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„Hinterwelten“ von der belgischen Kompanie Mossoux-Bonté.

© Julien Lambert

So war der Auftakt des 28. Unidram-Festivals: Panoptikum des Paranormalen

Fünf Tage, sechs Orte, zwölf Inszenierungen: Das Theaterfestival Unidram hat begonnen. Den Auftakt machte die belgische Horrorshow „Hinterwelten“.

2021 wurde geackert, jetzt wird wieder gezaubert. Im letzten Jahr, nach einem Jahr pandemiebedingter Pause, bestritt die belgische Truppe Claudio Stellato den Auftakt des Theaterfestivals Unidram. Unter dem richtungsweisenden Titel „Work“ wurde gehämmert, gemalert, gesägt und Beton gemischt. Der Auftakt der 28. Ausgabe führte am Dienstag (11.10.) in ganz andere Gefilde. In „Hinterwelten“ wird nun durch Wände gegangen, Köpfe rollen, Menschen verwandeln sich in Monster. Und am Ende andersrum.

„Hinterwelten“, eine Deutschlandpremiere der belgischen Kompanie Mossoux-Bonté, stürzt sich in das Reich des Paranormalen. Die Bühne der fabrik ist dunkel, sechs Gänge tun sich nebeneinander auf, wie Schlünde öffnen sie sich ins Bühneninnere. Von dort, wo es am dunkelsten ist, kriechen sechs Figuren nach vorn, gespenstisch weiß. Sie tragen Frauenkleider und Perücken aus vergangenen Epochen und wirken selbst, als hätte ihnen der Schlaf der Jahrhunderte die Knochen steif gemacht.

Dunkle Wolken am Festivalhimmel

2021 saß man luftig, in Schachbrettformation, nur mit Testnachweis. „Hinterwelten“ hingegen, so sagt es Unidram-Leiter Jens-Uwe Sprengel eingangs selbst, darf wieder in weitgehender Normalität stattfinden: Die 200 Plätze in der fabrik sind ausverkauft. Kulturministerin Manja Schüle (SPD) ist gekommen, um die Eröffnungsrede zu halten. Er sehe Schüles Anwesenheit als Fingerzeig dafür, dass dieses Festival auch künftig weiter stattfinden könne, sagt Sprengel noch, „trotz der dunklen Wolken am Himmel“. Die Pandemie ist nur eine davon. Der Krieg, die knappen Kassen in den Haushalten, die hohen Energiepreise, all das wirft seine Schatten voraus. Die Normalität dieses Festivalauftakts, sie ist sehr relativ.

Auf der Bühne indessen: alles paranormal. Die weiß Gewandeten werden wie von elektrischen Impulsen durchzuckt, wiederholen die immergleichen Abläufe. Ein Schritt, bei dem die Beine wegknicken, eine angedeutete Umarmung, ein Bauch, in den die Atmung große Wellen schlägt. Gefangene einer Zeitschleife? Minimalistisch, ungemein virtuos beginnt das, über längere Zeit ist nur bei genauestem Hinsehen eine Veränderung zu erkennen. Der Sound pustest Ahnungen von Horror auf die Bühne. Wind. Flüstern. Das Knacken von Schallplatten. Hundegeheul.

Die schwarze Magie des Theaters

Auch sonst grüßen Referenzen an den Horrorfilm: das sadistische Geschwisterpaar, die unter schwarzen Haaren verdeckte Grimasse, die bleiche Schöne. Verrenkte Gliedmaßen lassen an den Exorzisten denken. Alle treten sie nebeneinander auf, lange jede:r für sich. Und werden immer wieder zurück ins Schwarz gesogen: Dem Dunkel kann niemand entkommen. Bald pulsieren die scheinbar klapprigen Körper vor Begehren. Arme, Beine, Bäuche bieten sich an. Alles an „Hinterwelten“ sucht den Kontakt mit seinem Gegenüber: uns. Dramatisch aufgerissene Münder formen stumme Nachrichten. Was wollen sie sagen? Man wüsste es gern.

Aber mit eindeutigen Botschaften hält „Hinterwelten“ sich zurück. Die Halbtoten marschieren auf, senden gestische Morsezeichen aus, verschwinden wieder. Wäre das nicht so ungeheuer präzise choreografiert, es hätte etwas von einer monströsen Modenschau. Mindestens einmal aber verspürt man tatsächlich diesen angenehmen Schauer: Was, wenn sie wirklich nach uns griffen? In diesen Momenten hat sie gewirkt, die schwarze Magie des Theaters.

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