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Gesundheit: "Handbuch Medikamente": Wissen, was der Arzt verordnet

"Ist denn das Medikament gegen meinen Bluthochdruck, das mir die Ärztin jetzt verschrieben hat, wirklich genauso gut wie das gewohnte, das doch viel teurer ist?" Und: "Wieso will mir der Doktor auf einmal nicht mehr meine Rheumasalbe verordnen?

"Ist denn das Medikament gegen meinen Bluthochdruck, das mir die Ärztin jetzt verschrieben hat, wirklich genauso gut wie das gewohnte, das doch viel teurer ist?" Und: "Wieso will mir der Doktor auf einmal nicht mehr meine Rheumasalbe verordnen?" Auf solche und viele andere Fragen rund ums Arzneimittel gibt das "Handbuch Medikamente" ausführliche und wissenschaftlich begründete, aber verständliche Antworten.

Es wird Zeit, dass man sich als Patient besser über Arzneimittel informiert, auch über die verschreibungspflichtigen. Gerade sie werden immer teurer: Im Durchschnitt kostet eine Packung rund 60 Mark. Damit gute neue Mittel noch bezahlbar bleiben, müssen die Ärzte jetzt kritischer denn je unter allen 45 000 zugelassenen - und fast zur Hälfte nie ordentlich geprüften - Medikamenten diejenigen auswählen, die den Patienten wirklich nützen. Und sie müssen auch abwägen, ob sie ein teures Markenpräparat gegen ein gleichwertiges, aber preiswerteres "Generikum" austauschen können.

Umfassende Informationen und vor allem auch wissenschaftlich fundierte Bewertungen der 7000 am meisten verschriebenen Präparate mit 70 Prozent des Gesamtumsatzes findet man im "Handbuch Medikamente", das die Stiftung Warentest herausgegeben hat. Gestern stellte sie die vierte, stark überarbeitete und erweiterte Auflage vor. Sie umfasst 2000 Präparate mehr als die im März vorigen Jahres erschienene Fassung.

Hier handelt es sich um eine von Werbung und Marketing unbeeinflusste Publikation über Arzneimittel. Das kann man auch am heftigen Widerstand der Pharmaindustrie erkennen: Die Herstellerfirmen bombardierten die kampferprobte Stiftung Warentest mit 67 Abmahnungen, die fast alle zurückgewiesen werden konnten, und sechs Gerichtsverfahren. Keines führte dazu, eine Bewertung zu ändern.

Die Methodik der Bewertungen der Wirksamkeit und des Verhältnisses von Nutzen und Risiken wird in der Einleitung ausführlich begründet. Wie Hubertus Primus von der Stiftung Warentest bei der Vorstellung des Buches erläuterte, blieb man auch in der Neuausgabe des Buches bei den vier Bewertungsstufen "geeignet", "auch geeignet", "mit Einschränkung geeignet" und "wenig geeignet". Diese schlechteste Note bekam jedes fünfte der beschriebenen Medikamente. Hätte man diese 20 Prozent weggelassen, wäre das Buch so etwas wie eine kommentierte Positivliste.

Auf die Frage, warum es nicht klipp und klar "ungeeignet" heißt, ließ Primus durchblicken, dass dies die juristischen Auseinandersetzungen mit der Arzneimittelindustrie unnötig verschärft hätte. Und der Schlussgutachter für die Bewertungen, der Bremer Arzneimittelexperte Gerd Glaeske, wies darauf hin, dass "ungeeignet" mit "unwirksam" gleichgesetzt worden wäre. Unwirksamkeit lasse sich aber wissenschaftlich nicht nachweisen. Zudem sind von der Abwertung auch wirksame Medikamente betroffen, die mehr Nebenwirkungen als andere, gleich wirksame haben, sowie Mischpräparate, deren Zusammensetzung keinen Sinn hat.

Glaeske erwähnte ein paar Beispiele für diesen "Bodensatz des Arzneimittelmarktes, der besser nicht mehr angefasst wird": Nach wie vor würden die in dem Handbuch abqualifizierten Kombinationsmittel Thomapyrin, Neuralgin, Titretta oder Gelonida (Saft und Zäpfchen) gegen Schmerzen verordnet. Ebenso seien nebenwirkungsträchtige Abführmittel wie Chol-Kugeletten und Aristochol-Konzentrat (Schöllkraut) noch immer gebräuchlich. Er nannte auch Migränemittel wie Cafergot N, Migraeflux N, Migräne-Kranit N und Optalidon spezial NOC veraltet oder riskant.

Auf die Frage, ob man seinem Arzt das Handbuch schenken sollte, wies er mit einem Augenzwinkern darauf hin, dass Ärzte die meisten Veröffentlichungen über Arzneimittel tatsächlich geschenkt bekämen - von der Pharmaindustrie, die bekanntlich auch die ärztliche Fortbildung beherrscht. Unabhängige und daher selbst zu bezahlende Publikationen wie den "Arzneimittelbrief" oder das "Arznei-Telegramm" sehe man in den Praxen selten. Das "Handbuch Medikamente" sei aber von den Ärzten positiv aufgenommen worden, auch von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

In der Tat könnte dieses Buch eine gute Basis für das Patient-Arzt-Gespräch bilden. Es behandelt auch die Frage, ob bei einer bestimmten Gesundheitsstörung Medikamente überhaupt nützlich sein können, was man stattdessen tun soll oder wie man die Arzneimittelwirkung unterstützen kann. Es enthält auch Hinweise für die richtige Einnahme, gibt Preise an, zerstreut sogar Vorurteile gegen wirklich Notwendiges wie etwa Kortison-Spray für Asthmakranke. Dieses Buch kann den naiven Glauben an das "Glück aus der Pillendose" erschüttern und die Immunität gegen übermäßige Versprechungen fördern, wie Glaeske sagte.

Werbung für rezeptpflichtige Medikamente bei Laien ist verboten. Das Verbot werde aber mit Hilfe von Schleichwerbung im redaktionellen Text vor allem der Illustriertenpresse umgangen; außerdem, indem die Arzneimittelindustrie systematisch in die Selbsthilfebewegung eingedrungen sei. Und bald werde wohl das Laienwerbeverbot auf europäischer Ebene gelockert werden. Glaeske: "Wir sind umstellt von Arzneimittelwerbung!" Da kommt wohl dieses Buch gerade zur rechten Zeit - als Gegenmittel.

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