zum Hauptinhalt
Der türkische Präsident: Recep Tayyip Erdogan.

© Foto: AFP/Adem Altan

Wegen Kritik an Türkei: Erdogan lässt mehr als 120 Deutsche festhalten

Die Hälfte sitzt in der Türkei in Haft, die anderen dürfen nicht ausreisen. Die Zahl der Betroffenen ist seit Juni deutlich gestiegen – und dürfte weiter wachsen.

Die türkischen Behörden halten mehr als 120 Deutsche fest. Mehr als die Hälfte von ihnen sitzt in Haft, die anderen dürfen wegen einer Ausreisesperre nicht nach Hause zurückkehren. Das bedeutet, das wesentlich mehr Deutsche in der Türkei festgehalten werden als noch im Juni.

Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Gökay Akbulut hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Viele werden wegen ihres Engagements in kurdischen Vereinen oder Kritik an der türkischen Regierung festgehalten.

Die Haft-Gefahr für Deutsche in der Türkei könnte bald noch weiter steigen. Das Parlament in Ankara berät derzeit über ein Gesetz, das drei Jahre Haft für die Verbreitung von „Falschnachrichten“ vorsieht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Kritiker werfen Präsident Präsident Recep Tayyip Erdogan und der Regierung vor, das Gesetz so vage formuliert zu haben, dass fast jede kritische Meinungsäußerung bestraft werden kann.

Das Ergebnis der schwachen Außenpolitik der Bundesregierung gegenüber der Türkei.

Die Linken-Politikerin Gökay Akbulut

Das Auswärtige Amt erklärte in seiner Antwort auf Akbuluts Anfrage, derzeit seien 64 Deutsche in der Türkei in Haft; im Juni lag die Zahl bei 55. Außerdem unterliegen derzeit 58 Deutsche in der Türkei einer Ausreisesperre – im Juni waren es 49. Manche Bundesbürger wurden gar nicht erst in die Türkei hineingelassen. Das Auswärtige Amt berichtet von 17 Einreiseverweigerungen im laufenden Jahr; im Juni lag diese Zahl noch bei drei.

Akbulut sagte dem Tagesspiegel, sie habe von Betroffenen gehört, „die aufgrund ihres Engagements allein für kurdische Kultur und Sprache in Deutschland von der türkischen Justiz Haftbefehle erhalten.“ Auch hätten sich Menschen an sie gewandt, „weil sie bei der Einreise in die Türkei allein wegen Beiträgen in sozialen Medien festgehalten wurden. Ihnen werden demnach unter anderem Präsidentenbeleidigung und teilweise sogar Mitgliedschaften oder Unterstützung von vermeintlichen Terrororganisationen vorgeworfen.“

Die engen Grenzen für Meinungsfreiheit und Kritik in der Türkei sind seit Jahren ein Streitpunkt zwischen der Türkei und Deutschland. Während die Bundesregierung auf europäische Normen verweist, wirft Ankara den Deutschen und anderen Europäern vor, türkische Regierungsgegner im Ausland unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit gewähren zu lassen.

Die Linken-Politikerin Gökay Akbulut stellte eine Anfrage an die Bundesregierung.

© Foto Imago Images/Christian Spicker

So lehnt die Türkei bisher einen Nato-Beitritt von Finnland und Schweden ab, weil die Regierungen der beiden Nordländer aus türkischer Sicht radikale Gegner von Erdogan in ihren Ländern schützen. Ankara beklagt unter anderem, dass Anhänger der kurdischen Terrororganisation PKK in nordischen Städten demonstrieren dürfen. Kürzlich verklagte Erdogan den deutschen Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP) vor einem deutschen Gericht, weil er sich von ihm beleidigt fühlt.

Aus Sicht von Akbulut ist die steigende Zahl inhaftierter Deutscher in der Türkei „das Ergebnis der schwachen Außenpolitik der Bundesregierung gegenüber der Türkei“. Die türkische Opposition habe sich vom Regierungswechsel in Deutschland und der Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock mehr Unterstützung erhofft. „Diese Erwartung ist leider nicht eingetroffen“, kritisierte Akbulut. „Bei der Bundesregierung stehen geopolitische Interessen vor den internationalen Menschenrechten.“

Oppositionspolitiker Mustafa Yeneroglu spricht von „Zensur-Gesetz“

Erdogan-Kritiker in der Türkei und internationale Presse-Organisationen befürchten, dass der Druck auf Andersdenkende vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr noch zunehmen wird. Sie kritisieren den Entwurf für das neue türkische Desinformationsgesetz als Versuch, Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen.

Der Entwurf, der in den kommenden Tagen im Parlament verabschiedet werden soll, stellt „Falschinformation“ unter Strafe, die in der Bevölkerung „Sorgen, Angst oder Panik“ verursachen sollten und die innere oder äußere Sicherheit und die gesellschaftliche Ordnung gefährdeten.

Der Oppositionspolitiker Mustafa Yeneroglu spricht von einem „Zensur-Gesetz“. Die Regierung wolle sich mit dem Gesetz die Kontrolle über die sozialen Medien sichern, sagte Sibel Günes, die Vorsitzende der türkischen Journalisten-Gewerkschaft TGC. Wenn das Gesetz in Kraft trete, werde Journalismus in der Türkei verboten, fügte sie hinzu.

Mit dem Gesetz könne die türkische Justiz künftig Medien und Privatleute verfolgen, deren Meinungen „den Behörden nicht gefallen“, erklärte auch Gulnoza Said von der Pressefreiheits-Organisation CPJ in New York. Das Gesetz sei so vage, dass es auf „klare Zensur“ hinauslaufe. Die Opposition will nach Verabschiedung des Gesetzes das Verfassungsgericht anrufen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false