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Protest gegen Kinderehen bei einer Aktion von Amnesty International.

© AFP/GABRIEL BOUYS

Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: Kinder sind zu schützen, Ehen aber auch

Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen war die Politik im Anti-Scharia-Furor über das Ziel hinausgeschossen und hatte das Wichtigste vergessen – die Betroffenen.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Art und Weise, wie jedes Jahr auf dem Globus junge und sehr junge Menschen, vor allem Frauen, in eine Ehe gezwungen werden, ist ein menschenrechtlicher Skandal. Die Ursachen – Kultur, Religion, soziale Normen, schlechte Lebensbedingungen – sind nur schwer aus der Welt zu schaffen. Wohlstand und Bildung hilft, so viel ist sicher.

Mit den Folgen dieser Praktiken hat sich die Bundesrepublik unmittelbar zu beschäftigen. Was geschieht mit solchen Ehen, wenn sie hierzulande fortgeführt werden sollen? Die Politik hat sich vor sechs Jahren für eine harte Gangart entschieden. Ehen sind keine Ehen, wenn einer der Partner bei der Heirat unter 16 Jahren alt war. Sie sind dann nichtig.

Das Vorhaben fand Anklang. Es schloss sich an die großen Fluchtbewegungen in die EU in den Jahren 2015 und 2016 an, als neben der Unterbringung – zurückhaltend gesagt – auch wieder kulturelle Differenz verstärkt zum Thema gemacht wurde. Bei der pauschalen Nichtigerklärung der Minderjährigenehe waren sich fast alle einig. Niemals, nicht bei uns.

16
Jahre, so alt müssen die Ehepartner mindestens sein.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz von damals nun zwar nicht für nichtig, aber für unvereinbar erklärt mit der grundrechtlich geschützten Ehefreiheit. Rechte Kreise werden sich empören, man beuge sich damit dem Islam. Und Linke könnten kritisieren, es ginge wieder mal alles auf Kosten der Frauen.

Der Kompromiss wäre schon im Parlament möglich gewesen

Doch im Prinzip hat das Gericht das Anliegen des Gesetzgebers gebilligt. Er kann eine Grenze setzen, die nicht unterschritten werden darf. Nur muss, wenn die Ehe zur Nichtehe gemacht wird, dafür Sorge getragen werden, dass günstige Folgen wie Unterhaltsansprüche nicht einfach verloren gehen. Und es darf nicht ausgeschlossen sein, dass die Partner ihre Ehe fortführen können, wenn sie volljährig sind.

Das ist ein Kompromiss, wie er so oder ähnlich schon im Parlament möglich gewesen wäre. Immerhin konnten unter Geltung des Grundgesetzes bis Mitte der siebziger Jahre auch in Deutschland Menschen unter 16 Jahren heiraten. Zudem hatten Fachleute fast unisono gewarnt, eine Pauschalregelung zu verabschieden, die Minderjährige hinsichtlich ehelicher Ansprüche rechtlos stellt.

Aber es gab nur die verschärfte Lösung, die, wie sich jetzt zeigt, keine gerechte war. Die Ehe ist für Minderjährige ein Schaden, aber sie kann trotzdem Schutz bieten. Ein vernünftiger Ausgleich hätte das Symbol verwässert, das damals gefordert wurde. Die Politik hat sich treiben lassen und die Menschen vergessen, denen ihre Regelung galt.

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