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Umringt von Interessensvertretern: Julia Klöckner.

© dpa

Nutri-Score für Lebensmittel: Für einen Moment befreit sich Klöckner vom Lobbyismus-Vorwurf

Die Ernährungsministerin hat viel dafür getan, dass man ihr Nähe zur Lebensmittelindustrie vorwerfen kann. Jetzt verblüfft sie ihre Kritiker. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thorsten Mumme

Dass sich die Bundesernährungsministerin Julia Klöckner und der Chef von Nestlé einig sind, ist nicht ungewöhnlich. Erst im Juni hatte das Ministerium in einem Video derart stolz dokumentiert, wie gut man sich versteht, dass die Medienanstalt Berlin-Brandenburg sogar wegen Schleichwerbung ermittelte. Dass Klöckner und die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch einer Meinung sind, kommt hingegen seltener vor. Gestern war es aber so weit.

Der Grund für die Eintracht ist der Nutri-Score, die farbige Kennzeichnung von Lebensmitteln je nach Nährwert. In einer jahrelangen Lobby-Schlacht hatten sich die Fronten verhärtet: auf der einen Seite die Industrie, die wenig Lust hatte, ein rotes Warnsignal auf ihre ungesunden Produkte zu drucken. Auf der anderen Seite die Verbraucherschützer, die ebendas als den einzigen Weg für eine schnelle und gut verständliche Orientierung im Supermarkt auserkoren hatten. Und dazwischen die Ministerin.

Sorge um die Unabhängigkeit des Ministeriums

Wobei man sich zwischenzeitlich nicht mehr sicher sein konnte, ob die sich nicht doch längst für eine Seite entschieden hatte. Schon zu Anfang ihrer Amtszeit als Ernährungsministerin hatte Klöckner ihre Ablehnung jeglicher farbiger Lebensmittelkennzeichnung deutlich gemacht. Im Frühjahr dieses Jahres versuchte sie, eine Studie, die den Nutri-Score positiv bewertete, nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Als bekannt wurde, dass sie sich seit Amtsantritt mindestens 25 Mal zu Einzelgesprächen mit Lebensmittelkonzernen wie Nestlé und Mars oder großen Agrarverbänden, aber nur fünf Mal mit Vertretern von Öko- und Verbraucherschutzorganisationen getroffen hatte, war der Vorwurf der Lobby-Nähe kaum noch zu entkräften.

Eine Studie kam überdies zu dem Schluss, dass über die Hälfte der Unionsmitglieder im Agrarausschuss des Bundestages auch einen Posten im Bauernverband innehat. Das Twitter-Video mit Nestlé passte da nur zu gut ins Bild. Man kam kaum umhin, sich Sorgen um die Unabhängigkeit des Ministeriums zu machen.

Nutri-Score macht die Versäumnisse nicht vergessen

Unter diesen Vorzeichen ist die Entscheidung Klöckners, den Nutri-Score einzuführen, nun eine angenehme Überraschung. Denn damit fügt sie der Industrie eine krachende Niederlage zu. Wenigstens für einen Moment befreit sich die CDU-Politikerin von den Lobbyismus-Vorwürfen und stärkt die Position des Verbraucherschutzes.

Und so ist die Botschaft der gestrigen Entscheidung fast wichtiger als die Entscheidung selbst: Die Bundesernährungsministerin kann sich doch noch gegen Lobby-Interessen durchsetzen. Dass diese Botschaft aber überhaupt eine Meldung wert ist, zeigt die Versäumnisse von Klöckners Politik auf. Auch der Nutri-Score kann diese nicht einfach vergessen machen.

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