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Die Fahrraderklärung der EU hält Mitgliedstaaten in 36 Verpflichtungen an, die Fahrrad-Infrastruktur auszubauen.

© imago/Dirk Sattler | Bearbeitung: Tagesspiegel

EU-Mobilitätspläne: Wird das Fahrrad bald so wichtig wie das Auto?

Die EU-Kommission will mit einer Fahrraderklärung das Radfahren und die Radindustrie in Europa fördern. Sollte das Fahrrad mit dem Auto gleichgestellt werden – und wie könnte das gelingen? Drei Meinungen dazu.

Die EU-Kommission hat eine europäische Fahrraddeklaration vorgelegt, die das Fahrrad mit anderen Verkehrsmitteln auf eine Stufe stellen soll. Mit der Erklärung, die noch in diesem Jahr unterzeichnet werden soll, verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, das Fahrradfahren zu fördern – unter anderem mit durchgängigen Radverkehrsnetzen in Städten, einer besseren Anbindung des Radverkehrs an den ÖPNV, sicheren Abstellplätzen, dem Aufbau von Ladestationen für E-Bikes und Fahrradschnellwegen, die Städte mit ländlichen Regionen verbinden.

Die Erklärung ist für die Mitgliedsstaaten zwar nicht bindend. Trotzdem erhoffen sich Beobachter, dass die darin festgehaltenen Verpflichtungen die Gleichstellung des Fahrrads mit dem Auto vorantreibt. In unserer Serie „3 auf 1“ geben drei Expert:innen ihre Einschätzung, ob das wünschenswert ist und wie es erreicht werden kann. Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.


Deutschland ist ein potenzieller Gewinner

Ja, denn Radfahren sorgt für einen schnellen Mobilitätswandel. Der Radverkehr kann sich bis 2030 verdoppeln, wenn E-Bikes, Bike-Sharing und Lastenräder genutzt werden. Die Kosten für Infrastrukturinvestitionen sind relativ gering. Im Gegensatz dazu ist der Wandel zu E-Autos quälend langsam und erfordert Milliarden Euro.

Die ÖPNV-Nutzung bleibt unter dem Vor-Pandemie-Niveau, worunter Investitionen leiden. Beim Radfahren gibt es diese Hürden nicht. Städte wie Paris und Brüssel gehen zügig voran, sie schaffen großartige Räume zum Radfahren und Spazierengehen.

Das EU-Paket zur städtischen Mobilität von 2013 hatte kaum Effekte auf Emissionen, Sicherheit oder Staus, weil die Politik zu zaghaft war, um auf Verkehrsverlagerung zu setzen. Jetzt haben wir eine EU-Fahrraderklärung mit 36 ​​Verpflichtungen. Es wären schnelle Investitionen für schnelle Veränderungen, die anderen Sektoren Zeit für strukturelle Veränderungen geben.

Deutschland ist ein potenzieller Gewinner: mit einer führenden Fahrradindustrie, dem am weitesten entwickelten Rad-Dienstleistungssektor in der EU sowie Autokonzernen, die in die Radindustrie einsteigen. 


Mobilität muss man als Gesamtkonzept begreifen

Ob Auto, Fahrrad, Zug, Flugzeug, Scooter oder zu Fuß: Wie fast alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nutze ich alle Verkehrsmittel, je nach Situation und Bedarf. Ich fahre Rad mit der gleichen Begeisterung, mit der ich auch Auto fahre. Daher finde ich es richtig, dass das Fahrrad beziehungsweise die entsprechenden Fahrradwege in Städte- und Verkehrsplanungen ausreichend berücksichtigt werden. Hier gibt es sicherlich Nachholbedarf.

Entscheidend ist und bleibt, Mobilität als Gesamtkonzept zu begreifen, als ein Miteinander verschiedener Verkehrsmittel. Mit Blick auf die unterschiedlichen Lebensrealitäten, insbesondere die der Menschen in ländlichen Räumen, bedeutet das auch: Das Auto wird jetzt und in Zukunft eine Schlüsselkomponente für die Mobilität der Menschen sein.

Es ist jetzt die gemeinsame Aufgabe von Politik, Industrie und Gesellschaft, die Vernetzung und das Zusammenspiel der verschiedenen Verkehrsträger voranzutreiben und individuelle Mobilität weiterhin allen Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen. Im Sinne des Klimas und der Menschen.


Die Mobilitätswende braucht positive Erzählungen

Wer Infrastruktur sät, wird Radfahrende ernten. Diese einfache Gleichung hat den Niederlanden zu einem Radverkehrsanteil von 27 Prozent verholfen. Solange es in Deutschland wie in vielen anderen EU-Ländern im ländlichen Raum kaum Radwege gibt und die Infrastruktur in der Stadt lückenhaft und gefährlich ist, hat das Fahrrad keine Chance, zum gleichberechtigten Verkehrsmittel zu werden.

Das Momentum für Pop-up-Radwege in der Pandemie ist abgeebbt. Politiker haben die Mobilitätswende als Wahlkampfthema entdeckt und zum Kulturkampf zwischen Fahrrad und Auto stilisiert. Viele Kommunen trauen sich nicht, dem Auto Platz und Privilegien wegzunehmen. Neue Radspuren werden zögerlich oder schmaler umgesetzt, autofreie Superblocks landen in der Warteschleife.

Es braucht positive Erzählungen und mutige Initiativen wie in Paris, Gent oder Hannover, um zu verhindern, dass die Umsetzung der Mobilitätswende als bloße Verbotspolitik wahrgenommen wird. Dann wird für die Wähler:innen erkennbar, dass mehr Fahrrad auch mehr Lebensqualität bedeutet.   

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