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Sammeln Liebestrophäen wie andere Pokémonkarten: Marquise de Merteuil (Julia Borgmeier) und der Vicomte (Andreas Klopp, r.).

© Rüdiger Böhme

Abgesang auf Typen von gestern: „Gefährliche Liebschaften“ im Schlosstheater

Warum inszeniert man in einer Post-Me-Too-Ära noch ein Stück, in dem ein Mann seine Verführungskünste demonstriert? Das Poetenpack hat Antworten.

Der Mann, um den es in „Gefährliche Liebschaften“ geht, ist ein Modell von gestern. Vicomte de Valmont heißt er, eine Erfindung von Choderlos de Laclos im 18. Jahrhundert: ein Womanizer, dessen soziale Stellung ihm Zugang sogar zu den Frauen ermöglicht, die ihm nicht ohnehin sofort erliegen. In der Inszenierung des Poetenpack, die am Donnerstag (29.9.) im Schlosstheater Premiere hatte, trägt dieser Vicomte weite Schlaghosen und fließende Hemden, die er wechselt wie die Frauen, denen er nachstellt. Ein Typ vergangener Jahrzehnte.

Warum also holt man so einen im Jahr 2022 wieder auf die Bühne? Die Inszenierung von Gislén Engelmann bietet zwei Antworten darauf. Zum Einen: So wie Andreas Klopp diesen Vicomte spielt, zeigt er: Die Rolle bietet großartiges Futter. Diese breitbeinige Bräsigkeit, diese unverschämte Mir-gehört-die-Welt-Pose, diese verbale Schlagkraft, das widerliche Händeabschlecken und Pozwicken, das sich um Fremdurteile und Schamgefühl nicht schert, diese augenzwinkernde Verbrüderung mit dem Publikum (immer wieder gelingt sie irritierenderweise auch): All das ist in seiner Virtuosität ein großes Schauspielvergnügen.

„Liebe ist etwas, das man benutzt, nicht etwas, dem man verfällt“

Die zweite Antwort liegt im Gegenüber des Vicomte, der Marquise de Merteuil (Julia Borgmeier). Sie ist das eigentliche Objekt seiner Begierde. Eine, die ihm ebenbürtig ist. Im gesellschaftlichen Rang, aber vor allem in der Schlagfertigkeit, im Grundsatz: „Liebe ist etwas, das man benutzt, nicht etwas, dem man verfällt.“ Eine, an der der Vicomte scheitert. Die am tragischen Ende sagen wird: „Ich hatte keine Wahl, ich bin eine Frau.“

Zunächst aber sind die beiden zwei Zyniker:innen, die Liebestrophäen sammeln wie andere Pokémonkarten. Je widerständiger, je „teurer“ das Objekt, desto besser. Also am besten eine Beinahe-Nonne (Hanna Prasse) oder die moralinsaure Cécile (Eva Schröer), aber am allerbesten natürlich die unerreichbare Spötterin, die Marquise selbst.

In einer Ära nach #MeToo kann man den Vicomte nicht mehr als Helden beschreiben, das ist klar. Dass es Andreas Klopp trotzdem gelingt, für diesen Vicomte einzunehmen, ist seine große Kunst. Dieser Vicomte spielt die Liebe zur als Eroberungsfeldzug gedachten Cécile so intensiv, bis er sie selber glaubt - und wir auch. Das wird frisch gespielt, musikalisch von Erik Kross leichtfüßig und melancholisch begleitet. Eine Inszenierung, die zwar ab und an etwas ungelenk wirkt (wohin mit der unglücklichen Cécile? An den Bühnenrand!), die sich aber wohltuend Zeit nimmt, nicht jede Pointe sofort abschießen muss. Ein sehenswerter Abgesang auf den Typen von gestern.

Bis 10. Oktober im Schlosstheater im Neuen Palais

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