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Rupert Stadler am Dienstag im Landgericht München.

© AFP/Matthias Schrader

Kein Gefängnis für die Diesel-Betrüger: Die Verantwortlichen kaufen sich frei

Erstmals gibt es jetzt Strafurteile gegen Motorentwickler und Manager der VW-Tochter Audi. Stadler verlässt das Gericht als freier Mann – ist das gerecht?

Ein Kommentar von Alfons Frese

Rupert Stadler war entweder dreist oder doof, als er 2016 permanent behauptete, die Diesel-Motoren von Audi seien sauber. Stadler ist Betriebswirt, kein Techniker, und womöglich hat er sich wirklich nicht die Raffinesse und kriminelle Energie vorstellen können, mit der Ingenieure die Abgasreinigung manipuliert hatten.

Er hätte es wissen müssen, denn schon im September 2015 war der Betrug in den USA aufgeflogen. VW war überführt, doch die VW-Tochter Audi respektive deren Vorstandsvorsitzender Stadler gaben sich unverdrossen unschuldig und verkauften die manipulierten Autos weiter. Frecher gehts nimmer.

Vom „Betrug durch Unterlassen“ war die Rede am Dienstag im Landgericht München, das Stadler nach einem Geständnis und einer Millionenstrafe als freier Mann verließ. Ist das gerecht? Darf man sich Straffreiheit kaufen?

Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn (links) mit Audi-Vorstandschef Rupert Stadler.
Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn (links) mit Audi-Vorstandschef Rupert Stadler.

© dpa/picture alliance / SvenSimon

Die juristische Bewertung der Deals vor Gericht, ob kürzlich im Verfahren des Preziosendiebstahls aus dem Grünen Gewölbe oder jetzt im Diesel-Verfahren, obliegt Juristen. Zur Rechtspflege kann aber das Ende eines Verfahrens durch das Anreizen eines Geständnisses (Stadler) oder die Rückgabe der Beute (Räuber) beitragen. 171 Verhandlungstage dauerte der Stadler-Prozess, dessen Kosten die Beschuldigten übernehmen müssen, also Stadler und zwei Audi-Ingenieure. Hat sich der Aufwand gelohnt?

Bemerkenswert ist die Einlassung des Staatsanwalts, der nach jahrelangen Ermittlungen Zweifel hat, ob es überhaupt Hauptverantwortliche gibt, „wenn so viele Beteiligte in einem Unternehmen in die falsche Richtung laufen“. Das ist die Lehre aus der Geschichte: Es kommt auf die Unternehmenskultur an.

Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn haben Volkswagen von 1993 bis zum Dieselskandal gut zwei Jahrzehnte später geprägt. Durch Akquisitionen, tolle Autos und effiziente Motoren wurde der Zwölf-Marken-Konzern aus der niedersächsischen Provinz zum größten Fahrzeughersteller der Welt. Zur Wachstumsstrategie gehörte die Durchsetzung des Diesel-Motors in den USA.

Da die Amerikaner aber strenge Grenzwerte für den Stickoxid-Ausstoß haben, verlangten die Bosse von ihren Ingenieuren eine bezahlbare Lösung. Um Fahrzeuge mit Diesel-Motor überhaupt verkaufen zu können, warb VW mit besonders geringen Schadstoff-Emission und dem Versprechen „Clean Diesel“. Der war tatsächlich clean – aber nur auf dem Prüfstand und nicht im Verkehr.

Ob Piëch/Winterkorn von der Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung gewusst haben, wird wohl nie geklärt; Piëch ist seit vier Jahren tot, und der 76-jährige Winterkorn kann wegen Krankheit nicht vor Gericht erscheinen. Seit 2015 bemühen sich die neuen Chefs in Wolfsburg um einen Kulturwandel nach dem totalitärem Regime ohne Checks and Balances im 600.000-Mitarbeiter umfassenden Weltreich.

Ein ähnliches paternalistisches System hat bei Thyssen-Krupp großen Schaden angerichtet, als eine selbstgefällige Führung zehn Milliarden Euro in amerikanischen Stahlwerken verbrannte, oder bei der Deutschen Bank, wo die beinahe schon pathologische Renditeorientierung des Vorstands unter Josef Ackermann das einstige Spitzeninstitut zum Sanierungsfall machte. Die weltweite Korruptionsaffäre im Siemens-Konzern der Heinrich-von-Pierer-Ära ist auch noch in schlechter Erinnerung.

Missmanagement, Fehlverhalten oder Gier gehören zum Wirtschaftsleben wie der saubere Handschlag des ehrbaren Kaufmanns. Die schlimmsten Auswüchse können die Existenz kosten – oder rund 35 Milliarden Euro, die der VW-Konzern für die Aufarbeitung des Diesel-Betrugs aufwenden musste. Dafür hätte der Konzern eine Menge emissionsfreier Autos bauen können.

Die Herren Stadler und Winterkorn gehen nicht ins Gefängnis, aber als große Geldvernichter in die Geschichte der deutschen Industrie ein. Weil sie es konnten. Niemand schritt ein und rief Halt. Demut tut den Bossen gut – und die kann sehr wertvoll sein.

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