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© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Die Sorgen des Vererbens

Ein jeder muss seinen genetischen Rucksack schultern, der ihm mitgegeben wurde. Aber was, wenn man seinen Kindern etwas aufgebürdet hat?

Eine Kolumne von Sascha Karberg

„Mit Brille?“ fragt die ältere Dame, halb amüsiert, halb vorwurfsvoll, als ich neben ihr am Beckenrand des Schwimmbads auftauche. „Ja, mit Brille, sehe sonst nichts“, antworte ich, etwas irritiert über ihre Verwunderung. Kopfschüttelnd schwimmt sie weiter und ich ärgere mich mal wieder über diese Unzulänglichkeit meines genetischen Erbes: Kurzsichtigkeit.

Seit meinem ersten, verkorksten Besuch eines Spaßbads – für Teenager zumeist ein echt scharfes Erlebnis, für mich nur eine verschwommene Erinnerung – trage ich die Brille auch im Wasser. Und pfeife auf die Blicke, solange meiner dank Sehhilfe gut genug ist, Klo und Dusche zu unterscheiden. Aber es ist auch der Moment, in dem ich froh bin, meine mies myopen Augen nicht an meine Kinder vererbt zu haben. Alle drei haben den Durchblick, weit wie kurz.

Das (falsche) Gefühl von „Schuld“

Und selbst wenn. Im Zeitalter von Kontaktlinsen und Laserkorrektur ist Fehlsichtigkeit kaum noch ein Problem. Aber was, wenn ich an Krebs erkranke oder Multiple Sklerose entwickle? Die Sorge, womöglich die Veranlagung für solche schweren Erkrankungen oder auch nur eine frühe Glatze an den Nachwuchs weiter zu geben, ist mindestens so weit verbreitet wie die Angst, selbst eine krankmachende Genmutation geerbt zu haben. Vielleicht sogar größer, denn immer schwingt das Gefühl der „Schuld“ mit, der Selbstvorwurf, seinen Kindern eine Bürde aufgeladen zu haben. Da hilft es nicht, zu versichern, dass das falsch ist. Dass Mutationen in Genen nun mal passieren, dass niemand dafür eine Verantwortung trägt. Das Gefühl, die Sorge bleibt.

Zwar können immer häufiger bestimmte Erbgutveränderungen per Gentest erkannt werden. Das kann sehr sinnvoll sein, etwa wenn bei einem Kind eine Erbkrankheit mithilfe des Tests früh erkannt wird und es so rechtzeitig behandelt werden kann.

Aber die Möglichkeit zum Testen bürdet Betroffenen auch die Entscheidung auf, ob sie über ihre genetische Konstitution aufgeklärt werden wollen. Und ob sie dieses Wissen dann an ihre Kinder weitergeben sollen. Keine einfache Entscheidung: Während die eine Tochter damit locker umgehen kann, von einem 30 Prozent erhöhten Brustkrebsrisiko gegenüber der übrigen Bevölkerung zu wissen und höchstens öfter mal zur Vorsorge geht, könnte sich die andere in ihre Angst hineinsteigern, obwohl ein erhöhtes Risiko keineswegs bedeutet, dass die Krankheit tatsächlich ausbricht.

Klar ist: Weder Gentests noch Gentherapien können ändern, dass es auch künftig genetisch bedingte Erkrankungen geben wird. Es bleibt auch in Zukunft Schicksal, welche genetische Konstitution man mitbekommen hat und welche man weitergibt, ob nun die Veranlagung zu Krebs oder nur harmlose Kurzsichtigkeit.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben jeden Sonntag Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne des Genetikers und Wissenschaftsjournalisten Sascha Karberg.

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