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Toter, lebendiger Ort. „Kaufhalle“ (2020) von dem Berliner Künstler Christian Thoelke, Jahrgang 1973.

© Christian Thoelke

„Werk statt Sammlung“ im Minsk: Was ist das eigentlich, DDR-Kunst?

Fiktive Buchtitel treten in der Schau in Dialog mit Werken von Willi Sitte, Cornelia Schleime oder Christian Thoelke. Und holen das Lachen zurück in die Ost-Debatte.

Bevor die Ausstellung im Potsdamer Kunsthaus Minsk ermutigt, alte Werke neu zu sehen, ein paar Gedankenspiele. Wie wäre das, den Palast der Republik wiederaufzubauen? Oder, andersrum, das Brandenburger Tor in Berlin zu demontieren, um es am Ort des ehemaligen Palastes der Republik ruinenhaft wieder auferstehen zu lassen - und zwar im Kontext einer Rekonstruktion des Fischerdorfes, das sich an der Stelle vor Urzeiten befunden hatte? Frau Dr. Greifswald ist deutlich dafür.

Frau Dr. Greifswald spricht im ersten Ausstellungsraum im Namen des „Bundes der vertriebenen und flüchtigen Architekturen“. Sie trägt Bart und Ohrring und befindet sich im TV-Dialog mit zwei sehr ähnlich aussehenden Architekturexpert:innen: Alle gespielt von dem Berliner Künstler Wilhelm Klotzek. Klotzek (Jahrgang 1980) wurde vom Minsk eingeladen, in der Ausstellung „Werk statt Sammlung“ mit Werken aus der Sammlung Hasso Plattner in den Austausch zu gehen. Und das Entree dieser Schau zeigt: Wer dachte, die zeitgenössische Perspektive würde hier zum bloßen Sidekick der DDR-Granden Sitte, Mattheuer und Tübke, irrt. Mehrfach.

Ikarus im Matsch

Kuratorin Paola Malavassi meint es ernst mit dem Blick von heute auf die Kunst, die in der DDR entstand. Das zeigt schon die rabiate Entscheidung, die Hälfte der Ausstellungsfläche zum Ort für Workshops und Austausch zu erklären: Im Moment hängen hier 83 Collagen, die in Reaktion auf die gezeigte Kunst von Potsdamer Schüler:innen entstanden.

Einen bissigen, gnadenlosen Blick von heute zeigt Klotzek auch in den Buchcovern, die er für diese Ausstellung entworfen hat: Fiktive Titel, die zwischen den Gemälden hängen und frappierend überzeugend aussehen, als entstammten sie den 1970er oder 1980er Jahren. „Sächsische Künstlerinnenporträts der 1970er Jahre“, „Erzgebirgische Moderne“ oder „Ikarus im Matsch. Ostdeutsche Flugbahnen“: Das Lachen über einzelne Titel entlarvt, wie sehr man verinnerlich hat, was „zum Kanon gehört“, also intuitiv eines Printprodukts würdig erachtet wird - und was eher nicht. Daran will die Schau rütteln.

In Anspielung auf Mattheuers „Jahrhundertschritt“ (ebenfalls in Plattners Sammlung) heißt ein Cover auch: „Jahrhundertfüße. Von Rosa Luxemburg bis Steffi Graf“. Nachdem das von Hasso Plattner wiedererrichtete Gebäude zur Neueröffnung als Kunsthaus 2022 Wolfgang Mattheuer in einer ganzen Ausstellung huldigte, darf in der Folgeausstellung nun auch über ihn gelacht werden. Unweit von Willi Sitte ist ein Buch mit dem Titel „Ich kann eure Bilder nicht mehr sehen. Meisterwerke des Sozialistischen Realismus von hinten“ platziert.

Auch Kippenbergers Erinnerungen. Vom 3. Juni bis 20. August ist die Ausstellung „Werk statt Sammlung“ zu sehen.

© Andreas Klaer

Bewusst kitzelt das Minsk Fragen heraus, die Direktorin Malavassi als elementar für das Haus bezeichnet: Was ist es wert, bewahrt und erinnert zu werden? Was ist das überhaupt, die sogenannte DDR-Kunst? Und nicht zuletzt: Wer darf DDR-Erinnerung zum Thema machen?

Gesellschaftliche Heilung?

Die Antwort der Ausstellung ist deutlich. Nach zwei Teilen mit Mattheuer, Stefan Plenkers, Gudrun Brüne, Willi Sitte und Bernhard Heisig, kommen im dritten auch Martin Kippenberger und Rosemarie Trockel zum Zuge. Beide ohne DDR-Biografie. Trockels „Made in Western Germany“ von 1990 ist ein großer Teppich, auf dem der Slogan vielfach zu lesen ist. Unter dem Namen Martin Kippenberger findet sich ein Gemälde aus der Serie „Lieber Maler, male mir“ von 1981: Der Künstler an einer Mauer neben den Worten „Souvenirs“ und „30 DDR“.

An der Wand gegenüber Formelemente von Karl-Heinz Adler, dessen Formsteinmauer in Potsdam am noch immer vom Abriss bedrohten Kunstort Rechenzentrum einst Abrisskandidat war. Ohne das auszusprechen, dürfte für viele Potsdamer:innen an dieser Stelle die in der Stadt heftig geführte Debatte um den Erhalt von DDR-Architektur mitschwingen. Ob die Ausstellung tatsächlich zur „gesellschaftlichen Heilung“ beitragen kann, wie Stefanie Plattner, die Tochter des Mäzens, es beim Presserundgang anklingen ließ, wird sich zeigen. Angesichts der durch Dirk Oschmann und Mathias Döpfner erneut aufgeflammten Debatten um Ostdeutschland jedenfalls kommt der so scharfe wie humorvolle Ton dieser Ausstellung eindeutig zur rechten Zeit.

Neben Ulrich Hachulla, Ruth Wolf-Rehfeldt und Cornelia Schleime sind auch zwei Großformate von Christian Thoelke im letzten Raum zu finden. Thoelke, Jahrgang 1973, thematisiert in seinen Gemälden, was die Ausstellung als Ganze zu greifen sucht: Die Verbindung zwischen einem Land, das es nicht mehr gibt, und der unmittelbaren Gegenwart. Eine Kaufhalle aus einem Plattenbaugebiet, die Fenster vernagelt und mit Graffiti übersprüht. Ein Klettergerüst mitten im Wald, durch die Stangen wachsen junge Birken. Scheinbar tote Orte. Und doch haben sie längst auf eigene Art begonnen zu leben.

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