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Container stehen im Hamburger Hafen.

© dpa/Marcus Brandt

Update

FDP düpiert: EU-Staaten stimmen für Lieferkettengesetz

Eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten unterstützt ein europäisches Lieferkettengesetz. Ein Veto der FDP hat damit nicht gegriffen. Die Freude bei SPD und Grünen ist groß.

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In Brüssel brachte der Freitag eine faustdicke Überraschung. Nach langem Ringen unterstützt eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschenrechte. Das teilte die belgische Ratspräsidentschaft mit. Damit wurde Deutschland überstimmt, das sich im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten auf Druck der FDP enthielt. Eine Enthaltung in dem Gremium wirkt wie eine Nein-Stimme.

„Ich mache keinen Hehl daraus: Wir hätten uns ein anderes Ergebnis gewünscht“, erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann am Freitag. Man habe bis zuletzt für ein schlankeres und rechtssicheres EU-Lieferkettengesetz gekämpft. Trotzdem habe die Skepsis der FDP eine Reihe von Details zum Besseren bewegt, so der FDP-Politiker.

Der FDP sei es immer darum gegangen, „ein praktikables Gesetz für europäische Unternehmen zu erstreiten, das insbesondere den Mittelstand nicht überfordert“, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler dem Tagesspiegel. Das nun beschlossene Gesetz sei dadurch in einigen wesentlichen Punkten entschärft worden, erfülle aber nicht die Ansprüche an eine bürokratiearme Regelung.

„Wenn die CDU mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel immer mehr neue Bürokratie beschließt, als hierzulande etwa mit dem Bürokratieentlastungsgesetz abgebaut werden kann, wird unsere Wirtschaft nicht auf einen Wachstumskurs zurückkehren“, betonte Köhler.

SPD und Grüne sind hingegen erleichtert, dass Deutschland überstimmt wurde. „Menschenrechte siegen über eine massive Lobbykampagne und FDP-Klientelpolitik. Der Krimi der letzten Wochen hat damit endlich ein Ende“, sagte Anna Cavazzini, die das Lieferkettengesetz für die Grünen im Europaparlament verhandelt hat.

Auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) freute sich über die Brüsseler Entscheidung. „Seit vielen Jahren setze ich mich für faire Lieferketten ein. Es geht darum, dass in einer globalen Wirtschaft Menschenrechte nicht unter die Räder kommen“, betonte der SPD-Politiker.

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Deutschland hat schon ein Lieferkettengesetz

Das Gesetz ermöglicht, Konzerne und größere Mittelständler zur Rechenschaft zu ziehen, wenn bei ihren Lieferanten Kinder- oder Zwangsarbeit vorkommt. In Deutschland existiert bereits eine vergleichbare Regelung. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, wie sie die Pariser Klimaziele einhalten.

Die FDP befürchtete durch die europäische Richtlinie jedoch zusätzliche Bürokratie und Rechtsunsicherheit für deutsche Unternehmen. Die Liberalen warnten deshalb davor, dass sich Betriebe aus Europa zurückziehen könnten. Die Unstimmigkeiten hatten zu einem offenen Schlagabtausch in der Ampelkoalition geführt.

Der deutsche Industrieverband BDI zeigte sich enttäuscht über europäische Ja zum Lieferkettengesetz. Es bedeute einen weiteren Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit und schaffe neue Hindernisse für die Versorgungsicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm.

Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten hatten sich bereits im Dezember auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Doch dann blockierte unter anderem Deutschland die Zustimmung zu dem sogegannten Trilog-Ergebnis im Rat der Mitgliedsstaaten.

Deshalb wurde das Vorhaben noch mal deutlich abgeschwächt. Statt wie ursprünglich geplant, soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten.

Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten

Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. An diesen Geltungsbereich soll sich stufenweise herangetastet werden. Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz.

Zudem wurden demnach sogenannte Risikosektoren gestrichen, also Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher bewertet wird, wie etwa in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie. Dort hätten auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden betroffen sein können.

Vorgesehen ist aber weiterhin, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren.

Welches Lieferkettengesetz ist härter?

Insgesamt gehe das EU-Lieferkettengesetz in einigen Punkten über die deutsche Regelung hinaus, sagte der Rechtswissenschaftler Peter Gailhofer vom Öko-Institut dem Tagesspiegel. Während sich das deutsche Gesetz primär auf unmittelbare Zulieferer beziehe, müssten Unternehmen nach der europäischen Regelung die gesamte Lieferkette berücksichtigen.

Daneben seien die umweltbezogenen Regeln in der EU-Richtlinie umfassender. Auch die Klimaschutzregelung im EU-Gesetz ist neu. Als Bußgelder sind im deutschen Gesetz laut Gailhofer zwei Prozent des Jahresumsatzes vorgesehen, in der EU-Richtlinie sind es fünf Prozent. Außerdem sieht die Europäische Union eine Haftung für die Unternehmen bei Sorgfaltspflichtverletzungen vor.

Unterm Strich bleibt das Lieferkettengesetz praxisfern, weil grundlegende Probleme, wie unklare Haftungsregeln außerhalb des eigenen Einflussbereichs bestehen bleiben.

Svenja Hahn, FDP-Europaabgeordnete

Johannes Heeg von der Umweltschutzorganisation Germanwatch ist überzeugt, „dass mit diesem Kompromissvorschlag weit weniger deutsche Unternehmen erfasst sein würden, als es momentan nach dem deutschen Lieferkettengesetz der Fall ist“, sagte er dem Tagesspiegel.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat angekündigt, dass er das deutsche Lieferkettengesetz an die europäischen Regelungen anpassen will. So schaffe man „faire Wettbewerbsbedingungen“, betonte Heil.

Bisher würden die deutschen Unternehmen im Vergleich „zu den allermeisten ihrer ausländischen Konkurrenten stärker belastet“, sagte Gailhofer.

Die FDP-EU-Abgeordnete Svenja Hahn erklärte hingegen: „Unterm Strich bleibt das Lieferkettengesetz praxisfern, weil grundlegende Probleme, wie unklare Haftungsregeln außerhalb des eigenen Einflussbereichs bestehen bleiben.“ Peter Gailhofer zufolge ist diese Behauptung allerdings falsch. „Eine Haftung ist nach Art. 22 CSDDD nur möglich, wenn eine Pflichtverletzung der Unternehmen selbst ursächlich für Schäden an rechtlich geschützten Interessen von Personen in der Aktivitätenkette werden“, so der Wissenschaftler. Die Richtlinie stelle ausdrücklich klar, dass eine Haftung außerhalb des Einflussbereichs von Unternehmen, wie es FDP-Politikerin Hahn behauptet, nicht bestehe. (mit dpa)

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