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Komponistin Judith Weir bitte in dcx. Credit: Master of The King’s Music, Judith Weir CBE (2022)Kate Johnson.

© Kate Johnson

Auftakt der Potsdamer Winteroper: Zwischen Mahler und Hitchcock

Judith Weir war einst die einzige Frau, die am berühmten King’s College in Cambridge Komposition studierte. Heute gehört sie zu den Bekanntesten ihrer Zunft – und hat Teile der diesjährigen Winteroper geschrieben.

Von Babette Kaiserkern

Es ist doch immer wieder erstaunlich, welch weite Kreise gute Geschichten ziehen können. Die diesjährige Potsdamer Winteroper gibt ein gutes Beispiel dafür ab. Es wird „Der blonde Eckbert“ aufgeführt, ein beliebtes deutsches Kunstmärchen – in der Vertonung der englischen Komponistin Judith Weir. „Der blonde Eckbert von Ludwig Tieck ist sehr vielschichtig, eine Schauergeschichte mit fantastischen und psychologischen Elementen“, sagt Judith Weir im Video-Gespräch. Im Zentrum der bizarren Erzählung steht die Aussage der Hauptfigur Bertha: „Wie seltsam es auch immer klingen mag, meine Geschichte ist kein Märchen.“

Heute gehört Judith Weirs Oper vom „Blonden Eckbert“ zu ihren meistgespielten Werken – fast dreißig Jahre nach der Londoner Premiere mit der English National Opera. Die Kritik lobte die konzentrierte, klanglich delikat balancierte Partitur. Anklänge an Carl Maria von Weber bis hin zu Gustav Mahler seien geradezu selbstverständlich, da sich die Komponistin kongenial in die Gedankenwelt von Ludwig Tieck versetzt habe. Das romantische Motto der „Waldeinsamkeit“ durchzieht die Erzählung wie ein roter Faden. Rezensenten schrieben von nahezu expressionistischen Klängen im zweiten Teil der Oper, die scheinbar direkt aus einem Hitchcock-Film kämen.

Judith Weirs Laufbahn begann vor über fünfzig Jahren, als Frauen in der Musikwelt, zumal als Komponistinnen, noch eine Seltenheit waren. Dennoch beschreibt sie ihren Weg als ganz organische Entwicklung ohne Benachteiligungen. Die 1954 in Cambridge geborene Tochter schottischer Eltern begann als Oboistin im Nationalen Jugendorchester von Großbritannien. Dort dirigierte zeitweise kein Geringerer als Pierre Boulez und machte, wie sie sagt, wunderbare Programme.

So lernte sie nicht nur das klassische Repertoire kennen, sondern auch die Avantgarde der Zeit mit Werken von Stockhausen, Ligeti und anderen. Am berühmten King’s College in Cambridge studierte Weir Komposition – und war in ihrem Jahrgang die einzige Frau. Doch schnell gewann sie Auszeichnungen und Stipendien und wurde bereits im Jahr 1995 zum Commander of the British Empire ernannt.

Es gibt viele Menschen, die den Wert der klassischen Musik nicht mehr kennen.

Judith Weir, Komponistin

In Weirs Werken verschmelzen unterschiedliche Einflüsse. Ursprünglich liebte sie besonders die Musik von Igor Strawinsky und Leós Janácek. Später kam eine Zeit, wo sie Musik aus der schottischen Kultur entdeckte. Auch die chinesische Musik war eine Offenbarung für sie. Neben ihrer kreativen Arbeit war Weir auch lange Jahre als Dozentin für Komposition tätig.

Es freue sie sehr, dass heute viele junge Frauen fantastische Karrieren in der Musikwelt machen, gerade auch als Komponistinnen, sagt Weir. Bis heute gibt sie musikalische Einführungen an Schulen, denn: „Es gibt viele Menschen, die den Wert der klassischen Musik nicht mehr kennen.“ Von den finanziellen Kürzungen seien in England nicht nur die Schulen betroffen, sondern auch die English National Opera. Dagegen herrschte damals, als sie selbst begann, Opern zu schreiben, eine große Experimentierfreude. Ein Werk wie „Der blonde Eckbert“ konnte wohl nur aus diesem Klima heraus entstehen.

Zu den größten Bewunderern Ludwig Tiecks zählte übrigens der preußische König Friedrich Wilhelm IV., der im Park von Sanssouci unter anderem die Orangerie errichten ließ. Er berief Tieck in den neu gegründeten Orden für Wissenschaften und Künste und schritt höchstpersönlich seinem Begräbniszug voran. Jetzt zieht Tiecks „Blonder Eckbert“ in Gestalt der schillernden Musik von Judith Weir ins Potsdamer Schlosstheater ein – welche eine Metamorphose einer alten Geschichte.

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