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Die Potsdamer Führerscheinstelle drohte mehr als 100 Behinderten mit Führerscheinentzug, nachdem diese einen Parkausweis beantragt hatten.

© Andreas Klaer

Fehler der Führerscheinstelle Potsdam: Umstrittene Praxis gegen Behinderte gestoppt

Die Führerscheinstelle hatte systematisch Behinderte zum Nachweis ihrer Fahreignung gezwungen. Nun hat die Stadt alle offenen Verfahren gestoppt – und Fehler eingeräumt.

Wer einmal im Leben den Führerschein gemacht hat, kann diesen für immer behalten, sofern man sich an die Verkehrsregeln hält. Niemand wird in Deutschland erneut auf seine Fahrtauglichkeit geprüft, auch hochbetagte Menschen nicht. 125 Potsdamerinnen und Potsdamer mit Behinderung mussten eine andere Erfahrung machen: Sie wurden seit letztem Jahr von der Potsdamer Führerscheinstelle gezwungen, ihre Fahreignung unter Beweis zu stellen, andernfalls würden sie ihren Führerschein verlieren.

Die „Märkische Allgemeine Zeitung“ hatte zuerst über die umstrittene Praxis der Führerscheinstelle berichtet, die mittlerweile gestoppt wurde. „Im Wesentlichen ist zu beanstanden, dass zu sehr nach den Buchstaben des Gesetzes und zu wenig nach der Zielrichtung, also dem Sinn und Zweck der Norm vorgegangen wurde“, sagt Potsdams Sozialbeigeordnete Brigitte Meier (SPD) auf PNN-Nachfrage. Augenscheinlich war das Gut Verkehrssicherheit über die individuellen Rechte der Betroffenen gestellt worden.

Doch wie war es zu der massenhaften Anordnung von Fahreignungsprüfungen gekommen? Die Betroffenen hatten sich nichts zuschulden kommen lassen, außer einen Behindertenparkausweis zu beantragen – dies hatte die Führerscheinstelle in fast allen Fällen dazu veranlasst, ihre Fahrtauglichkeit in Frage zu stellen. Den Betroffenen wurde mit dem Entzug ihres Führerscheins gedroht, sofern sie keinen Widerspruch einlegen und ein ärztliches Gutachten erstellen lassen würden – auf eigene Kosten.

Stadt will sich bei Betroffenen entschuldigen

In Potsdam hatte das Vorgehen der Verwaltung dazu geführt, dass in vier Fällen der Führerschein eingezogen wurde, 37 Personen hatten ihren Führerschein von sich aus abgegeben. Wie freiwillig sie das getan haben, ist fraglich, denn laut MAZ war ihnen von der Führerscheinstelle mit hohen Kosten gedroht worden, falls sie nicht auf ihre Fahrerlaubnis verzichten würden. 13 Personen durften ihren Führerschein behalten, mussten aber Auflagen erfüllen, etwa das Tragen einer Brille.

Die 39 Verfahren, die noch offen waren, wurden nun von der Stadt gestoppt. Ausschlag dazu hatte auch eine Prüfung der Landesdatenschutzbeauftragten gegeben, die ergeben hatte, dass sensible Gesundheitsdaten innerhalb der Führerscheinstelle weitergegeben wurden. Auch die Landesbehindertenbeauftragte Janny Armbruster (Grüne) hatte die Stadt aufgefordert, das Vorgehen der Führerscheinstelle zu stoppen.

Mittlerweile hat auch die Stadt eingeräumt, dass in der Behörde Fehler gemacht wurden. „Wären die Aufgaben ‚Antrag auf Parkerleichterung‘ und ‚Fahreignungsprüfung‘ organisatorisch getrennt gewesen, wäre das Problem nicht entstanden“, so Meier. Diese Trennung wurde mittlerweile vollzogen, zudem wurde ein Sacharbeiter versetzt. Außerdem kündigte Meier an, dass sich die Stadt bei den Betroffenen entschuldigen werde.

Die Fälle, in denen Behinderten der Führerschein entzogen wurde oder in denen sie ihn selbst abgegeben haben, sollen nun noch einmal durch eine Arbeitsgruppe geprüft werden. Heikel ist der Umgang mit den 39 gestoppten Verfahren, denn manche der Betroffenen haben bereits medizinische Gutachten erstellen lassen, laut denen sie nicht mehr fahrtauglich sind. „Sofern ärztliche Gutachten vorliegen, bedarf es einer Einzelprüfung“, sagt Meier.

Der Potsdamer Inklusionsaktivist Alexander Wietschel kritisiert, dass die Stadt viel zu spät reagiert habe: „In den Prozessen der Verwaltung hätte das viel früher als Problem erkannt werden müssen.“ Er sieht darin ein Symptom für umfassendere strukturelle Defizite innerhalb der Verwaltung: „Die Tatsache, dass Verwaltungsmitarbeitende in der Art und diesem Umfang Grundrechtseingriffe ausüben konnten, zeigt, dass der Geist der sogenannten Inklusion in nur sehr wenige Amtsstuben gedrungen ist“, so Wietschel. Janny Armbruster hingegen lobt die Reaktion der Sozialbeigeordneten: „Ich war doch positiv überrascht, wie klar und ehrlich Frau Meier am Ende damit umgegangen ist.“

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