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Wie eine Perlenkette. Windschatten war gestern bei den schlechten Bedingungen besonders wichtig. Foto: Jürgen Engler

© Fotoagentur-Engler

Handbike: Marathon als Sprint

Für Handbiker-Sieger Merklein gilt Marathon als Sprint – er durchquerte schon mal die USA.

Berlin - Hätte er halt auf seine Frau gehört, dann wäre er jetzt möglicherweise Sieger. Aber nein, Bernd Jeffre musste ja den harten Burschen geben. „Zieh dir doch noch was an“, hatte seine Frau am Start gesagt. Passt schon, erwiderte Jeffre. Tja, sagt Vico Merklein, „Bernd ist ein nordischer Typ. Er war wohl etwas zu leicht angezogen, sonst hätte er vermutlich gewonnen“. Merklein hatte überm Thermounterhemd und Trikot auch noch eine Windjacke, deshalb ist er jetzt der Sieger der Handbiker. „Wir fahren 40 Stundenkilometer, durch den Fahrtwind ist es für uns zehn Grad kühler als für die Zuschauer“, sagt der 33-Jährige.

Nach vier, fünf Rennen bei extremen Witterungsbedingungen muss ihm niemand mehr erzählen, wie man sich optimal kleidet. In Spanien hatte es vor kurzem sogar gehagelt. Aber kalt war’s trotzdem, so kalt, dass beide, Jeffre und Merklein, auf alle taktischen Mätzchen verzichteten und die meiste Zeit fast am Anschlag fuhren, bloß um die Muskeln warm zu halten. Jeffre oder Merklein, einen anderen Sieger konnte es nicht geben, die beiden hatten sich früh vom Feld gelöst. Am Ende war es der Mann vom Team Sopur aus Babenhausen, der quasi als Profi fährt. Sopur, der Sponsor, finanziert seinen Sport. Dazu kommt noch das Geld aus einer Unfallversicherung, seit er mit seinem Motorrad unglücklich umgefallen ist. Das Motorrad hatte eine Höchstgeschwindigkeit von weit über 200 Stundenkilometern. Als er kippte, war er 15 Stundenkilometer schnell. Am nächsten Tag wurde er 20 Jahre alt.

Sieger, endlich. Sechs Mal schon fuhr Merklein in Berlin, aufs Podium hatte er es nie geschafft. Einmal half er mit anderen quasi als Tempomacher mit, dass ein Konkurrent Streckenrekord fahren konnte. „Dafür möchte ich einen Podiumsplatz“, hatte er vor dem Start verlangt. Er wurde Vierter.

1:09:04 Stunden war Merklein gestern unterwegs, für echte, raue Handbiker ist das eigentlich ein Sprint. Echte, raue Handbiker fahren fast 5000 Kilometer durch die USA, Leute wie Merklein. Es gibt einen Wettbewerb über diese Distanz, Radfahrer können sich dort quälen, aber Handbiker auch. Merklein war mit drei Kumpels dort, je zwei bildeten ein Paar. Gefahren wurde abwechselnd, pro Tag acht Stunden, wer wie lange rollte, mussten sie unter sich ausmachen. Die Begleiter fuhren in Autos nebenher.

Warum? Warum das Ganze? „Tja“, sagt Merklein, „das ist die wichtigste Frage. Die nach dem Sinn.“ Grenzerfahrungen, rausbekommen, wie weit man sich quälen kann, das sei der Sinn, sagt er dann.

30 000 Höhenmeter mussten sie absolvieren, allein in den Appalachen mühten sie sich acht Stunden in Folge die Berge hoch. Dann natürlich die Rockys, die glutheißen Wüstengebiete, das ganze Programm. Drei Mal war Merklein kurz davor, aufzugeben.

Am schlimmsten war das Schlafdefizit. Und nach zwei Tagen verspürte er schon keinen Appetit mehr, obwohl er beim Rennen mehr Kohlenhydrate in sich schaufelte „als sonst in einem ganzen Monat“. Und je größer der Schlafmangel wurde, umso stärker stiegen seine Aggressionen. Dass seine Begleiter nicht einfach weggefahren sind, rechnet er ihnen heute noch hoch an.

Grenzerfahrung? Die konnte er haben. Acht Tage, neun Stunden und sechs Minuten lang. Dann war die Quälerei zu Ende.

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