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Noch nicht. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, hier am Kanzleramt, lehnen die Euro-Bonds ab, jedenfalls vorerst. Foto: dpa

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Wirtschaft: „Die Krise ist eine Chance für Europa“

Der Ökonom Jakob von Weizsäcker über seine Euro-Bond-Idee und die Stärke der gemeinsamen Währung

Herr von Weizsäcker, was geht Ihnen im Kopf herum, wenn sich die Bundeskanzlerin ständig bemüßigt fühlt, Ihre Idee der Euro-Bonds als großen Mist zu bezeichnen? Fühlen Sie sich missverstanden?

Richtig ist, dass Bundeskanzlerin Merkel Euro-Bonds derzeit ablehnt. Wichtig ist, dass es zu dieser zentralen Frage eine öffentliche Debatte gibt. Es gibt gute Argumente für und gegen Euro-Bonds. Die werden jetzt ausgetauscht, in meiner persönlichen Erfahrung übrigens sehr fair. Das bringt uns inhaltlich weiter. Für mich ist entscheidend, dass die Bundesregierung sich nicht länger von den Märkten vor sich hertreiben lässt, sondern endlich vorausschauend gestaltet und die Krise als Chance für Europa begreift.

Retten Euro-Bonds die Eurozone?

Euro-Bonds sind weder Teufelszeug noch Allheilmittel. Aus meiner Sicht sind sie aber ein wichtiger Baustein für eine bessere Architektur der Eurozone.

Landläufig werden sie vom Tisch gewischt mit dem Argument, man wolle keine Haftungsunion; jeder müsse weiter selbst für seine Schulden verantwortlich bleiben.

Das Prinzip der Eigenverantwortung ist und bleibt grundsätzlich richtig. Aber es muss auch glaubwürdig sein. Im Moment ist das nicht so. Im Mai 2010 hat man Griechenland ja nicht aus Altruismus gerettet. Sondern die Sorge war ganz klar: Wenn wir die griechischen Staatsanleihen nicht stützen, dann droht uns eine neue Bankenkrise, vielleicht schlimmer als nach der Lehman-Pleite. Denn die Banken halten nun einmal sehr viele Staatsanleihen aus Krisenländern, auch die deutschen.

Wie sieht Ihr Euro-Bond-Vorschlag genau aus?

Zusammen mit Jacques Delpla schlage ich eine gemeinsame europäische Garantie für den Schuldensockel jedes Eurostaats vor. Konkret reden wir über Schulden bis zur Maastricht-Schuldengrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sind unsere speziellen Euro-Bonds, wir nennen sie Blue Bonds. Die Zinsen auf diese Blue Bonds wären sehr niedrig. Damit würden die Krisenländer entlastet. Schulden jenseits dieser Grenze müssen in rein nationaler Verantwortung als Red Bonds emittiert werden. Mit diesen Red Bonds könnten wir die No-Bail-Out-Klausel, die ja zurzeit de facto außer Kraft gesetzt ist, wiederbeleben.

Sie werde dadurch vielmehr endgültig beerdigt, meinen die Euro-Bonds-Gegner. Die nun eingeleiteten Sparbemühungen würden schnell eingestellt. Warum ist Ihrer Meinung nach das Gegenteil der Fall?

Nehmen Sie ein Land, das mit 80 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldet ist. Es müsste alle weiteren Schulden mit Red Bonds aufnehmen. Die Zinsen auf die Red Bonds wären hoch, zusätzliche Verschuldung entsprechend teuer. Somit ist auch der Sparanreiz höher, auf die eigentlich zulässigen 60 Prozent herunterzukommen. Gleichzeitig wird ein Land im Durchschnitt entlastet, weil es für seine Schulden bis zu 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts tendenziell weniger zahlen müsste als heute.

Wer würde in der Praxis Anleihen begeben, das Geld einnehmen und verteilen?

Eine europäische Schuldenagentur im Auftrag der Staaten. Sie würde deren europäische und deren nationale Schuldtitel gleichermaßen emittieren. Der gesamte Geldfluss von den Steuereinnahmen zu den Gläubigern würde durch diese Behörde gelenkt. Es gäbe einen Stabilitätsrat, der für die Verteilung der Einnahmen aus den Euro-Bonds zuständig wäre.

Ohne langwierige EU-Vertragsänderung ist das doch gar nicht zu machen, oder?

Ich bin kein Jurist und kann das nicht abschließend beantworten. Meine größte Sorge ist, dass wir Euro-Bonds zu lange ablehnen und sie dann an einem Krisenwochenende doch plötzlich brauchen. Uns würde dann ein mit heißer Nadel gestricktes Modell drohen, ohne die erforderliche institutionelle Verankerung, ohne die erforderlichen Sicherheiten.

Welche sind das?

Entscheidend ist die solide Verankerung der 60-Prozent-Grenze für Euro-Bonds. Denn die Krisenländer werden mit Sicherheit versucht sein, diese Grenze auf 80 oder 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, um ihre hohe Staatsverschuldung billiger finanzieren zu können. Das sollte Deutschland nicht zulassen.

Aber Griechenland liegt bei 150 Prozent.

Mit 150 Prozent Staatsverschuldung kann sich Griechenland heute kein Geld am Markt besorgen und könnte es auch mit unserem Vorschlag nicht. Um wieder an den Markt zu kommen, müssen die Griechen auf jeden Fall umschulden – und zwar richtig, nicht nur kosmetisch wie bereits beschlossen. Auch hier hilft unser Vorschlag weiter: Wir schlagen den Umtausch bestehender Schulden in Blue und Red Bonds vor – mit erheblichen Abschlägen.

Bleibt noch ein Problem. Die Bürger werden mit Zahlen bombardiert, wonach Euro-Bonds viel teurer werden. Das Ifo-Institut spricht von bis zu 47 Milliarden Euro im Jahr an Mehrkosten wegen der im Vergleich zu Bundesanleihen höheren Zinsen.

Diese Berechnung gilt nicht für unseren Vorschlag, sondern bewertet die problematische Idee, die gesamte europäische Staatsschuld zu vergemeinschaften. Genau das schlagen wir ja nicht vor. Außerdem möchte ich darauf aufmerksam machen, dass mit dem Blue Bond ein gigantischer und hochliquider Markt mit Euro-Staatsanleihen entstünde. Wenn der Euro-Bond gut konstruiert wird, wäre er beispielsweise für Zentralbanken in Asien, die heute vom Dollar enttäuscht sind, hoch interessant. Wenn sich der Euro als eine globale Reservewährung etabliert, könnte das die Zinskosten für den Blue Bond spürbar senken. Davon würde auch Deutschland profitieren.

Das Interview führte C. Ziedler.

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