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Zu den Finalisten gehörte das Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei mit dem Münchner Volkstheater.

© Roland Halbe

Preis für Architektur in Deutschland: Eine fundamentale Wende in der Baukunst steht bevor

Das Grau der Energie: Die Architektenschaft hat verstanden, wie wichtig Nachhaltigkeit ist. Das Münchner Büro Auer + Weber setzt deshalb auf Erhaltung.

„Wir müssen wieder lernen, spezifischer für den Ort und mit den vorhandenen Gegebenheiten zu bauen. Dazu zählt, auf das zurückzugreifen, was bereits vorhanden ist, und diese Werte weiter zu pflegen, zu adaptieren und fortzuschreiben.“ Mit diesen Worten schließt der Einleitungsessay zum soeben erschienenen Architekturjahrbuch 2023. Wie in jedem Jahr, stellt es die Gewinner und die engere Auswahl des vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/Main ausgelobten Preises für Architektur in Deutschland vor.

Es gibt keinen besseren Indikator für den Stand der hiesigen Baukunst als das Jahrbuch, allein schon, weil dessen Jury durch die Lande reist und in Augenschein nimmt, was im Vorjahreszeitraum an Bauwerken fertiggestellt wurde und nun im tatsächlichen Gebrauch zu beurteilen ist.

Wir sind, das darf man ohne Übertreibung sagen, Augenzeuge einer fundamentalen Wende. Zwei Ansätze bestimmen mehr und mehr die Bautätigkeit: zum einen Erhaltung und Ertüchtigung vorhandener Bausubstanz, zum anderen deren Ergänzung und Weiterbau.

So ist der diesjährige Preisträger, die Erweiterung des Landratsamtes in Starnberg, ein Weiterbau, und noch dazu in Fortführung des ursprünglichen, nun schon dreißig Jahre alten Entwurfs – und das durch dieselben Architekten, Auer + Weber aus München. Der Preisträger-Bau ist als solcher gar nicht zu erkennen; ein Beleg für die, wenn man so will, ästhetische Nachhaltigkeit des Erstentwurfs.

Auch zwei Finalisten des DAM-Preises finden sich in München. Der Neubau des Münchner Volkstheater innerhalb des Geländes des ehemaligen Schlachthofs verweigert sich souverän jeder Mode, wie man es vom Stuttgarter Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei gewohnt ist (gerade feiert ihr Kunstmuseum Ravensburg 10-jähriges Bestehen). Um so schmerzlicher der kürzliche Tod von Arno Lederer, dessen Rang sich mit dem Münchner Bau ein weiteres Mal bestätigt.

Gewinner war das Büro Auer Weber mit der Erweiterung des Landratsamts in Starnberg.

© Aldo Amoretti

Für das zur Grundsanierung geschlossene Münchner Kulturzentrum Gasteig musste ein Ausweichquartier gefunden werden. Es fand sich ein paar Kilometer entfernt in Gestalt einer leergezogenen Trafohalle der Stadtwerke. Die dient nun als öffentlich zugängliches Empfangsgebäude des dahinter errichteten temporären Konzertsaals, den das Hamburger Büro Von Gerkan Marg und Partner (gmp) in nur zweieinhalb Jahren und für unglaublich geringe 41 Millionen Euro hochzogen – akustisch, wie berichtet wird, zur vollsten Zufriedenheit der beiden Münchner Orchester, die dort ihre Spielstätte haben. Und, so munkelt man, am liebsten behalten wollen.

Welch’ langen Atem Architekten bisweilen haben müssen, zeigt der Bau des Stadtbahntunnels in Karlsruhe: Den Wettbewerb für die einheitliche Gestaltung der sieben Stationen gewannen allmannsattlerwappner bereits 2004. Satte 18 Jahre später wurde die Stadtbahn eröffnet; die Fotografien im Jahrbuch lassen erkennen, dass das gemeinsam mit Lichtplaner Ingo Maurer erarbeitete Konzept für die gesamte Linie ein Verkehrsbauwerk von baukünstlerischem Rang erbracht hat. 

Auf der „Shortlist“ des Preises bandengleich vier Berliner Bauvorhaben Platz. Über David Chipperfield Sanierung der Neuen Nationalgalerie muss hier nichts mehr gesagt werden; sie steht würden maximal möglichen Ertrag denkmalpflegerischer Sorgfalt. Der in Holzmodulbauweise errichtete Bundestags-Bürobau „Luisenblock West“ ist gleichfalls bekannt. Das unscheinbare Künstleratelier an der Torstraße von Pasztori Simons steht für die kleinen Projekte, die grade besonders affig sind und sein müssen, angesichts in der Regel knapper Kostenvorgaben.

Schön und schlicht. Die Dorfscheune in Prädikow vom Büro Hütten & Paläste.

© Studio Bowie

Bleibt das Hotel „Wilmina“, das Grüntuch Ernst in das immerhin bis 1985 genutzte Frauengefängnis an der Kantstraße implantiert haben. Eine Liebhaberei, so viel steht fest, und man merkt es dem Bau in allen Details an. Es ist den Architekten gelungen, den Altbestand so zu erhalten, dass er lesbar bleibt, ohne larmoyant oder aber effektsüchtig zu werden. Die Transformation vom Gefängnis ins freiwillig aufgesuchte Hotel gelingt ohne Abstriche. Neu errichtet wurde einzig der in einen Hof eingepasste Restaurantflügel.

Ganz ohne Neubau geht es nicht, nicht einmal dann, wenn Altes erhalten wird. Aber dass in Zukunft nichts mehr geschieht ohne scharfen Blick auf die Bilanz der „grauen Energie“ des bereits Verbauten, dafür ist die jüngste Runde des DAM-Preises ein eindringliches Plädoyer.

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