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Lutz Tygör, Bibliothekar an der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam, hat lange zur Bücherverbrennung in Potsdam am 22. 5. 1933 recherchiert.

© PNN/Andreas Klaer

Die geplünderte Bibliothek: Neue Erkenntnisse über die Bücherverbrennung in Potsdam

Woher kamen die Werke, die am 22. Mai 1933 von den Nazis auf dem Bassinplatz verbrannt worden sein? Auch darüber klärt Bibliothekar Lutz Tygör in seinem Buch auf.

Woher kamen die Bücher, die die Nazis am 22. Mai 1933 auf dem Bassinplatz verbrannten? Wie viele Menschen nahmen daran teil? Und wie war die Haltung der Stadtbevölkerung dazu? Zu diesen Fragen rund um die Bücherverbrennung in Potsdam, die sich in diesem Jahr zum 90. Mal jährt, hat der Potsdamer Bibliothekar Lutz Tygör einige neue Erkenntnisse zum Vorschein gebracht. Kürzlich ist sein Buch erschienen, mit dem Titel „Die Bücherverbrennung in Potsdam am 22. Mai 1933 – Irgendwoher müssen die verbrannten Bücher ja gekommen sein?“.

Etwa ein Jahr hat Tygör an dem Buch gearbeitet, es ist bislang die erste Publikation zum Thema. „Ich bin nun mal Bibliothekar und daher mit der Bewahrung von Büchern beschäftigt“. So erklärt der Mitarbeiter der Stadt- und Landesbibliothek seine Motivation, nach den Hintergründen der Ereignisse zu recherchieren. Dafür hat er neben der Potsdamer Tagespresse auch Akten der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung und Zeitzeugenberichte gesichtet.

Einer dieser Berichte gab Aufschluss darüber, woher ein Großteil der Bücher kam: Die Nazis plünderten dazu eine Gewerkschaftsbibliothek, die sich nahe dem Bassinplatz befunden hatte. „Es gibt eine schriftliche Quelle von der Frau des Bibliothekars, die davon berichtet, dass versucht wurde, einen Teil der Bücher zu retten“, sagt Tygör. Weitere Bücher kamen aus Schulen und Privathaushalten, doch die meisten stammten wohl aus der Gewerkschaftsbibliothek.

Vermutlich keine große Veranstaltung

Drei Mal wurde das Ereignis in der Potsdamer Tageszeitung erwähnt: Zweimal als Ankündigung und einmal als Bericht am Tag danach. Die Artikel sind sehr knapp, geben aber zumindest einen groben Eindruck des Ablaufs: Um acht Uhr abends trafen sich Mitglieder der Nationalsozialistischen Jungarbeiterbetriebszelle sowie die Jugendgruppen des Gewerkschaftsbundes der Angestellten und des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes vor dem NSDAP-Parteilokal in der heutigen Hegelallee 38.

Das Thema „Bücherverbrennung“ ist für Potsdam erst seit Neuestem aktuell. Tygör veröffentlicht als erster dazu.

© PNN/Andreas Klaer

Von dort aus zogen sie mit einem Fackelzug von der Brandenburger Vorstadt über die Kastanienallee bis zur Berliner Vorstadt, durch die Mangerstraße und schließlich zum Bassinplatz. Hier wurden die „marxistischen“ Bücher aufgestapelt und nach einigen kämpferischen Ansprachen angezündet. Als Wortführer tat sich dabei vor allem ein gewisser P.G. von Oppeln-Bronikowski hervor, Kreisleiter der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) und einer der wesentlichen Initiatoren der Bücherverbrennung. „Ich nenne ihn nur ‚den Brandstifter’“, sagt Tygör.

Im Jahresrückblick der Potsdamer Tageszeitung taucht die Bücherverbrennung gar nicht auf, obwohl viele andere Aktionen der Nazis dort genannt wurden. Es scheint also nicht ganz so wichtig gewesen zu sein.

Lutz Tygör, Bibliothekar und Buchautor

Bis heute existieren keine Fotos des Ereignisses. Auch wie viele Menschen teilnahmen, ist unklar. Allerdings nimmt Tygör an, dass die Veranstaltung nicht allzu groß gewesen war. „Im Jahresrückblick der Potsdamer Tageszeitung taucht die Bücherverbrennung gar nicht auf, obwohl viele andere Aktionen der Nazis dort genannt wurden. Es scheint also nicht ganz so wichtig gewesen zu sein.“

Auch der genaue Ort der Bücherverbrennung ist bis heute unbekannt. Kurz zuvor war am ersten Mai 1933 eine sogenannte „Hitler-Eiche“ am Bassinplatz gepflanzt worden, möglicherweise fanden die Verbrennungen direkt daneben statt. „Aber das ist reine Spekulation“, so Tygör. Zudem wisse man auch nicht, wo die Eiche gestanden hat.

Keine Proteste aus der Bevölkerung

Tygör geht davon aus, dass die meisten Potsdamerinnen und Potsdamer den Bücherverbrennungen eher zustimmend gegenüberstanden. Die ehemalige preußische Residenzstadt war ohnehin stark nationalkonservativ und kaisertreu geprägt und begrüßte in weiten Teilen das Ende der Weimarer Republik.

Nur zu gerne traten viele schnell in die NSDAP ein, der Andrang konnte kaum bewältigt werden: „Kurz nach der Machtübernahme der Nazis gab es in Potsdam einen Aufnahmestopp von neuen Mitgliedern in die Partei“, sagt Tygör. „Man nahm vorerst nur junge Menschen und altgediente Mitglieder von NS-Organisationen wie der SA auf.“

Sicher habe es in Potsdam auch Menschen gegeben, die die Bücherverbrennungen ablehnten. „Aber die haben sich nicht mehr getraut, etwas dagegen zu sagen“, sagt Tygör. Bei seinen Recherchen habe er jedenfalls nichts über Proteste gegen die Aktion finden können.

Für Tygör war es erschreckend zu sehen, dass die Bücherverbrennung von vielen Menschen gebilligt wurde. „Das war das Überschreiten einer Grenze“, sagt er. Der mangelnde Widerspruch habe weiteren Aktionen der Nazis den Weg bereitet: „Je mehr stillhalten, desto mehr Verbündete hat man.“

Am 22. Mai wird Tygör sein Buch im Rahmen einer Gedenkveranstaltung in der Stadt- und Landesbibliothek vorstellen. Zwischen 15 Uhr und 18.30 Uhr wird es mehrere kurze Lesungen aus verbrannten Büchern geben, anschließend hält Hans-Christoph Hobohm von der Fachhochschule Potsdam einen Vortrag zur Geschichte der Zensur. Daran schließt die Buchvorstellung an.

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