zum Hauptinhalt
Zukünftig haben sie auch ein Parlament: Sorben in original sorbischer Festagstracht beim sorbisch-wendischen Fastnacht.

© Patrick Pleul/dpa

Kleines Volk, was nun?: Serbski Sejm will Brandenburg verklagen – und Deutschland

Ultimatum abgelaufen: Selbst ernanntes Parlament fordert Anerkennung der Sorben und Wenden als indigenes Volk. Doch ist das rechtens?

Von Sandra Dassler

Die brandenburgische Landesregierung hat bisher nicht auf die Ankündigung des „Serbski Sejm“ reagiert, die Länder Brandenburg und Sachsen sowie die Bundesrepublik zu verklagen, weil sie „die Sorben und Wenden nicht als indigenes Volk anerkennen“.

„Kein Kommentar“ hieß es vom Potsdamer Kulturministerium, das für die Angelegenheiten der Sorben und Wenden in Brandenburg zuständig ist. Man ist offenbar ebenso wie Sachsen und der Bund der Meinung, dass die schätzungsweise 60.000 Menschen slawischer Abstammung, die in Brandenburg und Sachsen leben, zwar eine anerkannte nationale Minderheit sind, aber kein indigenes Volk.

Schätzungsweise 60.000 Sorben und Wenden

Außerdem bezweifelt man in Potsdam, dass der „Serbski Sejm“, der sich selbst als Parlament bezeichnet, für alle oder auch nur für die Mehrheit der Sorben und Wenden sprechen kann. Er war nach Jahre langer Debatte 2018 gewählt worden – vor allem von Menschen, denen die Interessenvertretung durch den sorbischen Dachverband Domowina und anderen Institutionen nicht ausreichend erscheint.

Haben die Sorben und Wenden eine Zukunft? Vor allem ihre Sprache ist bedroht und damit auch ihre Kultur. Brandenburg sichert dem sorbischen Volk „das Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität“ zu. Doch reicht das?

© dpa

An der Wahl, für die es nach Ansicht von Kritikern keine gesetzliche Grundlage gab, nahmen allerdings nur knapp 900 Personen teil. Trotzdem forderte der Sejm vor drei Monaten ultimativ bis zum 23. Juni 2023 die Anerkennung der von ihm angeblich vertretenen Sorben und Wenden als indigenes Volk. Außerdem will er eine „Entschuldigung des deutschen Staates für die Leugnung der Indigenität des sorbisch-wendischen Volkes sowie für die undemokratische und unwürdige Behandlung seines ersten freigewählten Parlaments“.

Da weder die Bundesregierung noch die Landesregierungen in Potsdam und Dresden auf das Ultimatum reagierten, will der „Serbski Sejm“ sie nun vor internationalen Gerichten verklagen. Das haben seine Vertreter am Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin noch einmal bekräftigt. Zugleich forderten sie den Bund und die beiden Länder noch einmal auf, mit ihnen zu verhandeln. Deren Ansprechpartner sind allerdings nach wie vor die Sorbenräte bei den Landtagen, die „Stiftung für das sorbische Volk“, vor allem aber die Dachorganisation Domowina, die mehr als 200 Vereine mit etwa 7500 Mitglieder, Verbände und Einzelpersonen vereint.

Die Sorben verklagen Deutschland nicht.

Dawid Statnik, Vorsitzender der Domowina

Domowina-Vorsitzender Dawid Statnik versucht in diesen Tagen, den Journalisten immer wieder die Zusammenhänge zu erklären. Oft allerdings ohne Erfolg – wie ihm Schlagzeilen wie „Sorben wollen Deutschland verklagen“ oder „Sorben wollen mehr Selbstbestimmungsrechte“ vor Augen führen. 

„Die Sorben verklagen Deutschland nicht“, sagt er: „Und sie stellen auch kein Ultimatum.“ Leider entstehe durch das kontraproduktive Agieren des „Serbski Sejms“ für den unbedarften Leser der Eindruck, als ob die Sorben und Wenden nicht anerkannt seien und nicht unterstützt würden, „was einfach nicht stimmt“, sagt Statnik: „Mit so einem Ultimatum kommt nur der selbst ernannte Sejm kurzzeitig in die Schlagzeilen. Den angeblich von ihm vertretenen Menschen schadet ein solches überzogenes und konfrontatives Auftreten aber nur.“

Unsere Kultur ist in Gefahr.

Heiko Kosel, Sejm-Abgeordneter

Die Sejm-Anhänger argumentieren hingegen, dass die Domowina und die anderen sorbischen Interessenvertreter bei Verhandlungen mit der Bundesregierung und den Ländern „immer nur als Bittsteller auftreten können“, wie Sejm-Abgeordneter Heiko Kosel sagt: „Dabei ist die Situation dramatisch. Unsere Kultur ist in Gefahr. Sorbisch steht auf der UN-Charta für bedrohte Sprachen. Wenn wir als indigenes Volk anerkannt wären, hätten wir ein Recht auf Unterstützung und müssen nicht wie bisher darum betteln.“

Der Konflikt geht also tiefer, lebt aber auch von der Tatsache, dass der Begriff „indigenes Volk“ von verschiedenen Institutionen unterschiedlich definiert wird (siehe Kasten). Bereits 1989 hatte die Internationale Arbeitsorganisation, englisch: International Labour Organization (ILO), das „Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ verabschiedet. Es war das 169. Agreement dieser Sonderorganisation der Vereinten Nationen und wurde deshalb auch kurz als „ILO 169“ bezeichnet. Damals hatten sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR erklärt, dass auf ihrem Territorium keine indigenen Völker leben.

In Deutschland keine indigenen Völker

Die Bundesregierung, die sich zum Ultimatum des „Serbski Sejm“ bislang ebenfalls nicht äußerte, hatte die Frage, ob die Sorben ein indigenes Volk sind, vor der Ratifizierung der „ILO 169“ im Jahr 2021 untersuchen lassen. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass deren Vorfahren unbestritten bereits vor etwa „1500 Jahren in das Gebiet zwischen der Ostsee und dem Erzgebirge kamen und seitdem insbesondere in der Ober- und Niederlausitz beheimatet sind“.

Allerdings würden sie sich „hinsichtlich ihrer Lebens- und Arbeitsweise, ihrer sozialer und ökonomischer Systeme nicht hinreichend von der deutschen Mehrheitsbevölkerung“ unterscheiden. Daher würden sie derzeit nicht die Definitionen eines indigenen Volkes erfüllen – übrigens genauso wenig wie die anderen nationalen Minderheiten in Deutschland: die Friesen, Dänen sowie die Sinti und Roma.

Tatsächlich sind in ganz Europa nur die in Nordskandinavien lebenden Samen als indigenes Volk anerkannt.  

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false