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Future Medicine Science Match 2022; Tagesspiegel; bcc Berlin; 08.11.2022

© Laurin Schmid/FMSM

Eine Sache des Mitgefühls: Der Hürdenlauf in die Zukunft der Medizin

Therapieentwicklung ist eine Ochsentour. Dass es im Kern um mehr als Geld, Forschung und Politik geht, machte ein Patient auf dem 7. Future Medicine Science Match in Berlin deutlich.

Als der Patient Johannes Höggerl auf die Bühne rollt, wird es still auf dem „Future Medicine Science Match“ im Berliner Congress Centrum bcc am Alexanderplatz. „Mitgefühl ist die Basis der Moral“, beginnt der Salzburger seine kurze Rede mit einem Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer – vor hunderten von Expertinnen und Experten aus Biologie, Medizin, Biotechnologie und Pharmazie, die am Mittwoch darüber diskutierten, wie sich all die Hürden bei der Suche nach neuen Therapien und ihrer Entwicklung überwinden lassen.

Mitgefühl sei die Grundlage einer solidarischen, verantwortungsbewussten Gesellschaft, also einer, die nach Wegen sucht, kranken Mitmenschen zu helfen. „Und um mitfühlend zu sein, müssen Sie nur darüber nachdenken, wie es wäre, wenn Sie wären wie ich.“ Seit 15 Jahren sitzt der Vater einer neunjährigen Tochter im Rollstuhl, weil eine winzige, zufällige Mutation in seinem Erbgut seine Muskeln schwächer und schwächer werden lässt.

Deutsche Bürokratie: reguliert viel, aber bietet keine Lösungen an

„Unheilbar“, wurde ihm immer wieder gesagt. „Keine Hilfe, nicht einmal Hoffnung“, bis er Simone Spuler kennenlernte, die mit ihrem Forschungsteam am Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch Therapien entwickelt, die Muskeldystrophie heilen oder zumindest aufhalten können. Denn je nach Ausprägung zwingen Muskeldystrophien nicht nur zu einem Leben im Rollstuhl, die Lähmungen der Atemmuskulatur führen früher oder später zum Tod.

Berlin bietet alle Komponenten eines fruchtbaren Ökosystems für die Therapieentwicklung

Christopher Baum, Berlin Health Institute

Höggerl hat den Verein „Strong for Cured Muscles“ gegründet, um Spulers Forschungen zu unterstützen. Denn trotzdem die Therapieansätze vielversprechend seien, gebe es eine Hürde: Weder die öffentliche Hand, noch die großen Pharmafirmen investieren hinreichend in diese Entwicklungen: Muskeldystrophien gelten, obwohl in den USA und Europa etwa 220.000 Patienten betroffen sind, als selten, als „Waisenkrankheit“.

Christopher Baum, Vorstandsvorsitzender des Berlin Institute of Health, Mitveranstalter des Future Medicine Science Match 2022

© Laurin Schmid/FMSM

Fehlendes Geld ist nicht die einzige Hürde, die es auf dem jahrelangen Weg zur Verwirklichung dieser und anderer Therapien gibt. In Deutschland sei auch die Bürokratie hinderlich, da sie zwar viel reguliere aber keine Lösungen anbiete, merkte Spuler, Mitorganisatorin des „Future Medicine Science Summit“, an.

Klinische Studien in der Petrischale – mit Zellen der Patienten

Zwar sind „in Berlin alle Komponenten eines fruchtbaren Ökosystems für die Therapieentwicklung vorhanden“, so Christopher Baum, Vorstandsvorsitzender des Berlin Institute of Health, mit dem Tagesspiegel Veranstalter des „Science Match“. Dennoch seien etwa die Zusammenarbeit über Instituts-, Universitäts-, Firmen- und Fachrichtungsgrenzen hinaus noch verbesserungsfähig. Sonst verliere Deutschland seine Führungsposition in der Gesundheitsbranche, warnte etwa Michael May, Medizinischer Direktor für Deutschland von Bristol-Myers Squibbs. 2021 sei man von Position vier auf sechs zurückgefallen. Das gelte vor allem für die neuartigen gen- und zellbasierten Therapieansätze.

Dabei seien es „aufregende Zeiten“, was die technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten der Erforschung von Krankheitsursachen und Entwicklung von Therapien betrifft. „Wir beginnen jetzt zu verstehen, wie ein Patient auf molekularem Level aussieht, sodass man ihn passgenau behandeln kann“, sagte Gitte Neubauer, Biochemikerin und Gründerin der Biotech-Firma Cellzome, die inzwischen zur Pharmafirma GlaxoSmithKline gehört.

Simone Spuler, Max-Delbrück-Centrum, auf dem „Future Medicine Science Match 2022“

© Laurin Schmid/FMSM

Die Fusion von Genomforschungs- und KI-Techniken – „Tissuemultiomics“ – ermögliche, Informationen über tausende Gene und Proteine und ihre Aktivitäten in vielen tausenden einzelner Zellen des Patienten zu gewinnen und diese Datenmassen dann mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz zu analysieren. Neubauer untersucht so, wie sich dieses molekulare Profil der Zellen vor und nach Gabe eines Medikaments verändert. So lassen sich einerseits die molekularen Ursachen einer Erkrankung besser verstehen, aber auch welche Medikamentenwirkstoffe bei verschiedenen Patienten gut oder weniger gut wirken. „Klinische Studie in der Petrischale“ nennt Neubauer das.

Aber was nützen all die großen Ideen, wenn die Kosten am Ende unerschwinglich sind. Man müsse die „gesellschaftlichen Bedürfnisse“ im Blick behalten, warnte Spuler. 320.000 Euro etwa kostet die revolutionär erfolgreiche Blutkrebsbehandlung mittels „CAR-T-Zelltherapie“. Dabei werden Immunzellen des Patienten zum besseren Aufspüren der Krebszellen gentechnisch optimiert.

Gründen? Wie geht das?

Um den hohen Preis zu senken, der auch durch die aufwändige Entnahme und langwierige Herstellung der optimierten Immunzellen in Speziallabors entsteht, braucht es Forschung: So stellte etwa Dimitrios Wagner von der Berliner Uniklinik Charité ein Konzept vor, das die Kosten auf unter 50.000 Euro pro Patient senken könnte – indem CAR-T-Zellen entwickelt werden, die für jeden Patienten kompatibel sind.

Selbst wenn Wagners Team das schafft – ein Selbstläufer ist es in Deutschland nicht, auf diesen Forschungsergebnissen dann eine Firma aufzubauen und die Idee zu einer anwendbaren, geprüften und zugelassenen Therapie zu machen, sagt Andreas Schmidt, selbst mehrfacher Gründer, unter anderem des Biotech-Unternehmens Singleron. „Es gibt erstklassige Forschung in Deutschland und kreative Köpfe, aber viele wissen einfach nicht genau, wie sie aus ihren Ideen eine Firma machen können.“ Und selbst wenn, in Deutschland fehle das Risikokapital, die risikobereiten Investoren, die ihr Geld in die oft langwierigen, nicht immer erfolgreichen Entwicklungen stecken wollen.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten, all dieser Probleme – die Worte des Patienten Johannes Höggerl machten den Teilnehmern des „Future Science Medicine Match“ deutlich, warum sich der Aufwand lohnt. Selbst wenn Spulers Ideen zu heilsamen Therapien werden sollten, „für mich wird es dann zu spät sein“, sagte Höggerl. Warum er dann hier sei und für eine Welt ohne Muskeldystrophie appelliere? „Mitgefühl.“

Der Future Mobility Summit findet mit freundlicher Unterstützung unserer Partner aus Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft statt.

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