zum Hauptinhalt

Sport: „Du musst auch mal ein Schwein sein“

Torhüter Christian Fiedler über Konflikte bei Hertha, den jungen Kader und die Unzufriedenheit im Umfeld

Herr Fiedler, Manager Hoeneß spricht von einer Schein-Harmonie, die bei Hertha herrscht. Hat er Recht?

Das ist die eine Sichtweise. Sicherlich haben wir eine intakte Mannschaft. Aber du musst auch mal ein Schwein sein, das fehlt bei uns ein bisschen. Du musst im Training mal etwas herauskitzeln. Da hatten wir früher Situationen, in denen beispielsweise René Tretschok mich oder Pal Dardai richtig zusammengefaltet hat. Der schreit dich an und sagt dir, was du für einen Mist gemacht hast. Und nach dem Training kommt er zu dir und sagt: Das war Berechnung, um die Qualität des Trainings zu heben.

Und das muss jetzt wieder passieren?

Ja, das passiert schon. Aber wichtig ist, dass sich dann keiner gekränkt fühlt. Wenn einer etwas sagt, muss man den Mund halten und sich seinen Teil denken. Dann entsteht eine Art Kettenreaktion, alle sind dann motivierter. Hier besteht ein Manko.

Liegt es daran, dass viele junge Spieler zu schnell gekränkt sind oder daran, dass die älteren Spieler dazu nicht taugen?

Einige Dinge werden angesprochen. Aber entscheidend ist, wie darauf reagiert wird. Dieser Konflikt wird momentan auf Jung gegen Alt reduziert. Da würde ein Problem herrschen, wird gesagt.

Und, gibt es da ein Problem?

Wir sind in einer Phase, in der wir viele junge Spieler haben. Den einen kann man einfacher führen als den anderen. Es ist eine neue, andere Generation, die jetzt nach oben kommt. Damit müssen wir lernen umzugehen.

Die jungen Spieler bilden bei Hertha eine Gruppe. Diese hat ein eigenes Gewicht innerhalb der Mannschaft und entwickelt eine eigene Dynamik.

Der Verein hat gesagt, dass die Entwicklung der jungen Spieler sehr wichtig ist. Jeder von denen weiß, dass auch mal gesiebt wird. Einige werden es schaffen, andere nicht. Die, die sich Ratschläge geben lassen, werden es weiterbringen.

Die Spieler mussten zuletzt einen Aufsatz schreiben. Kennen Sie die Auswertung?

Zu diesem Thema möchte ich am liebsten gar nichts sagen. Dass diese Maßnahme öffentlich wurde, ist unglücklich.

Der Vorwurf der sportlichen Führung lautet: Es gibt zu viele Egoismen im Team. Stimmt das?

Das glaube ich nicht. Jeder hat den Egoismus, Erfolg haben zu wollen.

Der scheint ein bisschen überlagert worden zu sein von anderen Dingen.

Nein, die Situation ist einfach schwierig. Zum Beispiel die mit Marko Pantelic, der im Uefa-Cup nicht spielberechtigt ist. Da muss die Mannschaft jedes Mal umgebaut werden, das macht es nicht einfacher.

Zerfällt die Mannschaft in Cliquen?

Es war noch nie so, dass wir uns alle super verstanden haben. Es gab bei Hertha immer eine gewisse Grundstimmung, die war in Ordnung. Du hast dich nicht jede Woche zum Essen getroffen. Aber es hat immer irgendwie gepasst, neue Spieler wurden sofort integriert. Jetzt haben wir viele junge Spieler, die vieles gemeinsam und auch die gleiche Interessen haben. Das ist aber nicht mein Leben, ich habe meine eigenen Interessen. Ich werde mich in der Hinsicht nicht ändern und mit denen jetzt um die Häuser ziehen.

Das Jahr endete mit dem Aus im Pokal bei einem Drittligisten …

… ja, ja, ja. Für den Verein ist es eine unschöne Situation, nicht im Pokal zu überwintern, aber im Jahr zuvor haben wir das auch nicht. Da sind wir gegen Braunschweig rausgeflogen. Und heute sagen alle, die Vorsaison wäre ach so toll gewesen. Wir sind doch nicht mit Absicht ausgeschieden. Die Spieler waren in Hamburg motiviert.

Es gab andere Kritikpunkte.

Ein bisschen wurde uns auch fehlende Motivation vorgeworfen. Gerade die letzten Uefa-Cup-Spiele, wie zu Hause gegen Lens, da war eine sehr große Unzufriedenheit da. Wir wollten ins Rollen kommen und gute Spiele machen, aber das ist nicht immer so einfach. Manchmal musst du einfach auf das Ergebnis achten. Gegen Mönchengladbach zum Beispiel haben wir versucht, offensiver zu spielen. Und plötzlich lagen wir 0:2 hinten. Dann mussten wir wieder einen großen Kraftakt hinlegen, um den Ausgleich zu schaffen. Wir sind einfach noch nicht so weit, dass wir solche Spiele über die Bühne schaukeln.

Spielern wie Marcelinho oder Simunic sind überraschend viele individuelle Fehler unterlaufen. Woran liegt das?

Ich denke, dass alles ziemlich komplex ist. Der Trainer erzählt, wie der Gegner spielen könnte und wie wir dagegen zu halten haben. Aber die Mannschaften haben sich auf uns besser eingestellt.

Ist Hertha berechenbarer geworden?

Wir spielen offensiv. Selbst in Bielefeld, als wir fünf Minuten vor Schluss 0:2 hinten lagen, haben wir noch versucht, nach vorn zu spielen. Da vernachlässigen wir manchmal die Defensive. Aber das ist ein Charakterzug der Mannschaft. Im letzten Jahr hat man uns vorgeworfen, zu häufig unentschieden zu spielen. In dieser Saison bekommen wir zu viele Gegentore.

Die Mannschaft ist fast identisch mit der der Vorsaison. Worin liegt das Problem?

Ein Hauptproblem sind die Standards, da passt einer für den Bruchteil einer Sekunde nicht auf, und schon klingelt es. Aus dem Spiel heraus kassierst du immer mal einen Treffer, das ist nicht zu vermeiden. Aber 13 Gegentreffer nach Standardsituationen, das sind zu viele.

Für Konzentrationsmängel gibt es mehrere Ursachen. Fehlt die Kondition?

Wir sind nicht die Bayern. Die spielen langweilig, sparen Kraft und gewinnen trotzdem. So weit sind wir nicht. Die Bayern schlagen zu und ziehen sich dann zurück. Bei uns geht es nur über Vollgas. Wir müssen in jedem Spiel großen Aufwand betreiben. Deshalb gibt es Phasen, in denen wir ermüdet sind. Wenn wir ein paar Mal etwas schwächer spielen, wie zum Ende der Hinserie, dann kommen wir da nur schwer wieder heraus.

Hertha liegt auf Rang fünf. Die Entfernung zur Spitze fühlt sich größer an.

Unser Ziel ist ein Uefa-Cup-Platz, wie im Vorjahr. Der nächste Schritt, die Teilnahme an der Champions League, wäre für die Mannschaft zu intensiv gewesen.

Aber das Umfeld will mehr.

Es ist doch so: Wenn du drei Spieltage die Gelegenheit hast, dich da oben reinzusetzen, und du schaffst es nicht, dann hast du es nicht verdient in der Champions League zu spielen. In diesem Jahr haben wir den besten Saisonstart seit langem hingelegt. Dann läuft es mal nicht so – plötzlich sind alle total unzufrieden. Das geht natürlich nicht spurlos an einem vorbei.

Wie die Niederlage auf St. Pauli?

Das Merkwürdige in unserer Gesellschaft ist doch, dass immer das Negative interessiert. Wenn ich einen Freund treffe, dann sagt der nicht: Den 0:2-Rückstand gegen Gladbach habt ihr ja toll aufgeholt, sondern es heißt: Wie konntet ihr denn gegen Pauli rausfliegen?

Ist das nicht eine berechtigte Frage?

Ja, aber wir kennen unsere Defizite. Die Leidenschaft war bei St. Pauli einfach größer. Aber wenn du es nie erlebt hast, wie es ist, als kleine Mannschaft eine höherklassige Mannschaft zu schlagen, dann begreifst du diese Euphorie, diese Eigendynamik nicht. Einige Spieler wie Madlung, Boateng oder Samba können das nicht verstehen. Sie kennen das nicht, sie spielen Bundesliga, sind Profis. Das haben sie nie erlebt.

Sie haben es erlebt.

Ja, mit Herthas Amateuren. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wir haben 1993 das Pokalfinale erreicht. Und heute? Du spielst als Bundesligist bei einem Regionalligisten, gehst mit 2:0 in Führung und denkst: Alles läuft glatt. Aber dann machen die das 1:2, und es entwickelt sich eine ganz verrückte Eigendynamik im Stadion. Du bist zwar darauf vorbereitet, aber du verstehst das doch nicht.

Das Gespräch führten Michael Rosentritt und Ingo Schmidt-Tychsen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false