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„Rührt euch!“ heißt eine Sound- und Videoinstallation von Annette Paul im WC-Bereich der ehemaligen Kantine des Potsdamer Rechenzentrums.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Gedenken als Installation: „Rührt euch!“ von Annette Paul

Zum 90. Jahrestag des „Tags von Potsdam“ führt die Potsdamer Künstlerin in einen bisher verschlossenen Raum im Rechenzentrum: den WC-Bereich der abgerissenen Kantine.

Wer sehen will, wie die Potsdamer Künstlerin Annette Paul den „Tag von Potsdam“ kommentiert, muss durch den Geburtskanal. So nennt Paul den Gang mit den rosa Wänden, der im Foyer des Rechenzentrums links abzweigt. Man muss am „Lernort Garnisonkirche“ vorbei, einen weiteren Gang entlang, bis zum Raum 038A. „Rührt euch“ steht an der Wand, aber man muss noch weiter. Durch eine schmale quadratische Öffnung, die Revisionsklappe, drei Stufen runter. Gebückt, sonst stößt man sich dabei den Kopf. Dann ist man da. Aber wo genau?

Die eine Antwort ist: Wir befinden uns im WC-Bereich einer Kantine, die es nicht mehr gibt. Die fensterlosen Wände gekachelt, der Schutt in einer Ecke zusammengekehrt. Die Toiletten und Waschbecken gehörten einst zur Mensa des Datenverarbeitungszentrums, ein eingeschossiger Bau an der Breiten Straße, 2010 abgerissen. Der WC-Raum blieb seitdem ungenutzt. Erst jetzt, im Rahmen von „90 Jahre Tag von Potsdam“, fand Anja Engel, Sprecherin des Rechenzentrums, dass der Moment gekommen sei, diesen Raum zwischen den Räumen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein Raum zwischen Räumen: Das ist die zweite Antwort auf die Frage, wo wir uns befinden.

Auf dem Gelände des Rechenzentrums prallen Gestern und Heute aufeinander wie sonst nirgends in Potsdam. Wo früher die Kantine war, ist heute wieder der Turm jener Kirche, vor der sich Hitler und Hindenburg vor 90 Jahren die Hände schüttelten. „Wir befinden uns auf der gleichen Ebene wie das ehemalige Kirchenschiff“, sagt Annette Paul, als wir durch die Revisionsklappe geklettert sind. Nur wenige Meter trennen uns von der ehemaligen Garnisonkirche. Dem Ort, wo der Reichstag eröffnet wurde. Paul ist überzeugte Christin, aber vehement gegen den Wiederaufbau.

Anfang vom Ende

Im Schummerlicht des ehemaligen WC-Bereichs kommt Hitler selbst zu Wort. „Wenn wir diese Gemeinschaft bilden, eng verschworen, zu allem entschlossen, niemals gewillt zu kapitulieren, dann wird unser Wille jeder Not Herr werden“, zitiert Annette Paul Hitlers Rede vom 1. September 1939. Kriegsbeginn. Der „Tag von Potsdam“ gilt heute als Anfang vom Ende der Demokratie. „Rührt euch“ zeigt auf bedrückende Weise, dass das Ende der Demokratie in ihr selbst wohnt: in der Tatsache, dass Massen irren können. Verführbar sind. Noch heute.

Das schwingt auch in einem Bibel-Zitat mit, das Paul eingesprochen hat: „Da ließ er sich Wasser bringen und wusch sich vor dem Volk die Hände.“ Die Rede ist vom Statthalter Pilatus, der versucht hatte, Jesus vor dem Tod zu bewahren, sich aber dem Volkswillen beugte. So begnadigte er Barabbas. Einen Mörder.

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