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Wirtschaft: Geb. 1913

Annemarie Auer

Eine Kritik, eine einzige: Sie wurde zu einem Makel, den sie zeit ihres Lebens nicht auslöschen konnte.

Als eine Freundin vorbeikam, schlich der Tod schon ums Haus. Er war kein Überraschungsgast hier, seinen kalten Atem kannten sie, manchmal spürten sie ihn von einer auf die andere Stunde, und es gab Zimmer im Haus, in denen sehnte man ihn herbei. Weil er Ruhe und Frieden verhieß. Vor allem aber: das Ende der Einsamkeit.

Annemarie Auer, zu DDR-Zeiten Literaturkritikerin und Autorin für Fachzeitschriften und den Rundfunk, war am Ende auch eine Einsame, ein Mensch allein im Seniorenheim. Ihre Freundin Elfriede Brüning, selbst Schriftstellerin, hat das gespürt und in ihren Erinnerungen aufgeschrieben: Keine Zimmernachbarn, die vorbeikamen auf einen Schwatz, niemand, der Annemarie Auers Nähe suchte, keine wohlwollende Geschäftigkeit um die kluge Frau mit den harten Zügen, nur Zurückhaltung und vor allem Stille in dem „winzigen Zimmer, von dem aus sie im Herbst und Winter, wenn sich die Bäume entlaubten, einen Zipfel des Zeuthener Sees erspähen konnte“.

Ihr Leben sei verpfuscht, barmte Annemarie Auer, die Stasi habe es zerstört, ihres und das des Ehemannes Eduard Zak, eines österreichischen Antifaschisten. Immer und immer wieder fing sie damit an, „sie verstieg sich da geradezu, das war schon krankhaft“, sagt die Freundin. Nahe Menschen habe sie damit verstoßen. Hatten Annemarie und ihr Mann nicht großzügige Stipendien des DDR-Schriftstellerverbandes bezogen? Speiste sich diese Paranoia des verkorksten und bestraften Lebens nicht vielmehr aus der Tatsache, dass sie einst Ungerechtes über Christa Wolf geschrieben hatte? Über deren Buch „Kindheitsmuster“? In „Sinn und Form“ bezichtigte Annemarie Auer die Autorin des „Selbsmitleids“, der „Wehleidigkeit“, der „Ich-Faszination“, vor allem aber des „mangelhaften Klassenstandpunktes“.

Mitte der siebziger Jahre war das und bald schon prasselte die Wut der Großen auf sie nieder. Für Stefan Hermlin, Günther Kunert, Franz Fühmann und viele andere war die Auer fortan nun „Stalinistin“, auch der PEN distanzierte sich von ihr – das Ganze wucherte „zu einem Makel, den sie trotz heftiger Bemühungen bis zu ihrem Tode nicht auslöschen konnte“. Auch wenn sie alles dafür getan hätte. Das weiß die Freundin, weiß Elfriede Brüning. Bewundert hat sie Annemarie Auer in all den langen Jahren, noch heute lobt sie deren „geschliffene Rede“, gern hätte sie die Vertraute selbst als Lektorin für ihre Bücher gehabt, „weil sie die Gabe besitzt, einen Stoff, den man ihr noch stammelnd und undeutlich vorträgt, intuitiv zu erfassen, das Wesentliche darin zu erkennen“.

Im Schriftstellerverband lernten sie sich kennen, nach dem Krieg. Buchhändlerin hatte die eine gelernt, Sekretärin die andere, aus Kiel stammte Auer, Brüning aus Berlin. Beide Frauen waren dem Schreiben alsbald verfallen; für die DDR, den Sozialismus waren sie sowieso. Auers Schilderung der letzten Kriegstage, niedergeschrieben in Briefen an ihren Mann und veröffentlicht 1987 im Mitteldeutschen Verlag, kann Elfriede Brüning „nur jedem empfehlen“. Jenen, die den Zweiten Weltkrieg nicht erlebt haben, würde sie ein „eindrucksvolles Bild vermitteln, wie Menschen mit antifaschistischer Gesinnung damals gelebt und gelitten haben – ohne zu wissen, ob sie die eigene Haut aus dem Schlamassel würden retten können“.

Und dann war da noch Wiepersdorf im Fläming, Schriftsteller-Begegnungsstätte und Künstler-Pension. Da entpuppte sich Annemarie Auer als Menschenverbinder. „Wäre sie ein Jahrhundert früher geboren, so hätte sie gut einen Salon führen können wie die Rahel Varnhagen“, schreibt Elfriede Brüning noch zu Lebzeiten der Gefährtin. „Sie hat sich immer gern mit Menschen umgeben, trägt gern schöne Kleider und verfügt über den Esprit und Charme, um Mittelpunkt einer erlesenen Gesellschaft zu sein, die sie alle durch ihren Geist bestrickt.“

Selbst Herbert Sandberg, den satirischen Karikaturisten und damals schon Achtzigjährigen, soll sie mit ihrer Art so verzaubert haben, dass er sich zu einer Liebeserklärung hinreißen ließ: „Dich, Annemarie, würde ich heute noch heiraten!“

Am Ende war der Kraftmensch Auer nur noch dünn und krank. Der Zucker zehrte sie aus, das Herz wurde schwach und schwächer, und dann, zu allem Übel, noch die Blindheit. Das wenige, was geblieben war, das Fernsehen und die Bücher, konnten nun kein Trost mehr sein. Elfriede Brüning schreibt: „Der an ihr nagende Kummer scheint ihren körperlichen Zerfall beschleunigt zu haben.“

Und dann das Jahr 2002: Ein Sturz im Badezimmer, ein splitternder Schenkelhalsknochen – Annemarie Auer starb wie viele Menschen vor ihr.

Judka Strittmatter

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