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Wirtschaft: Börsenneulinge verbreiten Goldgräberstimmung

Anleger in deutschen Aktien sind im vergangenen Jahr noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.Rund 18 Prozent Plus war die Bilanz des Dax am Jahresende - trotz Crash.

Anleger in deutschen Aktien sind im vergangenen Jahr noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.Rund 18 Prozent Plus war die Bilanz des Dax am Jahresende - trotz Crash.Im Vergleich zu den guten Vorjahren nicht unbedingt berauschend, aber immer noch mehr als sich mit Rentenpapieren holen ließ.Trotzdem knallten am Aktienmarkt regelmäßig die Champagnerkorken: bei den Börsenneulingen.

Wer zum Beispiel bei der Emission der Computeraktie CE Computer Equipment oder des Telefonproviders Drillisch zum Zuge kam, konnte sein Geld über Nacht in etwa vervierfachen.Und Anleger, die am ersten Handelstag Anteile des Softwareunternehmens Infomatec kauften, verzeichnen bis heute immerhin eine Kurssteigerung von rund 600 Prozent.Mit solchen exorbitant hohen Kurssteigerungen können die sechs aus Berlin stammenden Neulinge des Jahrgangs 1998 nicht aufwarten, doch auch ihre Bilanz kann sich sehen lassen.Kein einziger Wert ließ seine Erstzeichner im Regen stehen.Alle notieren höher als der Emissionskurs.Mit Ausnahme von Mologen (minus 20 Prozent) konnten auch Erstkäufer an der Börse ihren Schnitt machen.Gegenüber dem ersten Börsenkurs legten Solon, Lobster und Deutsche Entertainment rund 100 Prozent zu.Der Kurs des Solarzellenherstellers Solon dümpelte allerdings rund zwei Monate vor sich hin, eher er dann schlagartig nach oben durchstartete.Noch besser lief es bei dem Softewareunternehmen PSI.Zu rund 24 Euro emittiert, stieg der Kurs zur ersten Notiz auf 28 Euro.Aktuell liegt er bei 80 Euro - was fast eine Verdreifachung bedeutet.Unangefochtener Top-Performer ist aber die Teles-Aktie.Auf Basis des Ausgabepreises von 46 Euro gewann der Kurs des in der Telekommunikationstechnik beheimateten Unternehmens bis Freitag lockere 430 Prozent.

Insgesamt gaben über 70 Unternehmen im vergangenen Jahr ihr Börsendebüt - so viele wie nie und so erfolgreich wie nie.Die meisten positiven Starts verzeichnete dabei der Neue Markt.Nach Meinung der Deutschen Morgan Grenfell ist die Tatsache, daß "die Zukunft Einzug an der Börse hält" einer der Hauptfaktoren für diese Erfolgsbilanz.In einer rund 300seitigen Studie haben sich die Analysten der Deutschen Bank-Tocher ausführlich mit Neuemissionen beschäftigt.Danach ist der Trend eindeutig: Kamen früher überwiegend Unternehmen aus Traditionsbranchen wie Maschinenbau, Automobile oder Chemie an den Markt, sind es in den letzten beiden Jahren die Vertreter der "neuen" Technologien wie Telekommunikation, Medien oder Software.

Seit März 1997, so die Studie, konnte ein Anleger bei Neuemissionen sein Geld einschließlich Zeichnungsgewinnen, nahezu verachtfachen.Stieg er am ersten Börsentag ein, waren immerhin 300 Prozent drin.Zum Vergleich: Der Dax 100 legte im gleichen Zeitraum "lediglich" 30 Prozent zu.Folge: Am Markt für Neuemissionen herrscht wahre Goldgräberstimmung.

"1999 wird es wahrscheinlich rund 100 Neuemissionen geben", schätzt Hans Trobitz, Leiter der Konsortialabteilung bei der DG Bank (siehe nebenstehendes Interview).Dauerte es 1998 bis zum März, ehe die erste Neuemission kam, drängen die Newcomer jetzt schon im Januar an die Börse.So hat der Berliner Filmproduzent und -verleiher Senator Film für Ende des Monats seinen Gang an den Neuen Markt angekündigt.Ebenfalls aus dem Medienbereich kommt zum Monatswechsel die Münchner Intertainment AG - ein Vermarkter von Film- und Fernsehrechten.Vergleichbar etwa mit der bereits notierten EM-TV.Auch aus dem Bereich Computer/Internet stehen wieder einige interessante Kandidaten auf dem Sprung.So haben die Softwareschmieden Brain International, Brainforce und IDS Prof.Scheer bereits ihr Kommen angekündigt.Mit Hanke und Peter drängt der erste Anbieter aus dem Bereich Datenkommunikation ebenfalls noch im Januar an den Markt.Dazu kommen "Exoten" wie etwa der Erotikversand Beate Uhse.Eine Besonderheit sind auch Artnet und Blaxxon.Aller Voraussicht nach wird Artnet den deutschen Markt um eine der bisher raren Internetaktien bereichern.Das Unternehmen bietet Galerien und Auktionshäusern Dienstleistungen im Netz an.Das geht vom Zugriff auf Datenbanken über die Vermarktung von Werbeflächen bis hin zur Konzeption des Internetauftritts.Blaxxon hingegen tummelt sich auf dem Gebiet der Virtual-Reality - also der Darstellung künstlicher Welten per Computer.Damit erhält die ebenfalls auf diesem Gebiet spezialisierte Berliner Cybermind endlich Gesellschaft.Allesamt sind es Aspiranten für lukrative Kurssteigerungen - wenn denn die Ausgabekurse stimmen.

Genau dort aber dürften die Kurssteigerungen dieses Jahres zu einem Ende der Bescheidenheit führen.Wenn Wachtsumsunternehmen wie etwa Infomatec, Mobilcom oder Cybermind nach dem Börsenstart mit einem Kurs/Gewinn-Verhältnis von 50, 60 oder gar mehr am Markt notieren, werden die neuen Emittenten mit Sicherheit entsprechende Aufschläge mit Hinweis auf die Bewertung bereits an der Börse befindlicher Unternehmen fordern.Andererseits müssen kleinere Emissionen aufpassen, daß ihnen die anstehenden "dicken Brocken" nicht mit lautstarken Werbekampagnen à la Telekom das Wasser abgraben.Der Logistik- und Handelskonzern Stinnes, die Lufthansa-Tochter LHS Lufthansa-Service, Agfa Gevaert und die Postbank werden bei ihren beabsichtigten Börsengängen nämlich jeweils mehr als 200 Mill.Euro bei den Anlegern einsammeln wollen.Da hilft es wahrscheinlich wenig, wenn diese eher traditionellen Namen zumindest von der Papierform her kaum mit den Shooting-stars am Neuen Markt konkurrieren können.Ob allerdings jeder der zum Jahresanfang vollmundig angekündigten Börsengänge auch wirklich stattfindet, steht in den Sternen.Oft genug wird die Emission verschoben, weil die allgemeine Börsenlage oder die Geschäftsentwicklung des Debütanten zu schlecht geworden ist.

Ein anderes Thema wird auch 1999 ein Dauerbrenner bleiben: Der Streit um die Verteilung der neuen Aktien.Aktionärsschützer beklagen immer wieder die undurchsichtige Zuteilungspraxis der Emissionshäuser, die Mauscheleien Vorschub leistet.Offiziell setzten die Verantwortlichen auf das Verlosungsverfahren, unter der Hand wird aber doch geschoben, wie die jüngsten Fälle bei den Genossenschaftsbanken beweisen.Zumindest wenn sie Konsortialführerin ist, will die DG Bank damit Schluß machen.Nach dem Willen der DG-Banker soll in Zukunft der Verteilungsschlüssel komplett offengelegt werden.Bleibt zu hoffen, daß dies die anderen Banken unter Zugzwang bringt.Denn auf die Verteilung der Stücke, die die DG Bank an die anderen Konsortialinstitute abgibt, hat sie keinen Einfluß.

Geht es nach neuen Maklern wie Kling, Jleko, Dr.Dehmel dann gehört auch im Emissionsgeschäft dem Internet die Zukunft.Börsengänge wie der von Herzog Telekom oder Value Management wurden im vergangenen Jahr bereits teilweise per Internet plaziert.Die Zeichnung für den Anleger ist denkbar einfach.Ein Mausklick genügt.Ob allerdings die Verteilung per Netz wirklich allen Anlegern gleiche Chancen garantiert, bleibt dahingestellt.Schließlich kann auch Kollege Computer manipuliert werden.

PETER HEIN

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