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Landeshauptstadt: Telefonat mit der Mutter

Ex-Lindenstraßen-Häftling Manfred Richter über Verhörmethoden der Stasi

Natürlich, „die Schließer waren Dumpfbacken.“ Aber sie waren Manfred Richter doch noch lieber als „diese scheißfreundlichen Vernehmer“. Richter steht auf einer Treppe zwischen den Ebenen des ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße 54 und schaut die Schüler an. Sie kommen vom Gymnasium Schloss Wittgenstein in Bad Laasphe; sie sind auf Berlin-Besuch und besichtigen durch Vermittlung der Potsdamerin Maria von Pawelsz-Wolf die Potsdamer Gedenkstätte. Richter, der ab März 1975 elf Monate in der Lindenstraße inhaftiert war, erinnert sich an das Wachpersonal, das manchmal die kleine Klappe in der Zellentür mit voller Wucht zuklappte, noch bevor der Häftling den daraufgestellten Essenteller wegnehmen konnte. „Die hatten grünes Licht für Schikanen aller Art.“

Bei der Einlieferung in die Lindenstraße schrien sie ihn an – und Richter demonstriert, wie laut sie schrien, so laut, dass die Gymnasiasten zusammenzucken: „Sachen aus! Kommse, kommse, schneller !“ Richter erklärt den Schülern aus Nordrhein-Westfalen auch, dass „in alle Körperöffnungen geguckt wurde“.

Trotzdem. Die Schließer waren nur dumm, im Gegensatz zu den Stasi-Vernehmern, die als Offiziere ihre Verhörmethoden in einer Hochschule gelernt hatten, „gar nicht weit von hier, in Golm“, erklärt Richter. „Da konnten die einen Doktortitel erwerben, den sie heute noch tragen.“ Zur Verhörtaktik gehörte es, den Gefangenen einer bis zu dreiwöchigenEinzelhaft gleich nach der Inhaftierung auszusetzen. „Durch die Isolation steigert sich das Bedürfnis nach Zuspruch“, erläutert Kerstin Lorenz von der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54. Manche Untersuchungshäftlinge hätten geweint, als sie nach der Zeit allein in der Zelle bloß einmal wieder ihren eigenen Namen hörten. Wenn es dann irgendwann, nach einer dem Gefangenen schier endlos vorgekommenen Zeit, zum ersten Verhör nach der Inhaftierung kam, hieß es im Vernehmerzimmer plötzlich „Mensch Herr Richter, wie gehts ihnen? Wollense nen Kaffee?“ Wie Richter erläutert, „liegt da dann auch ein Brief von Zuhause auf dem Tisch, natürlich geöffnet“. Zu den Verhörmethoden in dieser Phase gehörte es auch, das Telefon klingeln zu lassen und so zu tun, als redete der Vernehmer mit der Mutter des Inhaftierten.

Richter selbst war 1975 bei dem Versuch erwischt worden, seine Schwester und deren Verlobten im Kofferraum seines Ford Escord aus der DDR zu schmuggeln. Er selbst hatte die Berliner Mauer in abenteuerlicher Weise über den nächtlichen Teltowkanal überwunden. „Vier Stunden lang bin ich mehr getaucht als geschwommen“, erinnert sich Richter. Nach seiner Flucht betätigte er sich als Fluchthelfer. Einer der Schüler wollte wissen, wie vielen Menschen er die Flucht aus der DDR in den Westen Deutschlands via Transitautobahn verhalf. „18 konnten sie mir nachweisen“, antwortete Richter, „33 waren es“.

1980 wurde Richter von der Bundesrepublik freigekauft. „Ich bin einer von 34 000“. 3,4 Milliarden D-Mark habe die DDR durch den Verkauf von Gefangenen eingenommen. Guido Berg

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