zum Hauptinhalt
Die Fenster Richtung Platz der Einheit wurden bereits vernagelt, obwohl noch Mieter im Staudenhofblock wohnen.

© Andreas Klaer

Die letzten Bewohner im Potsdamer Staudenhof: Leben hinter vernagelten Fenstern

Bereits im Mai sollen erste Abrissarbeiten am Staudenhof beginnen. Doch in dem DDR-Plattenbau in Potsdams Zentrum leben noch einige Menschen. Zu Besuch in einem Geisterhaus.

Noch steht der Staudenhof, doch die ersten Vorzeichen des geplanten Abrisses sind schon deutlich zu sehen: Auf der Hausseite, die Richtung Platz der Einheit weist, sind viele Fenster von innen mit Holzplatten verrammelt worden.

René Holter (Name von der Redaktion geändert) zeigt von der Straße auf die Fenster: „Das ist vor ein paar Tagen passiert, es gab dazu keine Kommunikation oder Begründung von der Pro Potsdam.“ Er möchte anonym bleiben, da er Repressalien vonseiten des kommunalen Wohnungsunternehmens befürchtet.

Holter gehört zu den wenigen verbliebenen Altmietern im Staudenhof, er wohnt seit 2010 hier. Laut Pro Potsdam leben noch weniger als zehn Altmieter in dem Haus, das aktuell vor allem von Geflüchteten bewohnt wird. 101 der insgesamt 182 Wohnungen sind bis zum 30. Juni für die Unterbringung von Geflüchteten an die Landeshauptstadt Potsdam vermietet.

Das Haus hat die Stadt aufgelockert und war nicht nur so eine tote Preußenromantik wie am Alten Markt.

René Holter (Name von der Redaktion geändert), der seit 2010 im Staudenhof wohnt

Die vernagelten Fenster gehören nicht zu Wohnungen, sondern zu einem Flur, der längs an der Hausfront liegt. Allerdings befinden sich in dem Flur die Türen zu Wohnungen, die zum Teil noch bewohnt sind.

Auf einem Balkon trocknet ein Bewohner Fische.
Auf einem Balkon trocknet ein Bewohner Fische.

© Andreas Klaer

Holter geht zum Hauseingang und betritt das Treppenhaus. Die Aufzüge will er nicht benutzen: „Lieber nicht“, sagt er. „Die gehen oft nicht, fahren manchmal ins falsche Stockwerk oder die Türen gehen nicht auf.“

Oben angekommen geht Holter in den Flur mit den verrammelten Fenstern – es ist stockdunkel. Licht kann man nicht machen, denn die Lampen sind mit einer Zeitschaltuhr verbunden und gehen erst mit Einbruch der Dunkelheit an. Holter schaltet seine Taschenlampe ein und zeigt auf die Türen: „Dahinter leben Menschen.“ Auch seine eigene Haustür liegt in einem solchen Flur ohne Licht.

Bröckelnder Beton und Wasserschäden

Bei den Holzplatten handele es sich um „Sicherungsmaßnahmen zur Vorbereitung der Baumaßnahmen“, heißt es seitens der Pro Potsdam: „Der Rückbau wird ab Mai 2023 beginnen; bis dahin werden kontinuierlich bauvorbereitende Maßnahmen um das Gebäude und im Gebäude durchgeführt“, sagt Pro Potsdam-Sprecherin Anna Winkler auf Nachfrage der PNN.

Man merkt dem 1972 gebauten Haus sein Alter deutlich an: Das Treppenhaus wirkt schmuddelig, die Bodenbeläge sind durchgetreten, an den Balkonen bröckelt der Beton, dahinter kommt rostiges Metall zum Vorschein. „Da kommen manchmal richtig große Stücke runter“, sagt Holter.

Alle Fenster dicht an der Front zum Platz der Einheit.
Alle Fenster dicht an der Front zum Platz der Einheit.

© Andreas Klaer

Es sei immer nur das Nötigste gemacht worden, aber das sei schon bei seinem Einzug so gewesen: „Man hat das Haus jahrelang verkommen lassen.“ Im Eingangsraum, wo die Briefkästen hängen, ist ein Wasserschaden an der Decke zu sehen. Viele der Namen über den Briefkästen sind durchgestrichen.

Holter bezahlt für seine Einzimmerwohnung 315 Euro im Monat. Er wohnt gerne hier, nicht nur wegen der niedrigen Miete und der zentralen Lage: „Das Haus war schon immer ein Schmelztiegel für unterschiedlichste Leute“, sagt er. „Ich mag dieses Gemeinschaftsgefühl hier, wo man sich über die Balkone hinweg unterhält.“

Auch heute sei das noch so: Oft sitzen Geflüchtete und ihre Familien auf der Terrasse gegenüber dem Bildungsforum oder treffen sich dort mit Freunden, immer wieder werden kleine Feste gefeiert.

Mieter beklagt schlechte Kommunikation

Von den früheren Mieterinnen und Mietern ist kaum noch jemand da. Schon seit Jahren habe die Pro Potsdam versucht, das Haus leerzubekommen, sagt Holter: „Auch mir haben sie verschiedene Wohnungen angeboten, aber die waren entweder Schrott oder total weit weg am Stadtrand.“

Vor etwa einem Jahr bekam er dann einen Brief, in dem sein unbefristeter Mietvertrag gekündigt und eine Auszugsfrist bis zum 31. Dezember 2022 gesetzt wurde: „Das war der dickste Brief, den ich je bekommen hatte, er hatte 120 Seiten“, sagt Holter. „Das war vor allem ein Gutachten, in dem drinstand, warum man den Staudenhof angeblich nicht mehr sanieren könne. Da waren unter anderem Fotos von Gebäudeschäden drin, die ich selber schon vor fünf Jahren bemängelt hatte.“ Viele andere Mieterinnen und Mieter hätten sich damals davon beeindrucken lassen und seien ausgezogen.

„Die Kommunikation vonseiten der Pro Potsdam ist sehr schlecht“, sagt Holter. „Das ist kein Gespräch auf Augenhöhe, man wird einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Auf Verhandlungen über eine Entschädigung für den Verlust seiner Wohnung, so erzählt er es, habe sich das kommunale Unternehmen nicht wirklich eingelassen, maximal die Umzugskosten sollten übernommen werden.

Auch vor Tricks schrecke die Pro Potsdam nicht zurück, so Holters Vorwurf: „Vor ein paar Monaten hatten sie einfach die Einzugsermächtigung für meine Miete ausgesetzt.“ Sprich: Es wurde keine Miete mehr abgebucht. „Ich habe es noch rechtzeitig gemerkt und musste zwei Mieten auf einmal überweisen, sonst hätten sie einen ernsthaften Grund gehabt, mich rauszuschmeißen“, sagt Holter.

Psychische Belastung durch prekäre Wohnsituation steigt

Trotz seiner prekären Wohnsituation sitzt Holter nicht auf gepackten Koffern: „Ich hatte nie vor, auszuziehen.“ Er versuche auszublenden, dass er irgendwann raus muss, doch die psychische Belastung steige: „So was wie das mit den verrammelten Fenstern empfinde ich schon als einschüchternd.“

Holter hatte nicht damit gerechnet, dass noch einmal eine große öffentliche Debatte um den Staudenhof entbrennt, so wie es letztes Jahr geschehen ist: „Das hat mich positiv überrascht. Ich dachte, dass wir einfach fallen gelassen und genauso weggemäht werden wie die alte Fachhochschule“, sagt Holter. „Aber gleichzeitig war mir klar, dass es das Unvermeidliche nur hinauszögern wird.“

Früher sei er wütend darüber gewesen, dass der Staudenhof abgerissen wird, mittlerweile macht es ihn vor allem traurig: „Ich finde es einfach nur schade, dass so ein lebendiges Haus abgerissen wird, das ist eine total vertane Chance für Potsdam“, sagt Holter. „Es hat die Stadt aufgelockert und war nicht nur so eine tote Preußenromantik wie am Alten Markt.“

Für ihn fühle sich der Abriss des Hauses, das mehr als ein Jahrzehnt sein Zuhause war, wie die Zerstörung eines Naturschutzgebietes an. Viele Menschen vom Studierenden bis zum Rentner hätten im Staudenhof eine zentrale und günstige Bleibe gefunden und die Innenstadt mit Leben erfüllt. „Es war gut hier“, sagt Holter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false