zum Hauptinhalt
Vor allem junge Menschen zwischen 20 und 40, überwiegend Frauen, entwickeln Long Covid.

© Getty Images / Maria Korneeva

Nicht genesen vom Virus: Brandenburger Kliniken bieten spezielle Reha für Long-Covid-Patienten an

In Brandenburg entstehen Strukturen zur Unterstützung von Long-Covid-Patienten. Der Bedarf ist groß, wie eine Expertenanhörung im Landtag verdeutlichte.

Ein junger, kräftiger Mann, 31 Jahre. Feuerwehrmann, Kindergärtner in Potsdam. „Der lebendigste, quirligste Mensch dieser Welt“, so beschreibt Günter Baaske seinen Sohn. So war er - vor dem Frühjahr 2022. Im April steckt John sich mit Corona an. Das verändert sein Leben und das seiner Familie. Schlaflosigkeit, Benommenheit, irgendwann kann der Potsdamer kaum noch aufstehen, schon wenige Schritte strengen ihn an. „Ich werde nicht wieder gesund“, sagt er im Herbst. Der Verdacht: Long Covid.

Was folgt, beschreibt Vater Günter Baaske, SPD-Landtagsabgeordneter und früherer Brandenburgischer Sozial- später Bildungsminister, ist eine Odyssee zu verschiedenen Ärzten - die nicht helfen können. Eine Neurologin meint, die Erschöpfung liege daran, dass sich John lange nicht bewegt habe. Er will sich bewegen, schafft es nicht. Keine Kraft. Kurz vor Weihnachten endlich ein Termin in der Immundefekt-Ambulanz der Berliner Charité, bei Carmen Scheibenbogen, der deutschlandweit führenden Spezialistin auf dem Gebiet. Die Diagnose: ME/CFS, Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom.

Scheibenbogen hat schon zu Beginn der Pandemie darauf aufmerksam gemacht, dass ein beträchtlicher Anteil an Covid-Patienten ME/CFS entwickeln wird, eine bis heute kaum erforschte, nicht heilbare neuroimmunologische Krankheit, die zu körperlicher Behinderung führen kann. Betroffene zum Liegen zwingt, ihnen den Job nimmt, das normale Leben. Johns Kommentar, nachdem er bei Carmen Scheibenbogen vorstellig geworden ist, berichtet sein Vater: Jetzt ist er endlich mal bei einer Ärztin, die ihn versteht.

Aber selbst von Potsdam nach Berlin zu kommen für den Termin, wird zum Problem. Günter Baaske sagt, er habe einen Rollstuhl besorgt für seinen Sohn, sein Auto sei groß genug, um darin zu liegen. Aber vor der Vorstellung in Berlin müssen erst alle möglichen anderen ärztlichen Befunde besorgt, Untersuchungen gemacht werden, weil ME/CFS nach dem Ausschlussprinzip diagnostiziert. „Wie“, fragt Baaske, „soll man das schaffen mit einem Patienten, dem es richtig schlecht geht?“

In Rostock sollen Betroffene aus ganz Deutschland Hilfe bekommen

Das, was Baaske von seinem Sohn erzähle, „ist unsere tägliche Routine“, sagt Jördis Frommhold. Die Expertin für Long-Covid-Erkrankungen hat in Rostock das „Institut Long Covid“ gegründet, das Betroffenen seit Januar deutschlandweit Hilfe anbietet. „Wir sehen diese Probleme am laufenden Band“, berichtet Frommhold am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Potsdamer Landtags, der sich in einem Fachgespräch über Long Covid informiert. Überwiegend junge Menschen wie John seien es, die sich von einer Covid-Infektion nicht mehr erholen, sagt Frommhold.

Meist seien es Frauen zwischen 20 und 40. Speziell Frauen würden in ihrer Sympthomatik oft nicht wahrgenommen, sagt die Expertin - oder wie es die Ärztin und Abgeordnete Daniela Oeynhausen (AfD) formuliert „in die Psychoecke gestellt“. Es sei gut, dass diesen Patientinnen und Patienten - ob es nun um ME/CFS, Long Covid oder Post-Vac gehe - nun endlich Aufmerksamkeit geschenkt werde.

„Wir kennen mittlerweile jeder jemanden, der erkrankt ist oder werden angeschrieben von Betroffenen“, sagt auch die CDU-Abgeordnete Roswitha Schier. Zahlen, wie viele Brandenburger an Long Covid oder ME/CFS erkrankt sind, gibt es nicht. Etwa 15 Prozent der Ungeimpften entwickelten ein Post-Covid-Syndrom, sagt Tobias J. Müller, Leiter der Hochschulambulanz Long Covid der privaten Medizinischen Hochschule Brandenburg - Theodor Fontane (MHB) in Neuruppin. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass rund zehn Prozent aller an Covid-19 Erkrankten unter Langzeitfolgen leiden.

Wir kennen mittlerweile jeder jemanden, der erkrankt ist oder werden angeschrieben von Betroffenen.

 Roswitha Schier, CDU-Abgeordnete

Neben der Fatigue zählten dazu unter anderem Brainfog, ein Nebel im Gehirn, der jede Konzentration raubt, Sprachfindungs,- Schlaf- und Gedächtnisstörungen, zählt Müller auf. Eines der Hauptprobleme sei momentan, wie es auch Günter Baaske schildert, dass Hausärzte Long Covid und ME/CFS nicht erkennen, den Betroffenen nicht den Weg in die Hilfesysteme weisen können, die nun auch in Brandenburg aufgebaut werden. „Die Fortbildung von Ärzten ist stark in der Hand der Pharmaindustrie“, macht Müller deutlich. Und die habe kein Interesse an diesen Themen, weil es bislang keine wirksamen Medikamente gebe, die sich gewinnbringend verkaufen ließen. Das System müsse dringend neu aufgestellt und gleichzeitig die Forschung intensiviert werden.

Daran müssten Politik und Gesellschaft auch aus wirtschaftlichen Gründen Interesse haben, sagt Martin Spielhagen, Geschäftsführer der Neurologischen Fachkliniken der Kliniken Beelitz, der vergangenen April das Long Covid-Netzwerk Brandenburg (Infos unter www.direna.de) mit ins Leben gerufen hat und in engem Kontakt mit Carmen Scheibenbogen steht. Betroffene würden im Beruf lange ausfallen, nicht selten in der Berufsunfähigkeit rutschen. „Entscheidend ist, dass wir die Betroffenen wieder ins Berufsleben integrieren.“ Ein zurück auf ein Level von 100 Prozent Leistungsfähigkeit gebe es bei Long Covid-Patienten nicht. „Sie wirken äußerlich gesund, sind es aber nicht“, sagt Spielhagen. Darüber müssten Unternehmen besser informiert werden und umdenken.

Brandenburger Kliniken bieten eine spezielle Reha an

Helfen beim Weg zurück ins Leben kann eine spezielle Reha, wie sie die Fachklinik Wolletzsee bei Angermünde anbietet. „Wir lernen jeden Tag mit jedem Patienten neu dazu“, sagt Verwaltungsdirektorin Christin Walsh. „Das ist eine ganz neue Patientengruppe.“ Anfragen an die Reha-Klinik kämen aus ganz Deutschland. Bereits 2021 haben sich Reha-Kliniken und ambulante Reha-Einrichtungen in Brandenburg zusammengeschlossen, um Rehabilitationsangebote für die Behandlung von Long Covid zu ermöglichen. Die Erfahrung zeige: Gleich mit der - sehr individuellen - Therapie zu beginnen, schade nur. „Wir müssen es mit diesen Patienten langsam angehen“, erklärt Walsh, diese müssten erst ein paar Tage ankommen, Ruhe finden.

Gerade bei ME/CFS aber ist eine Aktivierung meist der falsche Weg, kann Bewegung einen Crash, einen Zusammenbruch, auslösen. Auch für schwerkranke Patienten wie John Baaske, die vorerst keine Reha machen, nicht aufstehen können, sieht Jördis Frommhold zumindest eine kleine Hilfsmöglichkeit, die auch im Flächenland Brandenburg zum Einsatz kommen könnte: Telemedizin. Anstatt die Betroffenen monatelang sich selbst zu überlassen, könnten sie online beispielsweise Pacing erklärt bekommen, eine Methode, um die individuelle Belastungsgrenze durch Energiemanagement nicht zu überschreiten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false