen nach Syrien, wollen Verwandte in Damaskus und in Daara besuchen und ihre zurückgebliebene Wohnung in der Hauptstadt auflösen. „Bevor der Krieg alles verwüstet“, sagt Osama al Taleb. Doch die Städte sind längst im Krieg versunken. In der Zeit, so al Taleb, seien auch Bombardements mit Gas niedergegangen. Offizielle Beweise gibt es dafür nicht.

Die Familie von Osama al Taleb sitzt in Abu Dhabi fest, lebt dort seit einem Jahr illegal.

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Ende 2013, so erzählt der 32-Jährige sei sein jüngster Sohn Kenan krank geworden, er zuckte, als stelle man ihn unter Strom. In einem ärztlichen Bericht ist von Giftgas als mögliche Krankheitsursache die Rede, doch auch erbliche Veranlagungen werden nicht ausgeschlossen. „Aber niemand wusste was er genau hat“, sagt al Taleb. „Die haben alles versucht, aus meinem Kind eine Versuchsmaus gemacht, aber nichts hat geklappt.“ Wenn er von seinem Kind spricht, überschlägt sich seine Stimme: „Ich war verzweifelt.“

In Istanbul kassiert die Polizei seinen Pass ein  

Dann, so erzählt er, fliegt er nach Istanbul, um „pflanzliche Medikamente“ zu besorgen. Seine Firma zahlt die Reisekosten, sagt er. Hier, im März 2014 beginnt seine Odyssee. „Als ich in Istanbul ankam, nahm man mir den Pass ab“, sagt al Taleb. „Ich solle morgen wiederkommen.“ Doch als er wiederkommt, sei sein Pass nicht mehr da gewesen, so sagt er. Überprüfen kann man auch das nicht. Wie auch?

Er glaubt, der Pass wurde weiterverkauft. Syrische Dokumente seien in der Türkei viel Wert. In seiner Verzweiflung, suchte er nach Wegen zurück zu seiner Familie zu kommen. „Ich habe dann von einem Freund einen Pass gekauft, 300 Dollar hat er gekostet. Mit dem bin ich zum Flughafen."
Doch dort merken die Beamten, dass der Pass gefälscht ist. Dass er nicht verhaftet wurde, sei kein Glück, sondern „so üblich gewesen“, sagt er später. „Syrer werden nur 8 Stunden eingesperrt, bekommen dann einen Zettel in die Hand gedrückt und sollen das Land verlassen“, sagt al Taleb. Was also tun? Nach Syrien könne er nicht, das sei zu gefährlich. „Mir blieb nur die Flucht nach Europa“, sagt er.

In Deutschland engagiert er sich und lernt Deutsch

Was er dann erzählt, gleicht vielen Flüchtlingsgeschichten: Übersetzen nach Italien, Ankunft, Festnahme, Weiterreise. Am 9. Juni 2014, drei Monate nach seinem Aufbruch, wird er in Hamburg registriert, etwa einen Monat später kommt er nach Röbel. Er ist ein Dublin-Fall, soll wieder nach Italien abgeschoben werden.

Seitdem ist mehr als ein Jahr verstrichen. Al Taleb begann in der Flüchtlingshilfe zu arbeite, lernte Deutsch mit seinem Handy, und telefonierte nach Hause, sagt er. Wenn er davon erzählt, zittert seine Stimme, wird brüchig. „Wir hatten schlimme Zeiten“, sagt er und man hört das Beben seiner Lippen. „Dass wir so lange getrennt sind, tut weh.“

Das Dorf spendet die Flugkosten, um seine Familie nachzuholen

Im Oktober diesen Jahres die Bestätigung: Syrer dürfen in Deutschland bleiben, das Dublin-Verfahren wird ausgesetzt. „Ein Glücksmoment für mich, ich hatte wirklich Hoffnung“, sagt der 32-Jährige. Jetzt soll seine Familie nachkommen.

Heike Zoch, seine Patin und Betreuerin von Ridato – einer lokalen Flüchtlingshilfe-, kümmert sich leidenschaftlich um das Schicksal der Familie, übersetzte Papiere, schaltet Kommunalpolitiker ein und sammelt Spenden, um die Familie aus Abu Dhabi nachzuholen. „Die Flugkosten haben wir innerhalb einer Woche eingesammelt“, sagt sie, auch um die medizinische Versorgung habe man sich gekümmert. Doch so einfach ist das nicht.

Seine Familie lebt mittlerweile illegal in Abu Dhabi

Ende September 2014, also vor mehr als einem Jahr, lief das Arbeitsvisum von Osama al Taleb aus – und damit auch die Aufenthaltsgenehmigung seiner Familie. Seitdem lebe die Familie illegal in Abu Dhabi, muss sich verstecken, sagt al Taleb. Der Sohn werde glücklicherweise noch behandelt, weil sein Behindertenausweis noch bis Ende des Jahres gültig ist – zumindest auf dem Papier. Danach sei er ohne medizinische Versorgung. „Wenn sie kontrolliert werden, fliegt alles auf und sie werden nach Syrien geschickt. Das wäre ihr Todesurteil“.

Erst Anfang Dezember 2015 wird Osama al Taleb offiziell als Flüchtling in Deutschland anerkannt. Im Dorf, so erzählen Aktivisten und Lokalpolitiker, sei er längst integriert, helfe ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe und arbeite in einem Gutshof. „Er kann die Familie damit zwar nicht komplett ernähren, wird aber mittel- bis langfristig kein Soziallleistungsfall“, sagt Grünenpolitikerin Jutta Wegner, die sich für ihn einsetzt.

Die deutsche Botschaft lehnt die Zusammenführung ab

Schon im November stellt er einen Antrag, seine Familie nachzuholen. Doch die deutsche Botschaft lehnt ab. Eine Zusammenführung sei in den VAE möglich, so heißt es, da die Familie noch eine gültige Aufenthaltsgenehmigung habe. Doch das ist wohl falsch. „Durch das Erlöschen der Arbeitserlaubnis erlischt die Aufenthaltsgenehmigung – auch wenn sie faktisch noch in den Pässen steht“, so Jutta Wegner.
Die Familie kann also rein rechtlich nicht ausreisen. Gleichzeitig kann Osama al Taleb aber ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung der VAE nicht zurück ins Emirat reisen. Es ist wie so vieles in dieser Geschichte: kompliziert und schwer zu überprüfen.
Ab dem 1. Januar sei sein Sohn endgültig ohne medizinische Versorgung. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit für Osama al Taleb und seine Familie. Noch hofft der 32-Jährige, dass seine Rettungsreise ein gutes Ende nimmt. „Ob ich zurück ins Emirat darf oder meine Familie hierhinkommt, das ist mir egal. Hauptsache mein Sohn bekommt bald wieder Medizin“, sagte al Taleb. Das war Ende Dezember. Danach ging die Bürokratie in den Weihnachtsurlaub, Stillstand im Verfahren.

Die Familie darf nach Deutschland kommen

Dann zwei Wochen später die Erlösung: Seine Familie darf nach Deutschland reisen, die Zusammenführung ist genehmigt. Von oberster Stelle, wie seine Betreuerin gerne betont, vom Minister nämlich. Am Freitag landet die Maschine aus Abu Dhabi am Flughafen Tegel in Berlin. "Nach all den Kämpfen mit der Bürokratie haben wir es endlich geschafft", sagt Heike Zoch, die erleichtert klingt. "Am Mittwoch, also zwei Tage vorher, hat al Taleb auch eine Wohnung gefunden", erzählt sie. Doch als sie die Wohnung sah, habe sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. "Die mussten wir komplett renovieren", sagt sie. Gesagt, getan. "Nach all den Hindernissen, sollte es daran nicht scheitern", sagt sie. Zwei lange Tage später ist alles vorbereitet, die Familie kann kommen. Die Odyssee des Osama al Taleb, sie hat damit endlich ein Ende. Ein glückliches Ende.

Nils Wischmeyer

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