zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Auf neuen Gleisen

Der Bund will die Bahn privatisieren. Heftig gestritten wird über eine Trennung vom Schienennetz. Milliarden stehen auf dem Spiel

Frank Müller hetzt zum nächsten Termin – im ICE. Unterwegs checkt der Manager per Internet, ob die Containerlieferung seines Exportunternehmens den Hafen von Singapur schon verlassen hat. Müller kommt auf die Minute pünktlich an, frühstückt im blitzsauberen Bahnhof noch schnell und sieht dabei im Börsen-Fernsehen, dass die Bahn-Aktie, mittlerweile ein echter Blue Chip, schon wieder um drei Prozent zugelegt hat. Nach seinem Geschäftsessen klappt es auch mit dem Heimweg reibungslos, trotz spontaner Umbuchung per Telefon-Hotline.

Das ist die Welt der Bahn von morgen – zumindest, wenn man einer der Imagebroschüren glaubt, die Bahn-Chef Hartmut Mehdorn verteilen lässt. Reibungsloses Reisen mit dem ehemaligen Staatskonzern, so soll es kommen. Doch womöglich ist die schöne Zukunft bereits Vergangenheit. Ein knochentrockenes Expertengutachten, das Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) vor wenigen Tagen verteilen ließ, könnte der Debatte um die Bahn eine neue Richtung geben. Essenz des Gutachtens: Mit dem Quasi-Monopol des Konzerns könnte es bald vorbei sein. Und bis die Bahn-Aktie notiert wird, könnten noch Jahre vergehen.

Es geht um die Privatisierung der Bahn, des letzten deutschen Großkonzerns im Staatsbesitz. Nach Post, Telekom und Lufthansa soll nun auch das Schienenunternehmen verkauft werden. Die Vorbereitungen laufen seit Mitte der neunziger Jahre. Unklarheit herrschte bislang nur über den letzten Schritt: Soll die Bahn mitsamt dem 35 000 Kilometer langen Schienennetz an die Börse? Oder muss das Netz Eigentum des Staates bleiben wie bei Autobahnen und Flughäfen auch, damit der Wettbewerb in Gang kommt?

Die Privatisierung ist ein hochpolitischer Vorgang. Denn kein Unternehmen wird von den Bürgern so kritisch beäugt wie die Bahn. Für Experimente, das weiß auch Kanzlerin Angela Merkel, eignet sich die Materie nicht. Schon ihr Vorgänger Gerhard Schröder blies den Börsengang 2004 ab, weil ihm die Zahlen der Bahn nicht geheuer erschienen.

Das Gutachten, verfasst von der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton (BAH), bremst die Bahn erneut. Mehdorn möchte am liebsten samt der Schieneninfrastruktur an die Börse, zu der neben den Gleisen die Tunnel, Brücken und Bahnhöfe gehören, also Milliardenwerte. Davon raten die Experten aber ab – der Wettbewerb würde kaum zunehmen, sagen sie, ebenso wenig der Verkehr auf der Schiene.

Bei einer Trennung von Netz und Betrieb aber würde sich der Markt beleben. Beim radikalsten Schnitt, der vollständigen Herauslösung der Schienen aus dem Konzern, würde der Güterverkehr bis 2020 um 41 Prozent wachsen – in Mehdorns Modell wären es nur 23 Prozent. Der Schritt, warnen die Gutachter, will gut überlegt sein – schließlich würden damit die Weichen für das Bahnsystem der nächsten 30 bis 50 Jahre gestellt. Der Staat behält aber in jedem Fall eine wichtige Rolle – das Grundgesetz schreibt vor, dass maximal 49 Prozent der Infrastruktur in private Hände gehen dürfen.

Die Szenarien wären sehr unterschiedlich: Mit der integrierten Bahn bliebe Mehdorns Konzern der Platzhirsch, alle Fäden liefen weiter in der Berliner Zentrale zusammen, die Politiker könnten dem Management nicht mehr so enge Vorgaben machen wie heute. Die völlige Trennung von Netz und Betrieb dagegen ließe ein ganz neues System entstehen – der Staat müsste die Infrastruktur managen. Hier hakt Mehdorn ein: Wer das System von Zugrad und Schiene trenne, müsse damit rechnen, dass Gleise verfallen wie weiland bei der Bundesbahn. Auch Jürgen Siegmann, Schienenexperte von der TU Berlin und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Verkehrsministerium, ist vorsichtig. „Eine Trennung von Netz und Betrieb bedeutet, dass mehr technische Kontrollen und Abstimmungen nötig werden. Das bringt eine Menge Bürokratie mit sich.“

Wegen der schwierigen Materie wagt sich bislang kaum ein Politiker aus der Deckung. Skeptisch gegenüber großen Änderungen ist die Union. Die Modelle seien ja ganz interessant, spöttelt CDU-Mann Georg Brunnhuber. „Mich fragen meine Wähler aber, ob ihr Zug pünktlich kommt – und nicht, ob es in zehn Jahren vielleicht mehr Wettbewerb geben könnte.“ Zudem müsse man dafür sorgen, dass ausländische Konzerne der Bahn nicht das Wasser abgraben. Viele seiner Kollegen denken ähnlich – und favorisieren das so genannte Eigentumsmodell. Danach würde das Netz nur formal von der Bahn getrennt, faktisch behielte sie die Macht.

Auch bei der SPD will man es sich mit niemandem durch zu marktradikale Pläne verderben, am wenigsten mit der Gewerkschaft. Einige spielen auf Zeit. „Ich glaube nicht, dass es schon bis zum Sommer eine Einigung über den Börsengang geben wird“, sagt Verkehrsexperte Rainer Fornahl. Das sei frühestens am Jahresende möglich.

Wieder andere Pläne hat die Industrie: Sie wirbt mit einer eigenen Expertise für die Trennung von Netz und Betrieb. Die Konzerne wittern ein Milliardengeschäft, sowohl für private Schienenanbieter als auch für Service-Dienstleister. Die Bahn indes präparierte sich bereits 2005 für den Kampf um das Netz – als sie den gut verdrahteten CSU-Wirtschaftsminister Otto Wiesheu in den Vorstand holte.

Ein As hat die Bahn noch im Ärmel: Ginge die Bahn in der jetzigen Form an die Börse, könnte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) laut BAH-Gutachten mit bis zu 23,3 Milliarden Euro Einnahmen rechnen, und das schon 2007. Müssten erst Netz und Betrieb aufwändig getrennt werden, gingen noch mindestens vier Jahre ins Land – und die Erlöse wären mit maximal 17,2 Milliarden Euro weitaus niedriger. „Auch daran muss man denken“, heißt es bei der Union vielsagend.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false