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Wirtschaft: Waigels Lehren bei Siemens

Vier Jahre lang kämpfte der Ex-Minister in dem Konzern gegen Korruption.

Berlin – Mit einer dürren ersten Mitteilung der Staatsanwaltschaft München I erreichte der Verdacht die Öffentlichkeit, der sich später als einer der größten deutschen Korruptionsskandale entpuppte. Über Tarnfirmen seien rund 20 Millionen Euro aus dem Siemens-Konzern geschleust worden, hieß es vor sechs Jahren zunächst. Eine Woche später waren es schon zehnmal so viel, heute beziffert das Unternehmen den Schaden auf das mehr als Hundertfache: Mit allen Strafzahlungen und Anwaltskosten seien 2,2 Milliarden Euro zusammengekommen.

Die Phase der Aufarbeitung ist inzwischen abgeschlossen. An einem Konferenztisch im historischen Magnus-Haus in Berlin erläutert der frühere Finanzminister Theo Waigel den Abschluss seiner vierjährigen Tätigkeit als „Compliance Monitor“ bei Siemens. Er sollte die Einhaltung von Regeln und Gesetzen unabhängig überprüfen, eingesetzt hatten ihn die US-Behörden. Es ging letztlich um die Frage, ob Siemens sich gebessert hat.

Neben Waigel sitzen ein Österreicher und ein Amerikaner, die ohne diese Affäre wahrscheinlich nie bei Siemens gelandet wären: Der Vorstandsvorsitzende Peter Löscher und der Rechtsvorstand Peter Solmssen, Vertreter der neuen Zeit bei Siemens. „Wir sind vom schwarzen Schaf zum Musterschüler geworden“, sagt Löscher. „Nur saubere Geschäfte sind Siemens-Geschäfte: Das war das Mantra, das wir in die Organisation getragen haben.“ Solmssen weist darauf hin, dass es nicht nur um juristische oder moralische Kategorien, sondern auch um ökonomische ging: Siemens habe vermeiden müssen, bei öffentlichen Auftraggebern auf schwarzen Listen zu landen. Operation geglückt: Siemens fährt in der Ära der neuen Sauberkeit Rekordergebnisse ein.

Theo Waigel, inzwischen 76 Jahre alt, ist sichtlich stolz auf seine Arbeit. Als er seinen Abschlussbericht in Washington vorgestellt habe, habe es keine Kritik gegeben. Modellhaft sei sein Vorgehen gewesen, habe es geheißen. Er war der erste Ausländer, den die US-Behörden in einem solchen Fall akzeptierten, und sie ließen auch zu, dass seine Arbeit auf dem internen Rechnungswesen fußte. „Eines haben Sie ganz raffiniert gemacht“, wendet sich Waigel an Löscher: „Sie haben mir eines der schönsten Büros am Wittelsbacher Platz gegeben.“ In der Münchner Zentrale das erste Büro links vom Haupteingang, groß und gar nicht versteckt. Der „tone from the top“, die Ansage von oben, stimme eben bei Siemens.

Inzwischen kümmern sich weltweit 600 Siemens-Mitarbeiter um „Compliance“. Alle seine Empfehlungen seien implementiert worden, sagt Waigel. sein Team habe 51 000 Dokumente in elf Sprachen ausgewertet, 39 Länder untersucht und 2000 Menschen interviewt. Und auch bei den US-Behörden herrsche Vertrauen in die Münchner. Die Reaktion auf einen neuen Korruptionsfall bei Siemens in Kuwait sei gelassen ausgefallen: „Wenn bei 400 000 Leuten nichts passieren würde, dann wäre das höchst verdächtig“, habe es lapidar geheißen. Auch Löscher weiß: „Wir dürfen nicht naiv sein. Es gibt immer Verfehlungen.“

Waigel, promovierter Jurist, bedauert inzwischen, die als „nützliche Aufwendungen“ titulierten Bestechungsgelder deutscher Unternehmen im Ausland nicht verboten zu haben – das endgültige Verbot trat erst nach dem Ende seiner Amtszeit Anfang 1999 in Kraft. „Das ist ein Fehler, den ich gemacht habe. Ich habe viel zu lange gezögert.“ Und er schließt daraus, dass Deutschland auf keinen Fall länger zögern dürfe, die UN-Konvention gegen Korruption zu ratifizieren. Die Unabhängigkeit des Abgeordneten könne kein Grund sein, sich in die Gesellschaft von Syrien und Nordkorea zu begeben. „Das ist einfach ein Unding.“

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