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Potsdamer Autorin Paula Fürstenberg.

© Jonas Ludwig Walter

Paula Fürstenbergs „Weltalltage“: Tränen, Trauma und Tomatensuppe

In ihrem zweiten Roman geht die 1987 geborene Autorin weiter der Leerstelle DDR nach. Klug, humorvoll – und konsequent mit der eigenen Form hadernd.

Paula Fürstenberg nimmt es in ihrer Literatur genau, und gern sucht sie sich Versatzstücke aus der Realität zur Hilfe. In ihrem 2016 erschienen Roman „Familie der geflügelten Tiger“ waren das: Stasiakten. Die 1987 in Potsdam Geborene nahm in ihrem Debüt den Jargon der DDR unter die Lupe. Ein Land, das sie selbst zwar nicht bewusst kennenlernte, von dem sie aber offensichtlich geprägt ist. Die DDR als Leerstelle also, und zwar eine „voller Bruchstücke und Anekdoten“, so sagte Fürstenberg damals.

In ihrem zweiten Roman „Weltalltage“ nähert sie sich erneut dieser Leerstelle an. Mit einem sonst in der Literatur eher Außenseiterstatus genießenden Hilfsmittel: Listen. „Liste möglicher Anfänge dieser Geschichte“, so geht der Roman los. Später folgen: „Liste deiner Versuche, davon zu erzählen, wie Max der letzte Mann seiner Familie wurde“, „Liste der Comebacks, die du im Stillen feierst“, „Verzeichnis einiger Krawall-Barbies“.

Das ist auf eine spröde Weise erstaunlich unterhaltsam. Zumal der Stoff der Welt, deren Fetzen auf diese Weise eingefangen werden, alles andere als leicht ist. „Weltalltage“ berichtet von zwei Krankheitsgeschichten, die sich einen Wohnort teilen. Eine WG.

Was hält eine Freundschaft aus?

Hier lebt die Ich-Erzählerin mit ihrem Jugendfreund Max. Sie kennen sich seit Schultagen, sind jetzt Mitte dreißig. Sie: eine junge Frau, die jahrelang nach der richtigen Diagnose für ihren Schwindel gesucht hat und irgendwann, nach vielen Fehlversuchen, den Begriff der Endometriose gereicht bekommt. Das beruhigt, heilt sie aber nicht. Und: Sie will nicht nur gesunden, sondern Autorin sein. Autorin der Geschichte über Max.

„Weltalltage“ ist ein Buch über Freundschaft und das, was sie aushält. Es ist als manchmal ermüdender innerer Widerstreit der Ich-Erzählerin geschrieben: Immer wieder adressiert sie sich selbst („ursprünglich wolltest du deine eigene Geschichte da raushalten“). Max, das ist ihr Gegenteil. Der Gesunde, der Stärkere. Bis er es eines Tages nicht mehr ist. Max’ Depression bringt die Welt dieses Freundespaares ins Wanken, und auch die Erzählung. Sie schlägt Haken. Rollt mal vorwärts, mal zurück.

Alles Gesagte muss hier durch eine weitere Instanz gehen: die Autorisierung dessen, über den geschrieben wird. „Weltalltage“ ist auch ein Buch über literarische Aneignung. Wer hat das Recht, über wen oder was zu schreiben? „Die Frage ist nicht nur, wer von der Tomatensuppe erzählen darf“, heißt es einmal. „Die Frage ist auch, wer wegen der Tomatensuppe heulen darf.“

Deutsche Verhältnisse

Die Suppe ist in „Weltalltage“ zentral. Gekocht hat sie Max’ Großmutter für ihren Sohn. Und zwar an dem Tag, als dieser Sohn, Max’ Onkel, sich das Leben nimmt. Die Tomatensuppe wird zur Chiffre für Trauma. „Jetzt bist du der letzte Mann in unserer Familie“, sagt die Großmutter, als der Onkel stirbt. Max’ Vater starb, als Max ein Jahr alt war. Er hatte beim VEB Chemiehandel gearbeitet.

Die Frage ist auch, wer wegen der Tomatensuppe heulen darf.

Romanfigur aus Paula Fürstenbergs neuem Buch

Die DDR ist aus den Figuren dieses Romans nicht wegzukriegen. Max, der angehende Architekt, schreibt seine Hausarbeit „über die Vorteile der in der DDR entwickelten hyperbolischen Betonfertigteilschalen“. Die Erzählerin berichtet von der Auseinandersetzung mit „pauschalen Jammerlappen-Urteilen“ und was die DDR für sie als Jugendliche war: „kaum mehr als der gelegentliche Korn zum Feierabendbier eurer übermüdeten Mütter“. Erst vom Studium „im Westen“ ist sie „als Ostdeutsche zurückgekehrt“.

„Weltalltage“ ist nicht zuletzt auch ein Buch über „die deutschen Verhältnisse“. An denen sind der Großmutter zufolge die Männer in Max’ Familie gestorben. Ob durch Krankheit oder Suizid: Schuld ist die DDR. Das sagt die Großmutter; die Autorin sagt das so schlicht nicht. Für einfache Diagnosen ist dieser lesenswerte, mit sich und seiner Welt so konsequent, so charmant und humorvoll hadernde Roman zu schlau.

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