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Olaf Scholz sprach bei der Eröffnung des Verdi-Kongresses, während einige Demonstranten gegen Waffenlieferungen an die Ukraine protestierten.

© dpa/Annette Riedl

Bundeskongress von Verdi: Werneke und Wegner kritisieren Schuldenbremse

Olaf Scholz verteidigt vor den Gewerkschaftsdelegierten die Politik der Ampel. Dagegen sind sich Berlins Regierender Bürgermeister und der Verdi-Vorsitzende bei ihrer Kritik der Regierung erstaunlich einig.

Eine ungewöhnliche Konstellation kennzeichnete die Eröffnung des Bundeskongresses der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Sonntag in Berlin. Kai Wegner, regierender CDU-Bürgermeister von Berlin, kritisierte ebenso wie der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke die Finanzpolitik der Bundesregierung. „Die Schuldenbremse darf keine Zukunftsbremse sein“, sagte Wegner in seinem Grußwort zu den 1000 Gewerkschaftsdelegierten und in Richtung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Werneke sprach von einer „fatalen Fehlentscheidung“ der Scholz-Regierung zulasten von Bildung, Sozialem und Integration. Deutschland könne sich die Schuldenbremse nicht leisten.

Der Kanzler ging auf das Thema nicht ein, sondern widmete sich den großen Linien der Ampel-Politik auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045. Scholz wandte sich an ein paar Dutzend Protestierende, die vor und im Estrel Hotel gegen den Krieg in der Ukraine und für Friedensverhandlungen demonstrierten. „Wenn ein Land überfallen wird, muss es sich verteidigen können“, rechtfertigte Scholz die deutschen Waffenlieferungen.

Scholz ist unglücklich mit der Mindestlohnkommission

Für diesen Satz bekam der Bundeskanzler eben soviel Beifall wie für seine Kritik an der Mindestlohnkommission, die im Juni gegen die Stimmen der Gewerkschaftsmitglieder eine Erhöhung der Lohnuntergrenze von zwölf Euro auf 12,41 Euro im kommenden Jahr beschlossen hatte. Er sei „unglücklich“ gewesen über die Entscheidung, sagte Scholz, die Sozialpartnerschaft hätte eine einvernehmliche Lösung verlangt. Ob die Ampel-Regierung aber nun die EU-Mindestlohnrichtlinie umsetzen wird, wonach der deutsche Mindestlohn bei etwa 14 Euro liegen müsste, ließ Scholz offen.

Mitgliederschwund nach 22 Jahren gestoppt

Auf dem Verdi-Bundeskongress unter dem Motto „Morgen braucht uns“ vom 17. bis 22. September wählen knapp 1000 Delegierte eine neue Gewerkschaftsspitze und beraten fast 1000 Anträge zu Gewerkschafts-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Der Bundeskongress findet alle vier Jahre statt und ist mithin der sechste seit der Verdi-Gründung 2001.

25
Milliarden Euro beträgt Werneke zufolge der Investitionsstau in den Krankenhäusern

Der seit 2019 amtierende Verdi-Vorsitzende Werneke konnte zum Kongressbeginn eine Trendwende melden. Zum ersten Mal seit 22 Jahren kann die Dienstleistungsgewerkschaft den Mitgliederschwund stoppen. Im bisherigen Jahresverlauf verzeichnete die nach der IG Metall (2,1 Millionen) mit knapp 1,9 Millionen Mitgliedern größte deutsche Gewerkschaft mehr als 140.000 Neueintritte. „Wir werden in diesem Jahr auch im Saldo mit einem Mitgliederzuwachs von mehreren zehntausend Mitgliedern abschließen“, kündigte Werneke an. Dazu hätten auch die Tarifrunden in diesem Jahr beigetragen, unter anderem im öffentlichen Dienst und aktuell im Handel.

Scharf kritisierte Werneke, der an diesem Montag wiedergewählt werden will, die Politik der Bundesregierung. „Wir sehen auf ganzer Breite ein Spardiktat zulasten der Bereiche Soziales, Integration und Bildung.“ Es sei eine „fatale Fehlentscheidung“, an der Schuldenbremse festzuhalten und gleichzeitig Unternehmenssteuern zu senken. „Seit 2005 wächst jedes fünfte Kind in Armut auf. Das ist für ein reiches Land wie Deutschland ein vernichtendes Zeugnis“, kommentierte Werneke den kürzlich gefundenen Kompromiss zur Kindergrundsicherung. Es bedürfe höherer Investitionen in Schulen, Kitas, Krankenhäuser und auf dem Arbeitsmarkt.

Steuern hoch für Reiche und Kriegsgewinner!

Frank Werneke, Verdi-Vorsitzender

Die Dienstleistungsgewerkschaft organisiert die Beschäftigten aus rund 1000 Berufen in vielen sozialen Bereichen, die Werneke zum Teil in seinem Geschäftsbericht berücksichtigte und mit Appellen an die Politik verband. So sei die Pflegeversicherung „chronisch unterfinanziert“, trotzdem werde jährlich eine Milliarde Euro an Bundeszuschüssen gestrichen. Bei den Krankenhäusern betrage der Investitionsstau 25 Milliarden Euro, viele Häuser befänden sich in einer „alarmierenden wirtschaftlichen Situation“. Er unterstütze die Forderung nach einem Sofortprogramm zur Rettung der Krankenhäuser von zehn Milliarden Euro, doch im Haushalt sei dafür kein Euro vorgesehen. „Hier läuft etwas total in die falsche Richtung.“

Werneke, wie Scholz Mitglied der SPD, warb für „eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und Umverteilung“ und forderte: „Steuern hoch für Reiche und Kriegsgewinner“. Immerhin sieht sich der Verdi-Vorsitzende beim Thema Rente zumindest teilweise auf einer Linie mit dem Bundeskanzler, der die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent über 2025 hinaus versprach. Von Spardiktaten im sozialen Bereich könne im Übrigen keine Rede sein, meinte Scholz und erwähnte unter anderem das Bürgergeld und die Erhöhung des Kindergeldes. „Wir haben die sozialstaatlichen Bedingungen verbessert“, rief Scholz den Verdi-Delegierten zu.

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